Junge Frau von Luzerner Taxifahrer vergewaltigt

Staatsanwältin: «Der Mann hat das Vertrauen der Opfer schamlos ausgenutzt»

Der Mann hat betrunkene junge Frauen im Taxi mitgenommen und missbraucht. (Bild: cha)

Die Aufgabe eines Taxifahrers ist es, seine Gäste sicher nach Hause zu bringen. In Luzern war aber jahrelang einer unterwegs, der junge Frauen missbrauchte. Sein letztes Opfer vergewaltigte er sogar. Nun musste er sich vor dem Kantonsgericht dafür verantworten.

Nachts machte er sich auf Beutezug: Im Visier hatte er junge, betrunkene Frauen, die zu ihm ins Taxi stiegen. Statt sie nach Hause zu bringen, fuhr er sie ziellos in der Gegend herum.  

Sechs Frauen zwischen 17 und 24 Jahren wurden seine Opfer. Manchen fasste er während der Fahrt an die Brüste und zwischen die Beine, bei anderen ging er noch weiter: Er fuhr mit ihnen an die falschen Orte und nahm sexuelle Handlungen an ihnen vor.

Sein letztes Opfer vergewaltigte er, nachdem die 18-Jährige nichtsahnend bei ihm ins Taxi gestiegen war. Nach der Tat musste das Au-pair nicht nur mit dem Trauma fertig werden, sondern auch befürchten, dass der HIV-positive Mann sie angesteckt hatte.  

An diesem Mittwoch steht der ehemalige Taxifahrer vor dem Kantonsgericht in Luzern. Die Vorinstanz, das Kriminalgericht, hatte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.

Das ist zu viel, findet der Verteidiger. Selbst die Hälfte wäre noch zu hoch. Er fordert vor Gericht, dass die Strafe auf drei Jahre reduziert wird. Sechs Monate davon soll er absitzen, der Rest sei zur Bewährung auszusetzen.

Eine Flucht aus dem fahrenden Taxi? Unmöglich.

Die Verhandlung vor dem Kantonsgericht beginnt mit der Befragung eines der sechs Opfer. Sechs Jahre nachdem die Frau bei dem Mann ins Taxi stieg, muss sie nochmals aussagen.

Grund: Das Gesetz schreibt vor, dass die Verteidigung bei Zeugenbefragungen dabei sein darf. Das wurde vorliegend aber nicht gewährt. Um die Aussagen der Frau verwenden zu können, muss sie sich daher erneut den Fragen stellen.

«Ich dachte, es wäre sicherer, mit dem Taxi heimzufahren.»

Eines der Opfer

Die Frau war 2012 nach einem Betriebsfest noch mit Arbeitskollegen auf einen Absacker im «Schwarzen Schaf». «Ich hatte zu viel getrunken», erzählt sie. «Ich dachte, es wäre sicherer, mit dem Taxi heimzufahren.» Das war ein fataler Entscheid, wie sich zeigen sollte.

Als sie zum Bahnhof kam, war da ein zweiter Mann, der ebenfalls ein Taxi nehmen sollte. Sie wollte in Richtung Kantonsspital, er nach Emmen. Man beschloss, sich das Taxi zu teilen.

Der Taxifahrer fuhr zuerst nach Emmen. Obwohl das Kantonsspital näher gelegen wäre. Als der Mitfahrer ausgestiegen war, setzte sich das spätere Opfer auf den Beifahrersitz. Kaum losgefahren, begann der Mann, die damals 24-Jährige an den Oberschenkeln und der Brust zu betatschen. Sie schlug die Hand weg. Doch er machte weiter.

Was sollte sie tun? Die Fahrt zog sich hin. «Damals hatte ich das Gefühl, dass er nicht direkt zum Spital fährt. Es war nicht der Weg, den ich kannte», sagt die Frau in der Gerichtsverhandlung. Als sie das Spital von Weitem sah, habe sie den Fahrer aufgefordert, sie sofort aussteigen zu lassen. Schliesslich sei sie beim Rotsee abgesetzt worden und nach Hause gelaufen.

«Was hatten Sie an?», will das Gericht wissen

Die Befragung am Kantonsgericht erweist sich als äusserst unangenehm. Erst fordert ein Mitglied des Gerichts die Frau auf, von sich aus frei von dem Vorfall zu berichten. Bereits nach wenigen Sätzen unterbricht es. Konfrontiert die Zeugin damit, dass ihre Aussage in einem Punkt leicht von dem abweicht, was sie vor sieben Jahre gesagt hat.

Die Zeugin räumt ein, sich nicht mehr genau zu erinnern. Das Gerichtsmitglied hakt nach: «Haben Sie Anlass zu glauben, dass sie damals nicht die Wahrheit gesagt haben?», will es wissen. Die Frage irritiert. «Nein», sagt die Zeugin schliesslich mit fester Stimme. «Ich gehe davon aus, dass es stimmt, was ich damals ausgesagt habe.»

Es folgen weitere Fragen. Was sie sonst noch wisse. Ob sie die Fahrt bezahlt habe. Was sie getragen habe. Welche Farbe das Kleid hatte. Ob die Hand nur auf dem Oberschenkel gelegen habe oder dazwischen. Ob sie sehr betrunken gewesen sei. Und plötzlich wird über die Länge des Rockes geredet und darüber, wie tief der Ausschnitt war.

Angst, in dem Taxi gefangen zu bleiben

Fragen nach Details sind nötig, damit sich das Gericht ein Bild von der Glaubwürdigkeit einer Zeugin machen kann. Sich an Erfundenes zu erinnern, fällt ungleich schwerer, als wenn die Erinnerungen echt sind.

Ob der Frau bewusst ist, dass ihr deshalb derart bohrende Fragen gestellt werden? Nach ihren Gefühlen während der Fahrt wird die Frau von dem Gerichtsmitglied jedenfalls nicht gefragt. Es ist der Gerichtspräsident, der dies schliesslich nachholt.

«Ich hatte Angst, dass er irgendwo hinfährt und mich nicht mehr rauslässt», sagt die Frau. Sie habe sich die ganze Zeit über gefragt, wie sie den Mann dazu bringen könnte, sie gehen zu lassen. Während der Fahrt war eine Flucht unmöglich.

Aussagen konnten nicht verwendet werden

Schliesslich ist die Befragung durch. Wie üblich bekommt die Frau einen Zeugenlohn von 50 Franken und eine Spesenentschädigung von 40 Franken. Der Betrag wird um 10 Franken aufgerundet. «Dann reicht es noch für einen Kaffee in diesem herrlichen Luzern», meint das Gerichtsmitglied, das sie befragt hatte.

«Für diese Skrupellosigkeit ist er zu bestrafen.»

Staatsanwältin

Man fragt sich unwillkürlich, ob die Frau tatsächlich so positive Assoziationen mit der Stadt verbindet, in der sie Opfer eines Sexualdelikts geworden ist. Sie lebt inzwischen jedenfalls an einem Ort, der mehrere Zugstunden entfernt liegt.

Die wichtigste Frage bleibt unbeantwortet

Die Befragung des Beschuldigten selber fällt sehr kurz aus. Er muss nicht den Platz direkt vor dem Richtergremium einnehmen, wie es die Zeugin zuvor musste. Er bleibt neben seinem Verteidiger sitzen.

Wieder ist es der Gerichtspräsident, der die Frage stellt, auf die wohl auch die Opfer gerne eine Antwort hätten. Wie konnte es so weit kommen? Warum hat der Mann über Jahre hinweg Frauen in eine Zwangslage gebracht und ihr Vertrauen ausgenutzt?

Eine Antwort bekommt er nicht. «Ich weiss nicht, warum ich das gemacht habe. Ich habe einen Fehler gemacht, das sollte man nicht machen», sagt der Mann nur.

Keine Strafe ohne Strafantrag

Als der Verteidiger zu seinem Plädoyer ansetzt, ist man versucht, den Taschenrechner hervorzunehmen. Sein Mandant ist grösstenteils geständig. Punkt für Punkt begründet der Verteidiger, warum die Strafe in dem oder im anderen Fall trotzdem reduziert werden müsste:

  • Zwei Frauen seien lediglich sexuell belästigt, nicht aber genötigt worden. Dabei handle es sich um ein Vergehen, das zumindest in einem Fall bereits verjährt sei.
  • Drei Frauen seien durch das Herumfahren im Auto in eine Zwangslage gebracht worden und hätten deshalb die sexuellen Handlungen über sich ergehen lassen müssen. Der damit verbundene Freiheitsentzug sei mit einer Verurteilung wegen sexueller Nötigung aber bereits abgegolten. Eine zusätzliche Verurteilung wegen Entführung sei deshalb nicht angemessen.
  • Heute könne eine HIV-Infektion so behandelt werden, dass die Krankheit keinen Einfluss auf die Lebenserwartung habe. Es handle sich deswegen nicht um eine versuchte schwere, sondern um eine einfache Körperverletzung. Das Vergewaltigungsopfer habe aber keinen Strafantrag wegen einer solchen gestellt, weshalb der Mann freizusprechen sei.

Bewusst Ansteckung in Kauf genommen

Die Staatsanwältin widerspricht in allen Punkten. «Der Mann hat das Vertrauen der Frauen schamlos ausgenutzt», sagt sie. Auch dasjenige seiner Ehefrau, mit der er trotz seiner HIV-Infektion jahrelang ungeschützten Geschlechtsverkehr gehabt habe. «Für diese Skrupellosigkeit ist er zu bestrafen.»

Die Frauen waren mitten in der Nacht alleine mit einem fremden Mann in einem Taxi, aus dem sie nicht aussteigen konnten. Ihnen blieb nichts übrig, als die Übergriffe des Fahrers zu erdulden. Das sei eine Nötigung.

«Es war mein erster und letzter Fehler.»

Der Beschuldigte

Der Taxifahrer sei bewusst Umwege gefahren. Der Freiheitsentzug habe länger gedauert, als es für die Begehung der sexuellen Handlungen nötig gewesen wäre. Demnach handle es sich um Entführungen.

Und zuletzt sei es nach wie vor so, dass eine HIV-Infektion lebenslange Auswirkungen habe, weshalb es sich um eine versuchte schwere Körperverletzung handle.

Am Schluss der Verhandlung darf sich der Mann nochmals zu dem Ganzen äussern. «Es war mein erster und letzter Fehler. Ich entschuldige mich bei allen Frauen», sagt er. Er verspricht, dass er so etwas nie wieder tun werde.

Nach der Tat war der Mann mehrere Monate in Untersuchungshaft, unter der Auflage sich regelmässig zu melden, ist er inzwischen wieder auf freiem Fuss. Er wird vom Bewährungsdienst betreut. Taxi zu fahren, ist ihm nicht erlaubt.

Das Urteil steht noch aus, es wird den Parteien schriftlich zugestellt. zentralplus wird darüber berichten, wenn es vorliegt.

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