Wo es besonders knarzt

Stadt-Land-Graben: Das sind die Knackpunkte in Luzern

Wo sind die Autos hin? Eine der Ideen für den neuen Bahnhofplatz, die den Kanton aufgeschreckt hat. (Visualisierung: Team Güller Güller, Atelier Brunecky, Zürich)

Hier die zunehmend urbane Stadt, dort der eher konservative Kanton: Was in Zürich und Bern schon lange Schwierigkeiten macht, birgt auch in Luzern Konfliktpotenzial. Der Graben zeigt sich aktuell besonders auf drei Baustellen.

Oft ist zurzeit vom Stadt-Land-Graben die Rede. Spätestens wieder seit dem 13. Juni, als das CO2-Gesetz überraschend an der Urne scheiterte. Während die Städte mehrheitlich zustimmten, verwarf die Landbevölkerung die Vorlage.

In Luzern brodelt das Thema seit längerem latent unter der Oberfläche. Grund genug für Regierungspräsident Marcel Schwerzmann, sich der Angelegenheit anzunehmen: Er hat sein im Juli gestartetes Präsidialjahr unter das Motto «Stadt und Land. Ein Kanton» gestellt.

Der Graben tut sich derzeit vor allem in drei Bereichen auf. Ihn allein auf die politisch unterschiedlichen Mehrheitsverhältnisse – Stadt links, Kanton bürgerlich – zurückzuführen, würde aber wohl zu kurz greifen. Ein Überblick:

1. Verkehr: Bypass und das Erbe der Spange Nord

Ausgangslage: Der Verkehr ist der Dreh- und Angelpunkt im Luzerner Stadt-Land-Graben. Das hat zum einen ganz einfach mit der Ausgangslage zu tun: Im Zentrum ist der Platz eng – nicht nur, aber vor allem auf der Strasse. Deshalb wird vornehmlich auf den öffentlichen Verkehr sowie auf die Velofahrer gesetzt. Auf dem Land, wo je nach Ort kaum ein Bus verkehrt, ist man derweil auf einen eigenen Wagen angewiesen.

Zum anderen ist die Verkehrspolitik emotional aufgeladen, geht es doch um das grosse Bedürfnis Mobilität. Die heutigen Kapazitäten auf der Strasse sind zu Stosszeiten ausgelastet, doch in welche Richtung sich der Verkehr entwickeln soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Das ist die Streitfrage: Welche grossen Verkehrsinfrastrukturprojekte sind die richtigen? In Luzern ist klar: Der Bypass – eine neue Autobahn – soll Entlastung bringen. Doch über den Zubringer dazu war man sich uneinig. In der Stadt wuchs rasch Widerstand gegen die sogenannte Spange Nord – auch von der Stadtregierung. Im September 2020 wurde das politisch bereits tote Projekt in der Stadt Luzern noch offiziell an der Urne beerdigt: Die rund 73 Prozent Ja-Stimmen zeugten davon, dass nicht nur linke Kräfte und Wählerinnen den Zubringer ablehnten. Was nun? Der Kanton favorisiert nach einer externen Überprüfung die Reussportbrücke, quasi ein Zubringer light. Doch auch dieses Projekt steht im städtischen Gegenwind – und wurde vorerst auf Eis gelegt.

So sieht die neue Brücke «Reussportbrücke» in der Visualisierung aus. (Bild: Visualisierung Swiss Interactive AG)

So geht es weiter: Derzeit erarbeitet der Kanton ein umfassendes Mobilitätskonzept, die sogenannte «Zukunft Mobilität Luzern». Bis wann es vorliegt, steht noch nicht fest. Bis dahin dürfte in Sachen Autobahnzubringer aber nicht viel laufen. Doch bereits zeichnet sich der nächste Streitpunkt ab: In Luzern wurde ein Komitee gegen den Bypass gegründet, dem sich ein erster Luzerner Quartierverein angeschlossen hat (zentralplus berichtete). Ob der Kanton – und Befürworter des Strassenprojekts – aus dem unglücklichen Vorgehen bei der Spange Nord die richtigen Lehren gezogen hat, dürfte sich bald zeigen. Die nächste verkehrspolitische Auseinandersetzung scheint bereits programmiert.

2. Stadtplanung: Das Riesenprojekt am Bahnhof

Ausgangslage: Auch der zweite Knackpunkt hat am Ende mit einem Jahrhundert-Verkehrsprojekt zu tun: dem Durchgangsbahnhof. Er ist im Unterschied zum Bypass und dessen Zufahrt politisch kaum bestritten. Uneinigkeit besteht aber bei der Frage, wie das Gebiet um den Bahnhof in Zukunft aussehen soll. Um frühzeitig gewappnet zu sein, hat die Stadt Luzern eine Testplanung durchgeführt: Mehrere Teams entwarfen Ideen für das Areal. Nicht nur der Kanton, sondern auch Politiker vom Land und der Agglomeration kritisierten, dass auf den Visualisierungen keine Autos zu sehen seien.

Streitfrage: Wie wird der Bahnhofplatz in Zukunft erschlossen und gestaltet? Die Stadt Luzern hat im Zuge der Testplanung mehrere Grundsätze definiert, die vor allem die Stadtplanung betreffen – beispielsweise sollen neue Bahnhofplätze entstehen und der bestehende mit weniger Bus- und Autoverkehr auskommen. Der Kanton stellt sich hingegen auf den Standpunkt, dass das Auto – das seiner Einschätzung nach der Eröffnung des Durchgangsbahnhofs CO2-frei unterwegs sein wird – nicht einfach zum «beiläufigen Verkehrsmittel» degradiert werden dürfe. Im Klartext: Im Verkehr werden Autos nach Ansicht des Kantons weiterhin eine zentrale Rolle spielen, insbesondere auf den Kantonsstrassen als regionale Hauptverbindungen.

So geht es weiter: Der Luzerner Stadtrat hat im Frühling eine breite Mitwirkung durchgeführt und kürzlich den Bericht dazu veröffentlicht (zentralplus berichtete). Bis im Frühling 2022 will er dem Stadtparlament den entsprechenden Bericht und Antrag unterbreiten. Doch bis dahin geht noch einiges: Der Kanton hat eine eigene Studie in Auftrag gegeben, um die Auswirkungen der städtischen Ideen auf das Gesamtverkehrssystem zu prüfen. Damit nicht genug: Daraufhin hat die Stadt Luzern eine weitere eigene Studie zum Thema Autoparkierung lanciert. Es scheint, als wollten sich beide fachliche Munition für die eigene Haltung zulegen.

3. Kultur: Machen die Museen Platz für das Gericht?

Ausgangslage: Seit Jahren ist unbestritten: Die Luzerner Gerichte brauchen einen besseren Standort. Heute ist das Kantonsgericht über mehrere Gebäude verteilt, das Kriminalgericht gar in einem Wohnblock einquartiert. Dass die Gerichte im Hauptort Luzern bleiben sollen, ist für viele klar. Doch bisher versandeten alle potenziellen Lösungen. Bis der Kanton eine neue Idee aufs Tapet brachte: Das Natur- und das historische Museum, die fusionieren werden, sollen ins Zeughaus zügeln. Damit würde am Kasernenplatz Raum frei für das Kantonsgericht.

Streitfrage: Sollen die Museen ins Zeughaus weichen müssen? Nein, heisst es aus der Stadt. Nachdem Vereine, Gewerbe, Parteien und das Stadtparlament Einwände vorgebracht hatten, äusserte auch der Stadtrat «Bedauern» über einen allfälligen Wegzug der Museen. Besonders kritisiert wird der Zugang zum Zeughaus, der für die Museen nicht ideal ist. Zudem konnte der Kanton bislang den Eindruck nicht beseitigen, dass er in erster Linie das mehrheitlich leerstehende Zeughaus füllen will – unabhängig von den damit verbundenen Kosten der Erschliessung. Auch hier zeigt sich, dass der Konflikt nicht nur auf links gegen rechts zurückgeführt werden kann.

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Der Kanton möchte das neue Museum für Natur, Geschichte und Gesellschaft ins Zeughaus verlegen. (Bild: bic)

Der Umzug des Kantonsgerichts an den Kasernenplatz wird kaum diskutiert. Weil es dafür aber eine Änderung der Bau- und Zonenordnung braucht, könnte es zur Volksabstimmung kommen – und wegen des erzwungenen Museen-Umzugs daran scheitern. Sprich: Legt die Stadt ihr Veto ein, droht dem Projekt Schiffbruch. Die Kritik aus der Stadt liess der Kanton bislang aber mehrheitlich abprallen, ja mehr noch: Er hielt kürzlich fest, dass ein Umzug der Museen auch möglich wäre, wenn das Kantonsgericht nicht an den Kasernenplatz zügeln könne. Es scheint beinahe, als wollte der Regierungsrat eine Drohkulisse aufbauen (zentralplus berichtete).

So geht es weiter: Die Vernehmlassung für die Fusion der Museen zum neuen Luzerner Museum für Natur, Geschichte und Gesellschaft ist kürzlich zu Ende gegangen. Doch der Zusammenschluss der Museen ist unabhängig vom Museumsstandort geplant. Was den Umzug betrifft, sind derzeit noch Abklärungen im Gang, wie das Zeughaus besser erschlossen werden kann, da die Strasse vom Mühlenplatz hinauf sehr steil ist. Über ein Bauprojekt für den Umzug ins alte Zeughaus würde der Kantonsrat – und aufgrund der Summe womöglich auch das Volk – erst in einigen Jahren abstimmen.

Zu reden geben wird das Thema bis dahin noch öfters: Inzwischen ist von bürgerlicher Seite her bereits eine Alternative vorgeschlagen worden, wonach die Museen zum Verkehrshaus ziehen sollen. Immerhin gibt es einen Hoffnungsschimmer: Beim Bauprojekt für das Luzerner Theater, ein weiteres Projekt mit Stadt-Land-Konfliktpotenzial, einigten sich Stadt und Kanton – zwar nicht ganz reibungslos, aber dennoch – auf ein gemeinsames Vorgehen, das zu funktionieren scheint. Die Stadt hat beim Neubau den Lead übernommen, zahlt dafür aber künftig mehr an die grossen Kulturbetriebe.

Hinweis: Wie steht es um das Verhältnis zwischen Stadt und Kanton Luzern? Dazu liest Du auf zentralplus bald ein Doppelinterview mit den beiden Kantonsräten Adrian Nussbaum (CVP) und Simone Brunner (SP).

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Hegard
    Hegard, 03.08.2021, 15:48 Uhr

    Das Gericht würde ich im neuen Bahnhof intregieren,was dann auch mit ÖV gut erreichbar wäre.
    Auch zB Passbüro und andere wichtige Soziale Büros.

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  • Profilfoto von Claudio Birnstiel
    Claudio Birnstiel, 03.08.2021, 14:08 Uhr

    Zum Thema Urbanität bzw. urbanes Leben und der damit verbundenen Frage, ob dies nun mit links gleichzusetzen ist, empfehlen wir Ihnen folgenden Artikel über Herrn Oliver Heeb:

    https://www.zentralplus.ch/der-svpler-mit-herz-fuers-eichwaeldli-und-fuer-die-wagenburg-2126743/

    Der Luzerner Ex-Politiker bezeichnet sich als dezidiert rechts-bürgerlich, schätzt aber genau den urbanen Lebensstil, wo es auch mal etwas Unordnung geben darf und der unter anderem auf der teils sehr heterogenen Bevölkerung beruht.

    Freundliche Grüsse
    Claudio Birnstiel

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  • Profilfoto von Andy Bürkler
    Andy Bürkler, 03.08.2021, 10:48 Uhr

    Der Ausdruck «urbane Stadt» ist ein Pleonasmus. Sie meinen wahrscheinlich «linke Stadt».
    Ich finde die Verwendung des Wortes «urban» für politische Einstellungen unglücklich.

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    • Profilfoto von Alois Iten
      Alois Iten, 03.08.2021, 12:50 Uhr

      Ach wo. Urbanität ist genau richtig gewählt, wie uns auch Wikipedia belehrt.
      Urbanität … bezeichnet eine Reihe von Zuschreibungen zur Analyse, Charakteristik oder Ontologie der Stadt, des „Städtischen“, der Stadtbewohner und ihrer Kultur, gerade auch ihrer Baukultur, Lebensführung, sozialräumlichen Strukturen, Milieus und Gemeinschaften.

      Urbanität bezieht sich … insbesondere auf in Städten praktizierte Kulturtechniken und auf Ideale oder Merkmale wie Bildung, Ordnung und Unordnung, Toleranz, Freiheit, Indifferenz, soziale Distanz, Vernetzung, Diversität, Interkulturalität, Weltläufigkeit, Aufgeschlossenheit, Bürgersinn, feines Wesen, Raffinesse, Intellektualität, Kreativität, Sexualpräferenz, Höflichkeit, Eleganz und Schönheit sowie deren Ausdruck in Städtebau, Infrastruktur, Architektur, Innenarchitektur, Kunst, Kunsthandwerk, Mode, Politik, Lebensstil, Sexualpraktik, Sprache, Habitus und Umgangsformen. Seit jeher dient der Begriff der Abgrenzung des städtischen Lebens vom Leben auf dem Lande oder in Kleinstädten. Gegenbegriffe sind daher etwa „Rustikalität“, „Hinterwäldlertum“und „Provinzialismus“.

      Urbanität beschreibt das Lebensgefühl in der Stadt also perfekt. Das ist doch viel mehr als die blosse, triviale Einordnung in Links-rechts-Schemas, wie Sie dies offenbar wünschen würden.

      https://de.wikipedia.org/wiki/Urbanit%C3%A4t

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      • Profilfoto von Andy Bürkler
        Andy Bürkler, 03.08.2021, 14:13 Uhr

        Wenn es kein Pleonasmus ist, was wäre denn eine nicht-urbane Stadt, wenn doch «Urbanität» das Städtische beschreibt?
        Ausserdem geht es hier am Ende konkret eben doch um links vs.bürgerlich mit gewissen Unschärfen.
        Das sieht man auch am geplanten Gespräch zwischen SP und CVP zu diesem Thema.

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