Public Viewing in einem serbischen Klub in Zug

Weshalb serbische Fussballfans dem Zuger Hupverbot danken

«Wenn unser Land gewinnt, bestelle ich zehn Lieder im Lokalradio meines serbischen Geburtsortes und spendiere meinen Kollegen ein Spanferkel», versichert Milorad Nikolic (ganz links). Ganz rechts ist Srdjan Nikolic.

(Bild: Tijana Nikolic)

Am Freitagabend fand das Fussball-WM-Spiel zwischen Serbien und der Schweiz statt. Für Serben, die in Zug wohnen, eine spezielle Situation, sich zwischen der alten und der aktuellen Heimat zu entscheiden. Denn die Heimat wird zum sportlichen Gegner. Eine serbische Fangruppe gibt Einblick in ihr Public Viewing voller Emotionen.

Er küsst seine kleine, einjährige Tochter auf die Stirn und dann das Heiligenbild der «Sveta Petka», der Schutzpatronin seiner Familie, das an der Wand hängt. Danach geht der junge Mann mit einer serbischen Fahne, die er sich um die Schultern gehängt hat, und einer patriotischen Kopfbedeckung aus dem Haus.

Religiöse Rituale und Liebe zum Sport

Dieses Ritual soll ihm Glück bringen, so wie beim letzten Fussballspiel Serbien gegen Costa Rica, als Serbien 1:0 gewonnen hat. Er geht los, um sich wie gewohnt mit seinem Vater und Kollegen zum Public Viewing im serbischen Kulturklub «Sveti Sava» in Zug zu treffen. In einer halben Stunde fängt das «Derby» zwischen Serbien und der Schweiz an. Schon den ganzen Tag habe er auf das Spiel hin gefiebert und hofft auf den Sieg: «Es wäre ein Fest, wenn Serbien heute Abend gewinnt. Ich bin schon sehr nervös», sagt Srdjan Nikolic aus Zug. Obwohl er in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, schlägt sein Herz für die Heimat seiner Vorfahren – da wo seine Wurzeln herkommen.

Viele serbische Fans haben ähnliche, religiöse Rituale und bitten den Fussballgott um Glück. Die Liebe zum Sport ist gross und der Sieg wichtig. Serbische Kulturvereine in Zug und Luzern bieten in privaten Schrebergärten Public Viewing an, denn das Interesse ist gross. Dieser Sport verbindet und es macht mehr Spass gemeinsam zu schauen. Auch Srdjan Nikolic trifft sich am Freitagabend mit einer zehnköpfigen Gruppe zum gemeinsamen «Fanen». «Es ist die schönste Nebensache der Welt», findet Milorad Nikolic, der Vater von Srdjan. Man könne sich gemeinsam freuen – oder bei einer Niederlage gemeinsam trauern.

Fachsimpeleien unter Männern – bis das erste Goal fällt

Beim gemeinsamen «Meze», einer Platte voll serbischer Fleischspezialitäten und Käse, und Bier wird vor und während dem Spiel gefachsimpelt: «Die Schweizer spielen länger in dieser Konstellation zusammen und haben mehr WM-Erfahrung. Dafür ist das serbische Team vom Alter her gut durchmischt», sagt Milorad Nikolic.

«Ausserdem sind die jungen Spieler Serbiens U19-Europameister und U20-Weltmeister», so Srdjan Nikolic stolz. Während er das erzählt, fällt das erste Goal für Serbien bereits in der fünften Spielminute. Danach gibt es kein Halten mehr. Es wird gejubelt und man fällt sich in die Arme. Die Gruppe könnte in dem Moment nicht glücklicher sein – das Weiterkommen ist in Reichweite. Weitere, zahlreiche Chancen für Serbien folgen, jedoch ohne Tor. Die Stimmung wird dadurch etwas angespannter und nervöser.

Bauchschmerzen bei einer Niederlage

«Wenn das Team, für das ich bin, nicht gewinnt, bekomme ich Magenkrämpfe. Ich bin ein passionierter Fussballfan», verrät Milorad Nikolic. Seit seiner Kindheit ist er Fan des serbischen Fussballclubs Partizan und war als Jugendlicher an vielen Spielen. Seine Leidenschaft hat er auch an seinen Sohn Srdjan weitergegeben.

«Wir verfolgen auch Clubspiele. Fussball ist ein Lebensgefühl für uns», sagt der 58-jährige Milorad Nikolic mit leuchtenden Augen. Wenn das Team im Rückstand ist, solle man ihn besser nicht ansprechen, findet Srdjan Nikolic. Manchmal brechen so sogar Streitigkeiten unter den Fans des gleichen Teams aus. Die Stimmung wird deutlich ruhiger, als das Ausgleichstor der Schweizer nach der Halbzeit fällt.

«Ausser diesem neckischen Patriotismus hat Fussball nichts mit Politik zu tun für mich.»

Srdjan Nikolic, serbischer Fussballfan aus Zug

«Falls wir verlieren, muss ich mir freche Sprüche meiner Schweizer Kollegen bei der Arbeit am Flughafen anhören. Darauf habe ich gar keine Lust», so Srdjan Nikolic. Ein Unentschieden sei halb so schlimm. Aber dieses Necken gehöre dazu und es sei schön, den Patriotismus an solchen Meisterschaften zu spüren. «Aber ausser diesem neckischen Patriotismus hat Fussball nichts mit Politik zu tun für mich», sagt Srdjan Nikolic.

Die Vorwürfe der Öffentlichkeit, es könnte zu Spannungen führen, weil Kosovaren in der Schweizer Nationalmannschaft spielen, seien für ihn nicht nachvollziehbar. «Jedoch wäre es sinnvoller, wenn Länder ihre Differenzen friedlich beim Sport austragen würden», findet der junge Vater.

Bangen bis zur letzten Sekunde

Warum der Fussball eine solche Beliebtheit habe, sei wahrscheinlich, weil er so viele Anhänger habe. «Das gemeinsame Bangen um den Sieg verbindet weltweit», so Srdjan Nikolic. Ausserdem braucht der Fussball keine teure Ausrüstung und kann ganz leicht gespielt werden. «Mein Vater verwendete in seiner Jugend einen Kissenüberzug voller Socken oder eine leere Bierdose als Ball», erzählt Srdjan Nikolic weiter. Deswegen könne das auch jeder in seiner Freizeit spielen. «Mittlerweile ist dieser tolle Sport zur reinen Geldmacherei verkommen.»

«Wenn unser Land gewinnt, bestelle ich zehn Lieder im Lokalradio meines serbischen Geburtsortes und spendiere meinen Kollegen ein Spanferkel.»

Milorad Nikolic, serbischer Fussballfan aus Zug

Bis zum Schluss hofft die gesellige Serbengruppe auf einen Sieg. «Wenn unser Land gewinnt, bestelle ich zehn Lieder im Lokalradio meines serbischen Geburtsortes und spendiere meinen Kollegen ein Spanferkel», versichert Milorad Nikolic. Bis in der 90. Minute das 2:1 für die Schweiz fällt – und damit auch die Stimmung.

Einige Minuten danach ist der Sieg der Schweizer sicher und sorgt für lange Gesichter in der Gruppe. Es wird zuerst geschwiegen und danach darüber geredet, was hätte besser sein können. Die Hoffnung liegt auf dem nächsten Spiel gegen Brasilien am kommenden Donnerstag. «Wir haben noch eine kleine Chance, die wir hoffentlich nützen werden», sagt Milorad Nikolic.

Hupverbot sei Dank

Sollte Serbien ausscheiden, werde die WM trotzdem weiter geschaut. «Wir haben auch in den letzten acht Jahren die Meisterschaften fleissig geschaut, auch wenn Serbien nicht mit dabei war. Das ändert nichts daran», versichert Srdjan Nikolic. Mannschaften wie Belgien, Spanien, Portugal, Kroatien und Brasilien seien ebenfalls sehr stark und interessant zu beobachten.

Dank des Hupverbotes im Kanton Zug an den Meisterschaften sei nach dem Spiel nicht noch unnötig Salz in die «Fussballherzwunde» der enttäuschten Serben gestreut worden.

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