Premiere von Verdi-Oper

Sympathie mit dem Raubritter: «Falstaff» im Luzerner Theater

Claudio Otelli als Ritter Falstaff bei der Premiere vom Samstag.

(Bild: Ingo Höhn)

Ein Säufer und Unhold als Held? Das Luzerner Theater schickt Verdis Falstaff auf seine Bühne. zentralplus war bei der Premiere dabei.

Ritter John Falstaff ist in Luzern eingefallen. Folgt man dem Bühnenbild bei der Premiere im Luzerner Theater, hat er es sich gleich in einer spiessbürgerlichen Wohnung breitgemacht und leert dort die Vorratskammer und den Bierkeller.

Mit seiner glänzenden Rüstung in der modernen Innenausstattung ist er aus der Zeit gefallen wie der Götz von Berlichingen bei Goethe. Falstaff aber ist höchstens sein amoralisches Pendant. Und trotzdem gelten ihm die Sympathien des Komponisten Giuseppe Verdi und des Librettisten Arrigo Boito.

Denn Falstaff ist für sie das notwendige Gegenüber zu den Bürgern und den guten Werten der Gemeinschaft. Als Spiegelbild und als produktiver Störfaktor im Leben der Beteiligten. Ein ungewöhnlicher Schritt für den bei der Komposition bereits 80 Jahre alten Verdi und doch eine Herzenssache, von der sich die beiden «eine ungeheure Explosion der Heiterkeit» versprachen.

Benedikt von Peters Inszenierung stellt Falstaff allein auf die Bühne und verdrängt alle anderen Sänger in die Ränge. Eine konsequente Entscheidung, bedenkt man, dass diese im Libretto Silhouetten bleiben und nur die titelgebende Partie eine wirkliche Persönlichkeit ist.

Die Raumaufteilung besorgt die gewollte Parteilichkeit des Publikums, indem es die Zuschauer zu Kollaborateuren der Spiessbürgerstatisten in Gegnerschaft zu Falstaff macht. Das Bühnenbild illustriert Falstaffs Laster, teilweise redundant, mit Geldbündeln, Dessous und Alkoholika.

Handlungstreiber Triebe statt Liebe

Die Elemente der Handlung gleichen jenen aller italienischen opera buffa. Liebeleien, Versteckspiele, arrangierte Ehen, die in letzter Minute durch mutige Verehrer und listige Frauencliquen doch in einer Liebesheirat enden können.

Mit der Figur des Falstaff – vom stimmgewaltigen Claudio Otelli interpretiert – hat Verdi jedoch immer einen sarkastischen Kommentator zur Hand, der die Illusion von Romantik gar nicht erst aufkommen lässt.

Herrliche Situationskomik, als das naive Liebespaar Fenton und Alice einander in einer Duettarie versprechen, die Münder mit Küssen anzufüllen, während Falstaff mit wild zusammengeworfenen Zutaten aus dem geplünderten Kühlschrank seinen Mund bis zum Rand füllt.

Falstaff wütet in der gutbürgerlichen Wohnung.

Falstaff wütet in der gutbürgerlichen Wohnung.

(Bild: Ingo Höhn)

Falstaff versucht sich also an allen Frauen der Oberschicht, wobei nie klar wird, ob ihm körperliche oder finanzielle Anreize wichtiger sind. Seine Unverschämtheiten, etwa identische Liebesbriefe an diverse Frauen, bleiben aber nicht verborgen und die Bürger kommen ihm auf die Schliche.

So findet sich die Titelfigur nach einer vorgegaukelten Liebesnacht in die Themse geworfen wieder und wird später im Wald von erzürnten Ehemännern verprügelt. Das Luzerner Sinfonieorchester unter der Leitung von Clemens Heil hat hier rasende Wendungen zu absolvieren, die es wie schon den ganzen Abend zuvor sehr schön löst.

«Die Liebe verwandelt die Männer in Bestien»

Wo Falstaff Schabernack treibt, sind ihm von der Partitur bis zum Publikum alle gewogen. Dass uns der Regisseur Benedikt von Peter und die Dramaturgin Brigitte Heusinger Falstaff aber auch in seinen Leiden an seine Seite setzen, wäre nicht nötig gewesen.

So wie sie Falstaffs gekränkten Stolz nach seiner brutal missglückten Liebesnacht ernst nehmen, ist nicht zu erklären, warum er kurz darauf mit seinen Peinigern in die bekannte Schlussfuge «Tutto nel mondo è burla» – «Alles in der Welt ist Spass» – anstimmen kann.

Die Gelegenheiten, um Distanz zu Falstaff aufzubauen, bleiben ungenutzt. So beruht der Spass an der Titelfigur nur aus der aus seiner Sicht unfreiwilligen Komik, die sich aus den absurden Risiken ergibt, in die er sich manövriert, um seine Gelüste zu stillen.

Doch eigentlich ist auch sein übertriebenes Selbstmitleid nicht erbärmlich, sondern Teil seiner grossen Show. Er selbst weiss darum und die Musik weiss es auch.

Es ist eine Freude, dass das Luzerner Theater den Mut zusammennimmt, diesen Gegenentwurf eines guten Lebens als Helden zu präsentieren. Theaterbühnen fühlen sich sonst nicht selten der moralischen Aufklärung näher als den risikofreudigen Grotesken.

Es ist nicht die subversivste Deutung Verdis letzter Oper, der Applaus belegt aber, dass das Luzerner Theater das alte Versprechen der «Explosion der Heiterkeit» durchaus einlösen konnte.

Bis 17. Juni, Luzerner Theater

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