Organisatorin der Zuger Velodemo angezeigt

Strafuntersuchung wegen «dauernden Klingelns mit der Fahrradklingel»

Zuger Velodemo auf der Bahnhofstrasse: Zuvorderst Astrid Estermann (links), Andreas Hürlimann und Andreas Lustenberger. (Bild: zvg)

Weil die Teilnehmer an der Zuger Velodemo 2018 mit der Fahrradklingel geklingelt und Selfies gemacht hatten, hat die Zuger Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufgenommen. Eine Posse, die immerhin zu einer wichtigen Erkenntnis geführt hat.

Zufrieden beobachteten zwei Polizisten am Vorabend des 22. Septembers 2018 – einem Samstag –, wie rund 100 Velofahrerinnen und Velofahrer vom Zuger Bundesplatz aus zur bewilligten Velodemo aufbrachen, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Sie fuhren der Vorstadt entlang und benutzten dabei den Radweg – genau so, wie es ihnen die Zuger Polizei zur Auflage gemacht hatte.

Doch dann bog der Corso auf Strassen ein, auf denen es keine Radwege gibt. Schockiert beobachteten die Ordnungshüter, wie die Velofahrer die Strasse auf ihrer ganzen Breite in Beschlag nahmen. Und wie Teilnehmer während der Fahrt mit ihren Handys Selfies machten.

«Erhebliche Lärmemissionen»

Sie stellten fest, dass im Corso ein Anhänger mit einem Plakat in Übergrösse mitgeführt wurde. Dass wegen der Velodemo, die sich gemächlich und geordnet durch die Zuger Innenstadt bewegte, die Busse langsamer vorankamen. 

«Ich fühlte mich wie eine Verbrecherin.»

Astrid Estermann, Velodemo-Organisatorin

Dies alles schrieben sie in ihren Rapport. «Im Weiteren haben die Radfahrer des Demonstrationsumzugs während des Umzugs dauernd mit der Fahrradklingel geklingelt, was erhebliche Lärmemissionen erzeugte», notierten sie.

Gute Beurteilung beim Debriefing

Zudem ereignete sich auf der Baarerstrasse auf Höhe des Einkaufszentrums Metalli ein Malheur mit einer Ampel. Sie konnte nicht wie geplant vom Ordnungsdienst ausgeschaltet werden und sprang auf Rot, noch während die Velodemo die Stelle passierte. Die Nachhut des Corsos fuhr dennoch weiter.

Die Bewilligungen für die Velodemo hatte die damalige Stadtzuger Gemeinderätin Astrid Estermann für die Partei «Alternative – die Grünen» eingeholt. In einem Telefonat habe ihr der Verantwortliche der Zuger Polizei anschliessend gesagt, dass die Demo an sich gut verlaufen sei. Dass man bei einer zweiten Demo aber die Selfies unterlassen müsse und man aufpassen solle, dass sich der Vorfall mit dem Rotlicht nicht nochmals ereigne.

Zehn Monate später einvernommen

Knapp ein Jahr später wurde Astrid Estermann von der Zuger Staatsanwaltschaft vorgeladen und fand sich in einer polizeilichen Befragung wieder. «Ich fühlte mich wie eine Verbrecherin», sagt sie. «Vor allem, weil ich erst am Schluss der Befragung herausfand, was mir zur Last gelegt wird.»

«Das andauernde Klingeln mit der Fahrradklingel stellt eine vermeidbare Lärmbelästigung dar, die gemäss dem Strassenverkehrsgesetz verboten ist.»

Judith Aklin, Zuger Strafverfolgungsbehörden

Sie sei «vollkommen perplex» gewesen.  Denn sie habe ja die Velodemo angemeldet und sogar einen  Sicherheitsdienst organisiert, «weil es eben keine normale Ausfahrt einer Gruppe Velofahrendender war».

Verstoss gegen Verkehrsregeln

Einzelne Demo-Teilnehmer hätten die Auflagen der Demonstrationsbewilligung und die Verkehrsregeln missachtet, sagt Judith Aklin, Sprecherin der Zuger Strafverfolgungsbehörden. Daher habe die Zuger Polizei die Organisatorin befragt und bei der Staatsanwaltschaft eine Anzeige wegen «Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen» gemacht.

Gegen die Verkehrsregeln verstösst gemäss Aklin «unter anderem» das Missachten eines Rotlichts, das ständige Klingeln sowie das Erstellen von Selfies während der Fahrt.

Dass man vor einem Rotlicht anhalten muss, ist klar. Dass man den Velolenker nicht loslassen sollte, um Fotos zu machen, zumindest nachvollziehbar. Doch gegen welches Gesetz verstösst das Klingeln? «Das andauernde Klingeln mit der Fahrradklingel stellt eine vermeidbare Lärmbelästigung dar, die gemäss Artikel 42 Absatz 1 des Strassenverkehrsgesetzes verboten ist», sagt Judith Aklin.

Seltsam mutet an, dass die Zuger Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen erst zehn Monate nach dem denkwürdigen Ereignis aufnahm. Als Estermann Ende Juli einvernommen wurde, hatte sie schon die Bewilligung für die zweite Zuger Velodemo im Sack. Diese fand wiederum im September statt.

Ermittlungen vor wenigen Tagen eingestellt

Nun ging sie allerdings auf Nummer sicher. «Ich wollte nicht riskieren, noch ein zweites Mal einvernommen zu werden», sagt sie. In Gesprächen mit der Zuger Polizei wurde vereinbart, dass die Velodemo auf der normalen Fahrbahn stattfinden kann, selbst wenn die Strassen rechts einen Radstreifen haben. Auch dass der Anhänger mit dem Plakat mitgeführt werden darf und dass alle Rotlichter ausgeschaltet werden, wurde vorgängig abgemacht. Ebenso wurde die Erlaubnis, dass die Demonstranten klingeln dürfen, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen, eingeholt.

Wer bezahlt den Ordnungsdienst?

Ihre Ermittlungen wegen «Ungehorsams gegen amtliche Verfügungen» hat die Zuger Staatsanwaltschaft erst kürzlich (am 27. November) eingestellt.

Doch Estermann hatte bereits vorher etwas Wichtiges erreicht. Sie wollte nämlich, dass die Organisatoren der Velodemo den Ordnungsdienst selber ausführen dürfen, wie es auch in Luzern oder Zürich möglich ist. Damit sollten Kosten eingespart werden.

Die Zuger Polizei indes beharrte darauf, dass er durch einen spezialisierten privaten Sicherheitsdienst übernommen  wird. Allerdings wurde er anstandslos vom Kanton Zug bezahlt.

Bundesgericht sagt, was der Staat leisten muss

Estermann fand nämlich heraus, dass das Bundesgericht 2018 entschieden hatte, dass die Kosten für die Verkehrsregelung bei Kundgebungen nicht überwälzt werden dürfen.

Das höchste Gericht im Land sagt, dass der Staat die Kosten tragen muss, die im Zusammenhang mit der Wahrnehmung von Grundrechten anfallen. Explizit ist die Rede von Kosten, die anfallen, weil die Veranstaltung «polizeilich geschützt, Absperrungen errichtet oder der Verkehr umgeleitet bzw. geregelt werden» müssen.

Streikende Frauen wussten von nichts

Wenig tröstlich ist diese Erkenntnis für die Organisatorinnen des Zuger Frauenstreiks, die kürzlich mit 650 Franken Busse belegt wurden, weil sie ohne Bewilligung etwa 10 Minuten lang auf der Strasse marschiert waren (zentralplus berichtete).

Um die Erlaubnis zu erhalten, die Strasse zu benützen, hätten sie einen privaten Sicherheitsdienst engagieren und ihn selber bezahlen müssen, sagt Anna Spescha, Juso-Aktivistin und Kantonsrätin.

Spescha: «Das ist nicht richtig»

«Dies konnten wir uns nicht leisten», sagt Spescha. Hinter dem Frauenstreik stehe kein Verein, sondern Einzelpersonen, die sich zu einem Organsationskomitee zusammengeschlossen hatten.

«Wir werden keine Beschwerde gegen die Busse erheben», sagt Spescha, «weil die Auflagen für die Bewilligung ja wirklich verletzt wurden.» Aber dass man im Vorfeld verlangt hatte, einen Ordnungsdienst zu engagieren und ihn selber zu bezahlen, sei nicht richtig. «So wird das verfassungsmässige Recht auf Versammlungsfreiheit unzulässig eingeschränkt. Deshalb fordern wir nun von der Regierung, uns die Busse zurückzuerstatten,» sagt Spescha. «Wir warten gespannt auf eine Antwort.»

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2 Kommentare
  • Profilfoto von Hans Peter Roth
    Hans Peter Roth, 05.12.2019, 23:43 Uhr

    Willkommen in der Kirschtortenrepublik Absurdistan !

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  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 03.12.2019, 12:34 Uhr

    Jetzt wird es nur noch lächerlich und ich bin geneigt, die Auflösung der Staatsanwaltschaft zu verlangen, oder wenigstens alle Abschlüsse die sie komischerweise erhalten haben für ungültig zu erklären. Es ist einfach nur noch dumm, was in diesem unseren Staat abläuft. schafft doch die Demonstrationsfreiheit ab und erhebt das Strassenverkehrsgesetz zur Gottheit. Aber es würde schon genügen, wen Ihr beim Arbeiten das Hirn einschaltet.

    Sorry, wen ich so plakativ bin, aber wer Verordnungen so vergöttert, muss sich nicht wundern, wenn niemand mehr das Recht ernst nimmt.

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