Zuger Erfolgsidee wird zur idée fixe

Steuern senken leicht gemacht

Schaut mit scharfem Blick in den Kanton hinaus. Georg Stucky sitzt im Sessel und erklärt, weshalb ihm das Steuernsenken damals so leicht gefallen ist. Erhöhen, das sei heute fast unmöglich. (Bild: fam)

Steuerparadies. Das Vorurteil hat sich der Kanton Zug erst verdienen müssen. Denn vor sechzig Jahren war Armut angesagt. Bis die Idee aufkam: Steuern senken, dann kommt das Kapital. Sie ist erst zur goldenen Regel geworden, dann zum Selbstzweck. Weshalb tut sich Zug so schwer, wenn es um Steuererhöhungen geht? Woher stammt das Tabu? Wir gehen auf Spurensuche beim Erfinder der Tiefsteuerpolitik, bei Altregierungsrat Georg Stucky.

Steuern senken kann er gut. Der kleine Kanton zwischen Zürich und Luzern ist in den 70ern als verlumpter Landstreicher unter den Schweizer Ständen zwischen Misthaufen und Acker hervorgekrochen und hat sich was getraut. Wie man auf die Idee kam, das weiss nicht einmal mehr der damalige Finanzdirektor Georg Stucky. «Sie war einfach da, die Idee», sagt der alte Mann, 84 ist er, und will doch noch anmerken: «so dramatisch wie Sie hätte ich das über Zug aber nicht geschrieben, von wegen verlumpt und Misthaufen.» Heute ist von Verlumptheit auch keine Spur mehr auszumachen, und die Misthaufen sind selten geworden. Er würde sie sehen, gäbe es sie noch: Stucky sitzt in seinem Sessel, und aus seiner Terassenwohnung in der hintersten Ecke Baars sieht er den ganzen Kanton. Sogar einen Spitz von Oberägeri, Menzingen sowieso, bis nach Cham und Risch. «Am Schwierigsten ist Walchwil. Aber ich habe herausgefunden, dass die Ecke da vorne auch noch dazugehört.» Ein ganzer Kanton vor dem Fenster. Der hat anders ausgesehen, als Stucky angetreten ist, 1975.

«Weltrekord» im Steuernsenken

«Wir hatten die höchste Pro Kopf Verschuldung in der ganzen Schweiz», sagt Stucky, «Pro Kopf!» Zug als Armenhaus, keine vierzig Jahre her. Und dann die Idee. Sie war damals nicht so schwerwiegend, gar nicht so bahnbrechend. Was sie ausgelöst hat, hätte nicht einmal Stucky erwartet: «Niemals, wir haben nicht geahnt, was da kommt.» Erst die Handelsfirmen, die Arbeitsplätze, dann die Budgetüberschüsse. Und sobald es möglich war, hat Stucky die Steuern ein weiteres Mal gesenkt. «Aber immer nur dann, wenn es mit der Rechnung aufgegangen ist.» Neun Mal insgesamt, in sechzehn Jahren. Das ist Weltrekord, hat Stucky im Zuge eines Interviews gesagt, gegenüber dem Schweizer Fernsehen, das gehöre ins Guinness-Buch der Rekorde.  Er lacht und sagt, «das sind meine vier Sinfonien.» Vier mal vier Jahreszeiten voller Steuersenkungen. Die ersten paar Male hat Stucky die Senkungen selber angestossen. Dann war die Idee gesetzt. «Ich wollte sogar ein Mal die Steuern nicht senken, obwohl es möglich gewesen wäre. Ich dachte, lieber vorsichtig bleiben. Aber da hat sofort das Parlament reklamiert. Und hat dem Regierungsrat eine Steuersenkung befohlen. Ich habe auf den Stockzähnen gelacht.» Stucky hat die Gespräche mit der Wirtschaft eingeführt, hat den grossen Unternehmen auf den Zahn gefühlt, hat den heute so viel gerühmten «Spirit of Zug» angestossen.

Eine goldene Regel, eine fixe Idee

Runter mit den Steuern, dann kommt die Wirtschaft. Die Idee ist zum Selbstläufer geworden, aber auch zum Selbstzweck. Sie hat so gut funktioniert, dass sie mittlerweile in die Zuger Politikerköpfe eingebrannt ist. In ein Rezept gegossen, zum Mantra formuliert, eine goldene Regel, eine fixe Idee. Vielleicht aus Angst vor der alten Armut. Warum ist es so schwer, in Zug über Steuererhöhungen zu sprechen? Warum jagt die Volksabstimmung im Kanton Schwyz der Zuger Politikergarde kalte Schauer über den Rücken? Als Gregor Kupper im Grossen Gemeinderat der Stadt Zug unter grossen Vorsichtsmassnahmen angetönt hatte, vielleicht müsse man auch auf der Einnahmeseite an den Zuger Finanzen schrauben, wurde er aus dem bürgerlichen Lager verbal zum Teufel gejagt: Eine Steuererhöhung stehe niemals zur Debatte, sagte SVP-Gemeinderat und Kantonsrat Philip C. Brunner. Tabubruch, schrieben die Zeitungen.

Runter, das war leicht

Zu Stuckys Zeiten war die Steuerpolitik keine Tabuzone, sondern ein Werkzeug, um den Kanton zu entwickeln. «Wir konnten das Instrument benutzen, das Holdingprivileg zum Beispiel, um Firmen anzuziehen.» Damit wurde ein Weg eingeschlagen, der sich zunehmend in eine Einbahnstrasse verwandelte. Runter mit den Steuern, das war leicht, sagt Stucky, der Erfinder des Steuerstandortes Zug. «Aber rauf, das ist sehr schwierig. Dafür braucht es sehr gute Argumente, um das der Bevölkerung zu erklären.»

«Da ging es wohl um das eigene Portemonnaie»

Aber ist es überhaupt möglich in Zug? Wäre es damals, am Anfang noch möglich gewesen? «Ich glaube, es wäre damals noch gegangen.» Wobei, die SP habe es wiederholt versucht. «Die haben eine Initiative gemacht in den 80ern, sie wurde hoch abgelehnt. Die Leute wollten keine Steuererhöhung in Kauf nehmen, da ging es wohl um das eigene Portemonnaie.» Heute ist die Frage weniger konkret, sie ist abstrakter geworden: Steuererhöhungen verursachen, dass die Firmen gehen, so das bekannte Argument. Davor hatte man in den 70ern noch keine Angst, es gab ja auch nichts zu verlieren. «Und es gab damals auch die SVP noch nicht, noch keinen so prononcierten rechten Block im Parlament, der sich aufs Sparen konzentriert. Heute wäre eine Erhöhung auch wegen ihr fast unmöglich.»

Ein Ende des Tabus?

Aber muss man denn über Steuern so ideologisch nachdenken? Eine Richtung einfach ausblenden, wie das die Grünen den Bürgerlichen gerne vorwerfen? «Nein, da müssen Sie sich lösen», sagt Stucky und nippt vom Milchkaffee, den seine Frau gemacht hat. «Die Steuern sind nur ein Instrument. Es kann auch im Kanton Zug auch ein Mal Voraussetzungen geben, unter denen eine Steuererhöhung Sinn macht.»

Denn das Wunder, das sei vorbei. «Damals hat die Senkung so gut gewirkt, weil wir die Ersten waren. Mittlerweile funktioniert das nicht mehr. Das sieht man ja jetzt in Schwyz. Das wird auch nicht mehr kommen.» Zug ist nicht mehr der Platz mit den tiefsten Steuern, da sind andere nachgezogen. «Wir waren lange der Kanton mit der grössten Wachstumsrate in der Bevölkerung. Wir sind es nicht mehr. Das ist doch symptomatisch. Und wir werden es auch nicht mehr werden.» Also braucht es andere Ideen. «Nur noch aufgrund der Steuern kann man international nicht mehr attraktiv sein.» Wo sieht Stucky die Chance für den Kanton? «Wenn Zug es schafft, attraktiv zu bleiben, mit guter Infrastruktur, aber auch günstig, dann kann er erfolgreich bleiben.»

Ein ganzer Kanton unter dem Wohnzimmer. Der hat anders ausgesehen, als Stucky angetreten ist. «Da gab es Kirschbäume, echte Hochstämmer. Viel mehr Natur.» Auch eine Auswirkung der tiefen Steuern. «Ja», sagt Stucky, «das ist die Kehrseite. Wir haben landschaftlich viel eingebüsst. Das muss man in Kauf nehmen. Natürlich würde ich viel lieber auf Wiesen und Felder blicken als auf Bauplätze und Hochhäuser. Aber dafür macht die öffentliche Hand in Zug wirklich viel für die Bildung, für den ÖV. Sogar für den Wohnraum. Das muss man gegeneinander abwägen. Oder wollen wir auf all das verzichten?»

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