«Ideelle Emissionen durch psychisch Kranke»

Sursee: «Störendes» Ambulatorium kommt nicht

Das ungenutzte Schulhaus am Baldeggerweg sollte neu vom LUPS bezogen werden. (Bild: Flavia Rivola)

Ein Baugesuch von Ordensschwestern ist vom Surseer Stadtrat abgewiesen worden. Die Baldegger Schwestern wollten ihr ehemaliges Schulgebäude der Luzerner Psychiatrie (LUPS) zur Verfügung stellen und umbauen. Doch Anwohner schürten massiv Ängste vor psychisch kranken Menschen. Mit Erfolg offenbar. «Zähneknirschend hat der Rat das Gesuch abgelehnt», sagt die SP-Sozialvorsteherin von Sursee.

Die Luzerner Psychiatrie wollte im leer stehenden Schulgebäude am Baldeggerweg 2, das den Ordensschwestern gehört, mehrere der über die Stadt verteilten bereits existierenden LUPS-Angebote zusammenführen.
Geplant war ein Ambulatorium, das Personen mit psychischen Problemen tagsüber hätten aufsuchen können. Ferner sollte der Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienst an den Baldeggerweg ziehen, und die Mitarbeiter der Gemeindeintegrierten Akutbehandlung (GIA) sollten dort ein Büro erhalten.

Bevölkerungwachstum und grössere Nachfrage

Der Grund für das Projekt ist laut LUPS-Sprecher Thomas Lemp, dass die Psychiatrie neue Räumlichkeiten braucht. «Durch das Wachstum der Region ist auch eine grössere Nachfrage nach psychiatrischen Dienstleistungen ausgelöst worden», sagt Lemp.

Man hätte annehmen können, dass dieses Projekt glatt durchgehen würde. Denn nur einige hundert Meter entfernt vom Baldeggerweg liegt das Spital Sursee. In der Liegenschaft des ehemaligen Alters- und Pflegeheims Seeblick betreibt LUPS bereits verschiedene ambulante Angebote. «Wir hatten nie Probleme mit der Akzeptanz dieser Institution», sagt Lemp.

Grosse Enttäuschung

Die Luzerner Psychiatrie (LUPS) und die Baldegger Schwestern als Bauherrschaft bedauern den negativen Entscheid des Stadtrats Sursee zum Baugesuch sehr, schreibt LUPS-Direktor Peter Schwegler in einem Newsletter. Mit dem ehemaligen Schulgebäude hätte eine ideale und spitalnahe Lösung realisiert werden können. Man prüfe zurzeit Alternativen. Neue Räumlichkeiten brauche LUPS aber trotzdem. Die Nachfrage an psychiatrischen Dienstleistungen im Raum Sursee sei aufgrund der Bevölkerungsentwicklung spürbar gewachsen, schreibt Schwegler. Die Luzerner Psychiatrie (LUPS) ist im Auftrag des Kantons für die psychiatrische Versorgung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen im Kanton Luzern zuständig.

Argumente unter der Gürtellinie

Doch die Menschen guten Willens haben die Rechnung ohne gewisse Anwohner gemacht. Die Schule am Baldeggerweg liegt inmitten luxuriöser Einfamilienhäuser. Gewisse Bewohner waren von Anfang an dagegen: An zwei Informationsveranstaltungen stellten Vertreter der LUPS ihr Projekt vor und zeigten einen Film mit dem Titel «Es kann jeden treffen».
Dann ging der Shitstorm los: Wie schockierte Anwesende zentral+ berichteten, habe man Menschen mit vorübergehenden psychischen Beeinträchtigungen wie Burnout, Mobbingopfer oder Depressive mit Pädophilen gleichgesetzt. Es wurde auch die Befürchtung geäussert, dass Drogensüchtige das Ambulatorium besuchten und ihre Notdurft im Quartier verrichten würden.

Kampf mit allen Mitteln

Soweit zur Stimmung an den Infoveranstaltungen. Die Baldegger Schwester Marie-Ruth Ziegler war ebenfalls zugegen. Sie schreibt zentral+: «Ich war an beiden Anwohnerinformationen persönlich anwesend. Die angeführten Argumente der Anwohnerschaft gegen eine künftige Nutzung des Gebäudes durch die LUPS waren vielfältig und betrafen nicht nur die künftigen Patienten, sondern auch Themen wie Lärm- und Verkehrsbelastung, Zonenkonformität, Ausnützungsziffern, Parkplätze, Nutzungszeiten etc. Tatsächlich war ich aber überrascht, dass einige Nachbarinnen und Nachbarn der ehemaligen Schule für Krankenpflege nebst den erwähnten Gründen auch Ängste äusserten, die sich auf die künftigen Patienten der LUPS bezogen.»

Bruno Bucher: «Ideelle Emissionen»

Ende Februar hat der Stadtrat Sursee nun über die Lokalzeitung Surseer Woche kommuniziert, dass das Baugesuch für einen Umbau und eine Nutzungsänderung der Schwestern abgewiesen worden sei. Laut dem Bauvorstand und SVP-Mitglied Bruno Bucher sind drei Sammeleinsprachen aus der Anwohnerschaft gegen das Projekt eingegangen. Es gab mehrere Einspracheverhandlungen. Ohne Erfolg.

Statt die Stimmungsmache auf unterstem Niveau mit klaren Worten zu verurteilen, kleidete Bucher diese in schöne Worte. «Die Einsprecher haben in erster Linie ideelle Emissionen durch psychisch kranke Menschen im Quartier geltend gemacht», sagte Bucher in der Lokalzeitung.
Der baurechtliche Grund ist jedoch, dass der Stadtrat «zur Überzeugung gelangt sei, dass die Nutzung für die Psychiatrie an diesem Ort nicht mit der lokalen Landhauszone vereinbar sei.» Das Vorhaben sei also nicht zonenkonform.

Überzeugt tönt irgendwie anders. Überprüfen lässt sich die Begründung nicht, denn Bescheide werden vom Stadtbauamt Sursee nur an die involvierten Parteien verschickt und sind nicht öffentlich.

Jolanda Achermann: «Falsch rübergekommen»

Die Surseer SP-Sozialvorsteherin Jolanda Achermann, die sich für das LUPS-Projekt stark gemacht hatte, sagt auf Anfrage von zentral+, der Bericht in der Surseer Woche sei «falsch rübergekommen».

Der Stadtrat sei nicht gegen das inhaltliche Anliegen der LUPS und sehe den vermehrten Raumbedarf. Aufgrund der Abklärungen und Einschätzung des städtischen Hausjuristen habe die Exekutive das Gesuch für den Standort aber «zähneknirschend» abgelehnt. «Hätten wir dem Gesuch trotzdem zugestimmt, wäre das Bauprojekt lange Zeit blockiert gewesen», sagt die Stadträtin. Die Gegner des Vorhabens hätten sich gruppiert und daraufhin Einsprachen gemacht.

Zu den Äusserungen an den Infoveranstaltungen, zu denen sie ebenfalls eingeladen war, meint Achermann: «Als Sozi und Bereichsleiterin Gesundheit und Soziales kam mir das natürlich schon schräg rüber. Man kann nicht verheimlichen, dass da von gewissen Anwohnern ein völlig falsches Bild von der Psychiatrie gezeichnet wurde.» Sie habe den Eindruck, man wolle einfach nicht wahrnehmen, dass es solche Probleme gibt. «Man kann die Leute ja nicht verbannen», fügt die Stadträtin hinzu.

Die Information der LUPS, dass auch Personen mit Suchtproblemen das Ambulatorium besuchen könnten, sei ausserdem falsch interpretiert worden. «Es war nie die Rede, in Sursee Drogen abzugeben. Dafür gibt es das Drop-In in Luzern.» Achermann versteht nicht, warum ein solcher Proteststurm los ging, zumal ja auch in der LUPS-Tagesklinik Seeblick im Quartier täglich Patienten ein- und ausgingen.

Keine generelle Ablehnung

Gibt es generell vermehrt Proteste gegen neue psychiatrische Einrichtungen, fragten wir Thomas Lemp von LUPS. «Nein. An anderen Orten hatten wir keine Probleme. Aber wenn man das Wort Psychiatrie nennt, geht oft die Fantasie los», sagt Lemp. «Beim Arm im Gips kann man nachvollziehen, was der Person passiert ist, bei psychischen Krankheiten weniger. Das kann schon Ängste auslösen.» Die heftigen Reaktionen hätten aber auch die LUPS überrascht, sagt Lemp.

Schwestern ohne Alternative

Fest steht: Der Standort ist jetzt definitiv vom Tisch. Auch für die Besitzerinnen der Liegenschaft. Die Generalleitung des Klosters hat laut Schwester Marie-Ruth Ziegler an ihrer letzten Sitzung entschieden, den Entscheid der Stadt Sursee nicht weiterzuziehen. «Wenn wir das Gebäude nicht rückbauen, sondern weiterhin einer Nutzung zuführen wollen, muss diese – laut Meinung des Stadtrates – im Bereich eines Schulangebotes liegen», erklärt die Nonne.

Auch dort handelt der Stadtrat so wie es die Villenbesitzer aus dem Quartier wünschen: Die opponierenden Anwohner haben signalisiert, dass sie mit einer weiteren schulischen Nutzung einverstanden wären.

Wie weiter mit LUPS-Projekt?

Laut Sozialvorsteherin Jolanda Achermann sind zwei alternative Standorte für das LUPS-Projekt im Gespräch. Konkret geht es um eine städtische Parzelle vor dem Spital. Dort steht ein ehemaliger Kindergarten, der von einer Spielgruppe benutzt wird. Ein zweites Grundstück in Spitalnähe, das als Parkplatz dient, gehört hälftig Stadt und Kanton. «Für diesen Standort führen wir Gespräche mit dem Kanton», sagt Achermann.
Der Stadtrat sei im Gespräch mit dem Kanton und dem Kantonsspital, um die Entwicklung im Spitalareal gemeinsam zu verfolgen.
Die anderen Standorte von LUPS in Sursee seien übrigens nicht bestritten, fügt Achermann hinzu, «LUPS ist weiterhin willkommen bei uns.»

In der Liegenschaft Seeblick beim Spital Sursee ist schon heute eine Tagesklinik der LUPS beheimatet.

In der Liegenschaft Seeblick beim Spital Sursee ist schon heute eine Tagesklinik der LUPS beheimatet.

(Bild: Flavia Rivola)

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Leo
    Leo, 11.03.2014, 10:37 Uhr

    Das darf doch einfach nicht wahr sein in der heutigen, aufgeklärten Zeit.

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon