Wolhusen: Gefahrenkarte von 2007

Szenario war bekannt – wieso geschah nichts?

Der Felssturz aus der Drohnenperspektive. (Bild: ZSO Emme)

Der Felssturz in Wolhusen hat Millionenschäden angerichtet, nur durch grosses Glück wurde niemand verletzt. Brisant: Dass ein Felssturz eine Überschwemmung auslösen könnte, wurde bereits 2007 in einem Bericht an den Kanton erwähnt. Trotzdem geschah nichts. Hat man die Gefahr unterschätzt?

Gesperrte Strasse, zerquetschte Autos, geflutete Keller, lahmgelegte Firmen, Stromausfälle, ausgelaufenes Öl. Der Felssturz von Wolhusen und die Überschwemmung durch die gestaute Kleine Emme haben Sachschäden in Millionenhöhe verursacht.

«Wie aus dem Nichts hat uns dieser Felssturz getroffen», sagte der Werthensteiner Gemeindepräsident Beat Bucheli am Montag (zentral+ berichtete). Das überschwemmte Gebiet befindet sich auf Werthensteiner Boden. «Wir fühlten uns sicher», bestätigt auch Gemeindeammann Fredy Röösli. Zwar habe man gewusst, dass die Felswand in der Badfluh sturzgefährdet sei, aber mit so einem drastischen Ereignis habe man nicht rechnen können: «Wir haben uns auf die Gefahrenkarte verlassen.»

Gefahr war bekannt

Für Fachleute kommt der Felssturz nicht völlig überraschend. An der Pressekonferenz vom Montag sagte der Geologe Klaus Louis, es sei ein normaler und natürlicher Vorgang, dass der Fels abgestürzt sei. Aussergewöhnlich sei nur das Ausmass des Felssturzes. Im Bericht zur kantonalen Gefahrenkarte wurde das nun eingetretene Szenario bereits durchgespielt: Klaus Louis, er ist auch der Verfasser der Gefahrenkarte, schrieb 2007 im technischen Begleitbericht zur Karte an den Kanton, «eine Aufstauung des Flusses» wäre bei einem Felssturz «denkbar».

«Aufstauung des Flusses denkbar»: Der Ausschnitt des Gefahrenberichts von 2007.

«Aufstauung des Flusses denkbar»: Der Ausschnitt des Gefahrenberichts von 2007.

Doch ist dieses Szenario überhaupt bei den betroffenen Gemeinden angekommen? Er könne sich nicht mehr erinnern, ob man das Überschwemmungs-Szenario 2007 diskutiert habe, sagt der Werthensteiner Gemeindeammann Fredy Röösli: «Aber uns war die Gefahr in diesem Ausmass sicher nicht bewusst.»

Für den Schutz vor Naturgefahren ist der Kanton zuständig. Wieso hat man dort keine Schutzmassnahmen ergriffen? Man habe sich auf die Einschätzung der Gefahrenkarte gestützt, rechtfertigt Albin Schmidhauser, Abteilungsleiter Naturgefahren: «Für die Gebäude auf der gegenüberliegenden Emme-Seite besteht laut Karte eine geringe Gefährdung. In den letzten Jahren fielen Blöcke in die Kleine Emme, ohne Schaden anzurichten. Aufgrund dieser Erfahrungen und der Gefahrenkarte gab es keine Veranlassung, Massnahmen zu erlassen.»

Die «starke Gefährdung» (rot) der Wand ist auf der Sturz-Gefahrenkarte von 2007 eingezeichnet – die andere Flussseite galt hingegen als sturzsicher, dort fürchtete man eher Überschwemmungen. Bild: Geoinformation Kanton Luzern.

Die «starke Gefährdung» (rot) der Wand ist auf der Sturz-Gefahrenkarte von 2007 eingezeichnet – die andere Flussseite galt hingegen als sturzsicher, dort fürchtete man eher Überschwemmungen. Bild: Geoinformation Kanton Luzern.

Dennoch ist nun eingetreten, was Fachleute für fast unmöglich hielten: Schäden auch auf der Werthensteiner Seite der Kleinen Emme: Steine wurden durch die Wucht des Aufpralls aus dem Bachbett geschleudert. Wieso wurde dieses Risiko beim Erstellen der Gefahrenkarte nicht erkannt? Gutachter Klaus Louis spielt den Ball zurück: Die Methodik zum Erstellen solcher Gefahrenkarten werde vom Kanton gemacht. Dass sich unter dem Hang zum Zeitpunkt des Sturzes gerade eine Sandbank befand und Steine deshalb so weit spickten, habe man so nicht voraussehen können: «Nirgends in der Schweiz wird ein solch extrem seltenes Ereignis in Gefahrenkarten beurteilt.»

Felssturz galt als extrem unwahrscheinlich

Dass nicht jede Eventualität abgeklärt werden kann, leuchtet ein; ein Restrisiko bleibt immer. Weshalb aber ist auf der Gefahrenkarte das Überschwemmungsrisiko durch eine gestaute Emme nicht verzeichnet? Immerhin wurde dieses Szenario im begleitenden Bericht ja angedacht.

Das sei nicht geschehen, so Klaus Louis, weil ein Felssturz in der Badfluh so unwahrscheinlich schien: Ein Felssturz dieser Grösse sollte laut Einschätzung von 2007 seltener als einmal in 300 Jahren geschehen. «Damals gab es keine Hinweise darauf, dass ein Felssturz mitsamt Überschwemmung tatsächlich eine realistische Bedrohung wäre.» Die Wand habe nicht so ausgesehen, als ob sich daraus ein so grosser Felssturz lösen könne, so Louis weiter. «Und auch bei Anwohnern und bei der Gemeinde hat sich niemand an ein solches Ereignis erinnern können.» Wenn ein Felssturz derart unwahrscheinlich scheint, wird er laut Richtlinien als «Restgefährdung» klassifiziert und hat dann in der Regel keinen Einfluss auf die Gefahrenbeurteilung.

«Man würde den Gutachter garantiert für total durchgeknallt halten.»

Klaus Louis, Verfasser der Gefahrenkarte

Das sei auch gut so, meint Klaus Louis: «Es wäre ja interessant, die Reaktion der Presse oder von Betroffenen zu sehen, wenn man eine Wohnzone in 300 Metern Entfernung von einer 50 Meter hohen Felswand als Gefahrengebiet ausscheiden würde.» Das könnte nämlich zur Folge haben, dass in diesem Gebiet nicht mehr gebaut werden dürfte. In Weggis mussten einige Anwohner wegen Felssturzgefahr ihre Häuser sogar dauerhaft verlassen (zentral+ berichtete). Klaus Louis: «Man würde den Gefahrengutachter garantiert für völlig unglaubwürdig oder für total durchgeknallt halten.»

In Werthenstein ist man derweil gottenfroh, «dass niemandem etwas passiert ist», so Gemeindeammann Röösli. «Und dann müssen wir uns auch Gedanken machen, wie wir die Sicherheit in Zukunft gewährleisten wollen».

 Hinweis: Auf der Webseite des Kantons kann man den Gefahrenbericht von 2007 herunterladen. Auch die Gefahrenkarte ist online verfügbar.

Ein eindrückliches Video zeigt das Ausmass des Felssturzes aus der Luft.

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