Wahlen Stadt Luzern: Wer spannt zusammen?

Stehen SP und SVP vor historischen Siegen?

Wer wird nach den Wahlen in der Stadt Luzern vom 1. Mai als Gewinner gefeiert, und wer zieht als Verlierer vom Feld? (Bild: fotolia.com/Montage z+)

Die Wahlen in der Stadt Luzern vom 1. Mai sorgen bei den Parteistrategen für rauchende Köpfe und hitzige Diskussionen. Im Zentrum der Debatte wird unter den Bürgerlichen um die Frage gestritten: Wer soll mit wem eine Listenverbindung eingehen? zentral+ analysiert die Ausgangslage und orakelt über mögliche Würstchen, Zwerge und Stillstandskandidaten.

Rechnen, prognostizieren, orakeln, hoffen: Schon seit langem sind die Parteistrategen intensiv am Grübeln, wie sie an den Gesamterneuerungswahlen vom 1. Mai am besten abschneiden. Dabei spielt der Leistungsausweis die grösste Rolle, auch die Bekanntheit der eigenen Kandidaten sowie die Rücktritte von «Promis» aus den Fraktionen können das Abstimmungsergebnis beeinflussen. Ein weiterer, derzeit heiss diskutierter Aspekt betrifft die Listenverbindungen. Denn wer mit wem zusammenspannt, ist entscheidend für erfahrungsgemäss 2 der 48 Sitze im Stadtparlament. Das tönt nach wenig, kann aber aufgrund der knappen Mehrheiten je nach Koalition eine sehr gewichtige Rolle spielen.

Bürgerlicher Streit über Listenverbindungen

Eines dieser beiden Restmandate sichern sich seit Jahren souverän die Linken. SP (12 Sitze) und Grüne (7 Sitze) halten auch dieses Jahr zusammen. Vor vier Jahren holte die CVP (9 Sitze) dank einer Listenverbindung mit der FDP (9 Sitze) das zweite Restmandat. Doch dieses Jahr tun sich die beiden Parteien schwer, denn die FDP möchte auch die SVP einbinden und das bürgerliche Lager mit einem Schulterschluss zum Erfolg führen. Da spielt aber die CVP nicht mit.

Nun hat der Luzerner Politologe Olivier Dolder vom Forschungs- und Beratungsbüro Interface Berechnungen durchgeführt. Basierend auf den Ergebnissen aus den Kantonsratswahlen vom letzten Frühling und den Nationalratswahlen vom Herbst 2015, hat er analysiert, welche Parteien mit welchen Listenverbindungen die Restmandate einkassiert hätten. Seine Erkenntnisse hat er auf lu-wahlen.ch veröffentlicht. Mit dem Vermerk: Eins zu eins lassen sich die Ergebnisse natürlich nicht auf die Wahlen vom 1. Mai 2016 runterbrechen. zentral+ beleuchtet die spannendsten Aspekte.

Tabelle 1: Grundlage hier ist die Nationalratswahl vom Herbst 2015. Dolder hat aufgrund diverser Listenverbindungsszenarien berechnet, wie sich die Sitzgewinne und -verluste aufs Luzerner Stadtparlament auswirken könnten.

Tabelle 2: Grundlage hier ist die Kantonsratswahl vom Frühling 2015. Dolder hat aufgrund diverser Listenverbindungs-Szenarien berechnet, wie sich die Sitzgewinne und -verluste aufs Luzerner Stadtparlament auswirken könnten.

Erdrutsche wird es keine geben

Das auch von vielen anderen Politikern geteilte Grobfazit zuerst: Mit grossen Veränderungen ist nicht zu rechnen. Sitzgewinne oder Verluste dürfte es pro Partei höchstens einen bis zwei geben. Zu den Gewinnern dürften die Polparteien SVP und SP gehören. Ihre Erfolge werden wohl aber auf Kosten des eigenen Lagers gehen: Gewinnt die SVP, verliert am ehesten die CVP. Macht die SP mehr Stimmen als vor vier Jahren, serbeln die Grünen weiter.

An den oft knappen Mehrheitsverhältnissen im Parlament ändert sich deshalb vermutlich nichts. Heute sieht’s ja so aus: Wenn SVP, FDP und CVP zusammenspannen, haben sie mit 25 von 48 Sitzen eine knappe Mehrheit. Die vereinigte Linke hat mit 19 Sitzen allein nichts zu melden, nur wenn sie von der GLP (4 Sitze) oder der CVP unterstützt wird, bringt sie ihre Anliegen durch. Dies geschieht oft in ökologischen Fragen. Zu den einzelnen Parteien:

 

SVP: Aufstieg zu den Grossen?

Voraussichtlicher Gewinner Nr. 1

Im Vergleich zur Kantonalpartei ist die städtische SVP schon fast ein kleines Würstchen. In Zahlen: Bei den Grossstadtratswahlen 2012 wählten nur knapp 15 Prozent der Städter SVP. Bei den Nationalratswahlen 2015 machten 28 Prozent der Kantonsbevölkerung die SVP zur stärksten Partei.

Doch Dolders Berechnungen zufolge dürfte am 1. Mai nun auch die Stadt-SVP vom allgemeinen Trend profitieren. Auf Basis der Kantonsratswahlen hätte sie je nach Listenverbindung 1 bis 2 Sitze mehr geholt. 2 Sitze mehr könnte bedeuten: Sie gehörte mit 9 Vertretern nach der SP mit zu den grössten Stadtparteien. Das wäre ein schöner Erfolg, wenn man bedenkt, dass die Partei erst seit 1996 im Stadtparlament vertreten ist. Wobei: 9 Sitze holte die SVP bereits 2004, verlor 2  davon jedoch ruckzuck wieder.

Bedingung für zwei mögliche Sitzgewinne wäre aber: eine Listenverbindung mit CVP und/oder FDP. Die SVP wäre also die grosse Profiteurin dieser Zusammenarbeit. Auf Basis der Nationalratswahlen hätte die SVP gar bis zu drei zusätzliche Sitze geholt − was Rekord wäre. «Das wäre natürlich sehr erfreulich», sagt Parteipräsident und Stadtratskandidat Peter With. Zuversichtlich stimmt ihn auch, dass seine Stadtratskandidatur nun auch von Parteien wie der FDP sowie Wirtschaftsverbänden ernst genommen wird – das war bei früheren SVP-Kandidaten eher die Ausnahme. Dass die SVP die grosse Profiteurin von Listenverbindungen im bürgerlichen Lager wäre, will With logischerweise nicht überbewerten. Der gewiefte Stratege versucht zu versichern: «Darum geht’s uns nicht. Uns ist einzig wichtig, das bürgerliche Lager zu stärken.»

 

SP: Historisches Ergebnis in Griffweite?

Voraussichtlicher Gewinner Nr. 2

Wie die SVP am rechten Rand können auf der linken Seite auch die Sozialdemokraten auf einen Erfolg hoffen. Dolders Berechnungen sagen ihr mindestens einen Sitzgewinn voraus – wie erwähnt auch dank der Listenverbindung mit den Grünen. Mindestens 13 statt 12 Sitze für die SP könnte der Partei einen Wähleranteil von über 28 Prozent bescheren – das wäre ein historisches Ergebnis. Am besten für die SP wäre es, wenn sich die Bürgerlichen nicht zu einer Listenverbindung durchringen könnten.

SP-Fraktionschef Nico van der Heiden ist bezüglich Wahlerfolg durchaus optimistisch. Denn: «Seit 1995 schneidet die SP in der Stadt Luzern bei städtischen Wahlen immer besser ab als bei kantonalen Wahlen. Das stimmt uns im Hinblick auf den 1. Mai sehr zuversichtlich.» Allerdings macht er sich keine Illusionen: «An den grossen Blöcken im Parlament wird sich nichts verändern. Was für uns jedoch sehr wichtig wäre, ist ein gutes Abschneiden der GLP». Van der Heidens Kalkühl: Wenn die GLP plus die Grünen ihre Sitze halten können und die SP einen zulegt, würde im Parlament eine neue Öko-Energie-Koalition aus GLP, SP und Grünen entstehen. Mit 24 Sitzen würden dieser exakt die Hälfte des Parlaments angehören.

 

FDP: Schadet Ausrichtung nach rechts?

Möglicher Stillstandskandidat

Vor rund 60 Jahren waren die Freisinnigen in der Stadt eine Macht: 20 Sitze, gut 47 Prozent Wähleranteil. Diese Zeiten sind vorbei, mit gut 18 Prozent und 9 Sitzen muss sich die FDP aktuell begnügen. Und wenn es nach Dolders Berechnungen gemäss den Kantonsratswahlen geht, ändert sich für die FDP auch nach dem 1. Mai nichts: Sie kann ihr Sitze nur halten. Und zwar ganz egal, mit wem sie eine Listenverbindung eingeht. Wenn es aber ganz blöd läuft, könnte sie einen bis zwei Sitze verlieren, trotz Aufschwung auf nationaler und kantonaler Ebene – so hat Dolder aufgrund der Nationalratswahlen errechnet. Die dümmste Listenverbindung wäre dann: FDP und SVP. Doch auch von der grossen bürgerlichen Koalition FDP, SVP, CVP könnte die FDP laut Dolder nicht profitieren.

Darauf angesprochen enerviert sich der junge Parteipräsident Fabian Reinhard: «Dolder geht von einer völlig falschen Zahlenbasis aus.» Man müsse Gleiches mit Gleichem vergleichen. Zahlen von nationalen Wahlen seien keine seriöse Grundlage. Deshalb hat Reinhard eigene Berechnungen aufgestellt. Fazit: Die FDP behält ihre 9 Vollmandate. «Damit nach dem ersten nicht auch das zweite Restmandat an die Linken geht, braucht es den grossen bürgerlichen Schulterschluss FDP, CVP und SVP.» Dass die CVP diese Variante längst bachab geschickt hat, ignoriert Reinhard vorerst. «Wenn die CVP nicht mitmacht, gehen wir halt mit der SVP eine Verbindung ein.» Anders als bei der CVP sind Listenverbindungen für Reinhard bloss Mittel zum Zweck. «Es geht dabei nicht um inhaltliche Übereinstimmungen.»

 

CVP: Rettung nur mit FDP-Päckli?

Voraussichtlicher Verlierer Nr. 1

Vor 40 Jahren war die CVP in der Stadt auf dem Zenit ihres Erfolges: 14 Sitze im Parlament, fast 31 Prozent Wähleranteil. Doch von da an ging’s bachab. 2012 wählten noch knapp 18 Prozent die Christdemokraten, das ergab noch 9 Sitze – einen weniger als 2009, ohne Listenverbindung mit der FDP wären es 2 weniger gewesen. Gemäss Dolders Berechnungen muss die CVP auch weiterhin mit einer Talfahrt rechnen. Sie könnte einen bis zwei Sitze verlieren. Was sie eventuell davor bewahren würde: eine Listenverbindung mit der FDP …

Der umtriebige Taktierer und CVP-Grossstadtrat Albert Schwarzenbach sagt dazu: «Wir möchten eine Listenverbindung mit der FDP, aber ohne die SVP. Das weiss die FDP, nun liegt der Ball bei ihr. Unser Anliegen ist es, auf diese Weise die politische Mitte zu stärken, nicht die Pole.» Dass die CVP ohne Listenverbindung einen Sitz verlieren könnte, sei bloss eine von vielen Prognosen. «Für uns ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit. Die Positionen der SVP und CVP waren in der letzten Legislatur zu verschieden.»

 

GLP: Vor dem grossen Knall?

Voraussichtlicher Verlierer Nr. 2

Die Grünliberalen sind nicht zu beneiden. Nachdem ihr Luzerner Nationalrat, Roland Fischer, letzten Herbst abgewählt wurde und die Partei im Kantonsrat einen ihrer sechs Sitze verloren hat, stehen die Zeichen auch weiterhin auf Sturm. Ihre aktuell 9,9 Prozent Wähleranteil und 4 Sitze im Stadtparlament können sie gemäss Dolders Berechnungen im besten Fall nur halten. Die Partei von Stadträtin Manuela Jost sitzt übrigens erst seit 2009 im Parlament.

Listenverbindungen mit anderen Parteien im Grossen Stadtrat konnte die GLP noch nie eingehen, weil entweder die anderen oder die GLP nicht wollten. Daran ändert sich auch dieses Jahr nichts. Fraktionschef Andràs Özvegyi greift nach dem Strohhalm: «Diese Prognosen sind Kaffeesatzlesen. Wir konnten im Wahlkreis Stadt Luzern letzten Herbst – im Gegensatz zu den Wahlen im Frühling – etwas zulegen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass wir unsere 4 Sitze in der Stadt halten können.» Wenn Özvegyi wählen könnte, würde er mit der CVP eine Listenverbindung eingehen.

 

Grüne: Auf dem Weg zur Zwergenpartei?

Voraussichtlicher Verlierer Nr. 3

Mit einem Wähleranteil von 2,6 Prozent sind die Grünen 1975 ins Stadtparlament eingezogen. Dann gings rasch aufwärts, fast 17 Prozent erreichte die Ökopartei vor elf Jahren. Vor vier Jahren waren es noch knapp 14 Prozent, das ergab noch 7 Sitze. Doch nun deuten alle Parameter nach unten. Auf Basis der Kantonsratswahlen (minus 2 Sitze), als die Grünen wie auf nationaler Ebene Wähleranteil verloren haben, hat Dolder der Ökopartei für die kommenden Stadtratswahlen den Verlust eines weiteren Sitzes berechnet. Von der Listenverbindung mit der SP profitieren nur die Genossen, weil sie grösser sind. Die Grünen könnten so deutlich hinter die SVP zurückfallen und wären neu die zweitschwächste Fraktion.

Doch Trübsal blasen will natürlich auch Fraktionschefin Korintha Bärtsch nicht: «Wir gehen davon aus, dass wir den Taucher bei den Kantonsratswahlen ausmerzen und am 1. Mai besser abschneiden werden als 2012.» Ihren unerschütterlichen Optimismus begründet sie wie folgt: «Wir haben mit unserem Stadtrat Adrian Borgula ein gutes Aushängeschild, sind selber sehr aktiv und verfügen über eine gute Kandidatenliste.»

So funktioniert eine Listenverbindung

Das Stadtparlament wird im Proporzsystem gewählt. Die Sitze werden also gemäss den Wähleranteilen auf die Parteilisten verteilt. In der Regel geht das nicht genau auf. Bei der Verteilung der Restsitze sind grössere Parteien aufgrund des Verteilungsverfahrens im Vorteil.

Diesen Vorteil können sich Parteien mit Listenverbindungen zunutze machen. Gehen Parteien eine Listenverbindung ein, werden ihre Listen bei der Sitzverteilung zunächst wie eine einzige Liste behandelt. Anschliessend werden die Sitze, welche auf die Listenverbindung entfallen, unter den beteiligten Listen verteilt. Dabei sind wiederum grössere Parteien im Vorteil.

Faustregel: Wenn eine Partei mit einer doppelt so grossen Partei eine Listenverbindung eingeht, entfallen zwei Drittel der zusätzlich errungenen Sitze auf die grössere, ein Drittel auf die kleinere Partei. Die Kunst besteht für die Parteien darin, die Ergebnisse möglichst genau vorherzusagen, so dass sie abschätzen können, wo sie von einer Listenverbindung profitieren.

Tabelle 3: Hier sehen Sie im Detail alle Wahlergebnisse in der Stadt Luzern seit 1935 (Quelle: lustat.ch):

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Samuel Kneubuehler
    Samuel Kneubuehler, 08.02.2016, 13:17 Uhr

    Ach Herr Wolf: ZWergenpartei ist gar reisserisch! Einem Punkt widerspreche ich Oli Dolder wehement: In Listenverbindung SP-Grüne konnten die Grünen immer dann gewinnne, wenn sie national gewannen. Aber dies auf Kosten der SP.

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