Die brennendsten Fragen zum Fall Malters

Suizid-Drama: Was wusste Paul Winiker?

Links: Der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann. Rechts: Sein Chef, Regierungsrat Paul Winiker (SVP). Im Hintergrund: In diesem Haus spielte sich das Drama von Malters ab. (Bild: Montage, bra)

Die neusten Enthüllungen um den Selbstmord einer 65-Jährigen in Malters werfen hohe Wellen. zentralplus hat die wichtigsten Fragen zusammengestellt. Dabei geht es auch um die Rolle des zuständigen Justiz- und Sicherheitsdirektors, Paul Winiker. Doch dieser mauert – und schiesst in einer Videobotschaft zurück.

Der Polizeieinsatz in Malters von Anfang März, bei dem sich eine paranoide 65-jährige Frau erschossen hat, birgt noch viel mehr Sprengstoff als ursprünglich angenommen. Offenbar hat der Luzerner Polizeikommandant Adi Achermann die Öffentlichkeit belogen, wie die «Rundschau» aufgedeckt hat (hier geht’s zum Artikel). Das könnte für Achermann und den mitverantwortlichen Einsatzleiter Daniel Bussmann schwerwiegende Folgen haben.

Beim Kanton und der Luzerner Polizei gibt man sich seither wortkarg.

zentralplus hat deshalb die neusten drängendsten Fragen zusammengestellt und, soweit möglich, beantwortet. Wichtig: Es gilt weiterhin die Unschuldsvermutung, um eine Vorverurteilung zu verhindern. Auch weil zentralplus selber keinen Einblick in die Unterlagen der laufenden Untersuchung hat. Es ist aber davon auszugehen, dass die Informationen der «Rundschau» korrekt sind. Dies hat gegenüber zentralplus etwa der ehemalige Basler Polizeikommissär Markus Melzl bestätigt. Melzl hat die Dokumente der «Rundschau» analysiert.

1. Warum hat Adi Achermann an der Medienkonferenz vom 9. März behauptet, der polizeiliche Zugriff in die Wohnung sei mit allen Beteiligten, explizit auch mit dem zugezogenen Polizeipsychiater, erfolgt?

Denn diese Aussage ist vermutlich falsch. Gemäss Recherchen der «Rundschau», die Einsicht in die Verfahrensunterlagen des ermittelnden Staatsanwaltes hatte, kommt klar hervor, dass der Polizeipsychologe explizit von einem Zugriff abgeraten hat. «Die Frau könnte sich sonst das Leben nehmen», warnte er. Die Einsatzleitung solle abwarten. «Irgendwann ist die Frau erschöpft und die Situation kann ohne Eskalation beendet werden.» Der Psychologe sei sehr erstaunt darüber gewesen, dass das Achermann vor der Öffentlichkeit verschwiegen habe. Achermann hat laut Aussagen des Psychologen vor dem Zugriff argumentiert, man müsse den Mut haben, eine Entscheidung zu treffen. Er werde die Verantwortung dafür übernehmen.

2. Warum hat der Polizeikommandant an der Medienkonferenz behauptet, dass man habe eingreifen müssen, weil von der Frau eine Gefahr ausgehe?

Denn auch das hat der Polizeipsychologe vor Ort offenbar dementiert. Der Psychologe sagte laut der «Rundschau», dass die Frau zwar weiterhin unberechenbar sei. Jedoch reagiere sie mit Drohungen nur auf Provokationen. Zudem sei die Umgebung evakuiert worden, weshalb keine akute Fremdgefährdung von Personen in der Umgebung bestehe. Gemäss der «Rundschau» hat die Frau offenbar vor der Intervention noch mehrfach versucht, die Polizei anzurufen. Dietmar Heubrock, Professor am Institut für Rechtspsychologie der Universität Bremen, kritisierte in der Sendung das Vorgehen der Luzerner Polizei. Indem eklatant gegen die Ratschläge des Psychologen verstossen worden sei, habe man den Tod der Frau in Kauf genommen.

3. Warum hat Achermann an der Medienkonferenz behauptet, vor dem gewaltsamen Aufbrechen der Wohnung durch die Polizei seien Schüsse gefallen und man habe deswegen reagieren müssen?

Auch diese Aussage scheint falsch zu sein. Aus dem Funkprotokoll des Zugriffs geht laut «Rundschau» klar hervor, dass es direkt vor dem Zutritt zur Wohnung keine Schüsse gab. Vielmehr fielen die Schüsse erst, nachdem die Polizei die Türe aufbrach und einen Hund reinschickte, der die Frau stellen sollte. Allerdings vergeblich, weil die Frau möglicherweise nicht dort stand, wo sie von der Polizei vermutet wurde und wohin der Hund geschickt wurde. Oskar Gysler, der Anwalt des Sohnes der 65-jährigen Frau, erhebt schwere Vorwürfe gegen den Luzerner Polizeikommandanten. In der «Rundschau» sagte er, Achermann habe der Öffentlichkeit nicht die volle Wahrheit gesagt und es mache gar den Eindruck, als habe er sie absichtlich getäuscht. Dass die Polizei den Zutritt zur Wohnung mit der akuten Gefährdung begründete, die von der Frau ausgehe, bezeichnete Gysler als «Schutzbehauptung.»

4. Wer wusste an der Medienkonferenz vom 9. März, dass diese Aussagen möglicherweise falsch waren?

Anwesend waren u.a.: Daniel Eberle, Staatsanwaltschaft Zürich, Adrian Gyger, Staatsanwaltschaft Luzern, Adi Achermann, Kommandant der Luzerner Polizei, sowie Simon Kopp, Sprecher der Strafuntersuchungsbehörden. Der zuständige Regierungsrat Paul Winiker sass im Publikum. Hier wird interessant zu erfahren sein, wer alles vom vermeintlich wirklichen Ablauf wusste. Und wer nebst den Medienvertretern und der Öffentlichkeit womöglich sonst noch getäuscht wurde.

5. Wie viel wusste Achermanns Chef, Regierungsrat Paul Winiker, vom tatsächlichen Ablauf?

Gegenüber zentralplus sagte Winiker am 29. März: «Ich denke, beim Einsatz ist nichts schiefgelaufen. Der Entscheid der Einsatzleitung war nachvollziehbar.» Auch hat Winiker damals gesagt, dass in Malters ein weiteres Zuwarten wohl nichts gebracht hätte. Winikers Antworten gäben Aufschluss darüber, ob und gegebenenfalls wie er in die Sache verwickelt ist. Aber: Der Regierungsrat will dazu, wie auch zu weiteren von zentralplus gestellten Fragen, nichts sagen. Mit Verweis auf das laufende Verfahren dürfe er derzeit keine Stellung nehmen.

Winiker verschickte am Mittwochabend ein Videostatement. Darin stellt er sich hinter die angeklagten Polizisten und warnt vor Vorverurteilungen:

6. Hat der Fall für die beiden involvierten Polizisten Adi Achermann und Daniel Bussmann schon jetzt Folgen?

Auch dazu will sich Winiker nicht äussern. Bekanntlich wurde der Zuger alt Regierungsrat Hanspeter Uster parallel zum laufenden Verfahren der Aargauer Staatsanwaltschaft damit beauftragt, die Sache zu untersuchen. Ziel: Er soll der Luzerner Polizei vor Abschluss der Untersuchungen Empfehlungen abgeben, wie sie sich verhalten soll. Etwa in Bezug auf Achermann und Bussmann. Doch Winiker sagt selbst nicht, bis wann diese Resultate vorliegen sollen. Uster hatte bereits im Frühsommer Einsicht in die Akten. Er war für zentralplus nicht erreichbar.

7. Müsste Achermann bei einer Verurteilung wegen vorsätzlicher Tötung entlassen werden?

zentralplus hat dazu den ehemaligen Basler Kriminalkommissär Markus Melzl befragt. Er hat sich bereits mit dem Fall auseinandergesetzt: «Eine solche Verurteilung wäre ein ziemlicher Makel. Aber ob es zwingend zu einer Entlassung kommen müsste, wage ich nicht zu sagen.» Wenn die politisch Verantwortlichen gut begründen könnten, warum er bleiben solle, wäre dies theoretisch denkbar. Melzl ist übrigens ziemlich sicher: «Der gewaltsame Gang in die Wohnung ist mit höchster Wahrscheinlichkeit kausal mit dem Suizid der Frau verbunden.» Die Einsatzleitung habe offenbar den Faktor Zeit höher gewertet als die Unversehrtheit der verschanzten Frau.

8. Bis wann liegen die Ergebnisse von Staatsanwalt Christoph Rüedi vor?

zentralplus hat nachgefragt. Rüedis Antwort: «Ich gehe davon aus, dass ich gegen Ende Jahr die Untersuchung beenden werde. Sobald dies der Fall ist, werde ich die Medien aktiv informieren.»

Schwieriger Einsatz endet im Debakel

Am Dienstag, 8. März 2016, hatte die Luzerner Polizei im Rahmen eines ausserkantonalen Strafverfahrens den Auftrag, in Malters eine Wohnung zu durchsuchen. Aus Zürich kam der Hinweis, dass dort eine Hanfplantage betrieben werde (was sich als korrekt erwies). Denn der Besitzer der Wohnung wurde in Zürich wegen entsprechender Delikte verhaftet.

Doch vor Ort drohte überraschend eine in der Wohnung anwesende Frau – die Mutter des Drogenhändlers –, auf die Polizei und andere Personen zu schiessen oder sich das Leben zu nehmen. Sie war mit einem Revolver bewaffnet und feuerte damit mehrmals herum. Die Frau verlangte, mit ihrem Sohn sprechen zu können, was ihr aber verweigert wurde. Dafür  konnte sie mit ihrem Anwalt telefonieren und teilte diesem mit, dass sie noch etwas Zeit zum Überlegen benötige. Sie könne sich der Polizei noch nicht stellen. Ansonsten werde sie sich erschiessen (nachzuhören im Originalton in dieser Rundschau-Sendung.)

Frau machte Ankündigung wahr

Doch weder informierte der Anwalt die Polizei über diese Suiziddrohung, noch erkundigte sich die Polizei beim Anwalt über den Inhalt des Gesprächs. Während des Einsatzes hat die Polizei zudem erfahren, dass die Frau psychisch krank war und sich vor einer erneuten Einweisung in eine Psychiatrie fürchtete.

Nach insgesamt 19 Stunden ergebnisloser Verhandlung beschloss die Einsatzleitung der Polizei, die Wohnung durch die Sondereinheit Luchs aufzubrechen. Dabei erschoss sich die Frau wie angekündigt.

In diesem Zusammenhang hat der Sohn der Frau Strafanzeige gegen den Kommandanten der Luzerner Polizei, Adi Achermann, und gegen den Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, eingereicht. Und zwar wegen fahrlässiger Tötung sowie Amtsmissbrauch. Die Untersuchung wurde dem ausserkantonalen, unabhängigen Staatsanwalt Christoph Rüedi übertragen. Er will bis Ende Jahr klären, ob ein strafbares Verhalten seitens der Einsatzleitung vorliegt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

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