Flüchtlinge und Nonnen am Grümpi in Steinhausen

«Spielen alle Schweizer Frauen so schlecht Fussball?»

Die Ordensschwester im Einsatz am Grümpelturnier in Steinhausen.

(Bild: Laura Livers)

Am Sonntag fand das alljährliche Frère-Roger-Grümpelturnier statt. Das Turnier ist schon speziell, weil auch Nonnen mitspielen. Dieses Jahr fiel das Turnier aber auf den Tag der Flüchtlinge. Und das führte zu noch aussergewöhnlicheren Situationen auf und neben dem Platz.

«Wir waren uns der Bedeutung des Datums nicht bewusst, als wir das Turnier vor einem Jahr angesetzt haben», sagt Marc Dür, der Hauptorganisator des Frère-Roger-Cups. Das Grümpelturnier, benannt nach Frère Roger, dem Gründer der Taizé-Gemeinde im Burgund, steht ganz in dessen Sinne allen Konfessionen und Glaubensrichtungen offen. Dass es auf den Kantonalen Flüchtlingstag fiel, war aber eher zufällig.

Die fussballspielende Nonne und ein Gastarbeiter als Integrationshelfer

Der Cup soll – besonders an diesem Tag – ein Ort der Begegnung und des Dialoges sein. So finden sich unter den Spielenden Pfarrer, Priester, Jungleiter, Blauringleiterinnen und sogar eine Ordensschwester. Anders als in den früheren Jahren, konnte man sich dieses Jahr aber nicht als Mannschaft anmelden. Denn dieses Jahr spielten auch etwa 40 Flüchtlinge aus verschiedenen Heimen und Durchgangsstationen im Kanton Zug mit.

«An solch einem Anlass werden nicht nur die Flüchtlinge integriert, sondern auch wir ‹Ansässigen›. Wir bauen Berührungsängste ab.»
Hubertus Kuhns, Pfarrer der reformierten Kirche Steinhausen

«Integration heutzutage ist ein heikles Thema», sagt Hubertus Kuhns, Pfarrer der reformierten Kirche Steinhausen. Man höre und lese viel drüber. «Aber ich mache mir da keine Illusionen. Die meisten dieser Herren auf dem Platz werden in der Schweiz bleiben, viele für immer.» Für ihn bedeute das, dass man jetzt anfangen müsse, sich zu begegnen und herauszufinden, wie man miteinander umgehe, sagt er.

«An solch einem Anlass werden nicht nur die Flüchtlinge integriert, sondern auch wir ‹Ansässigen›. Wir bauen Berührungsängste ab», führt er aus. Und man merkt, dass ihm das Thema am Herzen liegt. Vielleicht, weil das Christentum auf Nächstenliebe basiert. Vielleicht, weil er selbst auch ein «Gastarbeiter» ist, wie er sich selbst augenzwinkernd nennt.

Grümpi-Regeln auf Farsi

Und so versammeln sich am Sonntagnachmittag etwa 80 Spielende in der Turnhalle beim Schulhaus Sunegrund in Steinhausen und werden über den Ablauf des Turniers instruiert. Die Regeln sind einfach: kleine Teams, kein Offside, Rückpass erlaubt, keine harten Fouls, 10 Minuten Matchlänge, am Schluss einen Final und was zu essen. Das alles übersetzt auf Englisch. Wir sind uns nicht sicher, ob jeder die Regeln verstanden hat. Ein Zuschauer übersetzt spontan auf Farsi.

Team Somalia gegen die Angel’s: Der Spielplan mit den Resultaten.

Team Somalia gegen die Angel’s: Der Spielplan mit den Resultaten.

(Bild: Laura Livers)

«2 Schweizer! 3 Refugees, okay maybe 4!»

Und dann werden die Mannschaften gebildet. Erwartungsgemäss chaotisch, da jede Gruppe natürlich zusammenbleiben möchte, aber die Organisatoren bleiben hart. Jede Mannschaft muss sowohl Schweizer als auch Flüchtlinge haben, das ist ja der Punkt des ganzen Nachmittags.

Also werden immer wieder Zahlen durch den Raum gerufen «2 Schweizer! 3 Refugees, okay maybe 4!» Unerbittlich werden Gruppen wieder aufgesplittet und neu gemischt, bis alle acht Teams geformt sind. Fünf Minuten wird gewartet, während der Spielplan erstellt wird, und dann geht’s direkt los.

«Ier möched mich fertig»

Auf dem Kunstrasenplatz hinter dem Sunegrund werden aus einem grossen Fussballplatz zwei kleine gemacht und angepfiffen: Team Somalia, zu Ehren des einzigen Somaliers in der Mannschaft, gegen Angel’s, und Madrid gegen Raindance. Wie in einem normalen Grümpelturnier sind manche Spieler gut, manche eher weniger, und manche haben schon länger keinen Fussball mehr getreten. Dementsprechend fallen auch die Ergebnisse aus.

«Ier möched mich fertig», ruft der Torwart einer Mannschaft, die grad mit 0:5 vom Platz gefegt wird. Der gegnerische Stürmer im Messi-Trikot läuft schon wieder an den zwei Mädchen in der Verteidigung vorbei, und der Zuschauer neben mir lacht und fragt mich, ob alle Mädchen in der Schweiz so schlecht Fussball spielten. Sein Name ist Rebaz, was übersetzt der Gute Weg bedeutet. «Natürlich nicht», antworte ich ihm.

Integrationshilfe Fussball

Er ist zur Unterstützung seiner zwei Kollegen hier, mitspielen möchte Rebaz aber nicht. «Ich mag kein Fussball», sagt er. «Ich spiele lieber Handball, aber da gibt es nicht so viele Möglichkeiten.» Rebaz ist Kurde und seit neun Monaten in der Schweiz. Der Sprachbegabte spricht nicht nur Kurdisch und Arabisch, sondern auch ein bisschen Englisch und sehr gutes Deutsch. So gut, dass die einzigen Wörter, die er nicht versteht, Anglizismen sind, worüber wir beide lachen müssen.

Je länger das Turnier dauert, desto unkomplizierter läuft alles. Wo anfangs Berührungsängste spürbar waren, wird der Ton bald rauer. Da wird auf Schweizerdeutsch, Arabisch, Farsi und Tigrinya (Eritrea) über das Spielfeld gebrüllt, der andere weiss dann schon, wer gemeint ist. Es werden Witze über die Gegner gerissen und der Schiri angepflaumt, die eigene Mannschaft lauthals angefeuert und Komplimente für eine besonders schöne Bananenflanke verteilt – wie es an einem richtigen Grümpelturnier eben üblich ist. Und da zeigt sich, dass die Idee «Integration über Fussball», so alt und platt sie auch sei, immernoch funktioniert.

Spieltaktik mit Sprachbarrieren – die echten Herausforderungen des Turniers.

Spieltaktik mit Sprachbarrieren – die echten Herausforderungen des Turniers.

(Bild: Laura Livers)

Frauen interessiert’s nicht – wirklich?

Auf dem Platz sind gerade mal vier Frauen zu finden. Drei Blauringleiterinnen und eine Ordensschwester im Kopftuch. Martin Plath von der Flüchtlingsorganisation erklärt mir, dass für die Frauen aus den Flüchtlingsheimen ein Spezialprogramm stattfindet. Auf mein Nachhaken hin, ob das denn wirklich nötig sei, erwidert er, dass die Frauen sich aus verschiedenen Gründen nicht für so ein Turnier interessieren.

Manche beteiligen sich tatsächlich aus religiösen Gründen nicht, für andere schicke es sich nicht, und viele interessiert Fussball tatsächlich nicht. Fussball sei im afrikanisch-arabischen Raum halt kein Frauensport. Für diejenigen, die aber trotzdem Sport machen wollen, gibt es jeweils mittwochnachmittags ein Angebot im St. Johannes in Zug, wo in reinen Frauengruppen Volleyball oder Handball gespielt wird.

Die Gesellschaft verstehen leicht gemacht: Frauen spielen auch Fussball

Marc Dür, der gerade Spielpause hat, gesellt sich wieder dazu, und erwähnt, dass er nur schon froh sei, dass bei den Schweizern ein paar Frauen dabei seien. Die einzige Bedingung für die Teilnahme am Turnier sei denn auch gewesen, dass man sich nicht dran stören dürfe, dass eine Frau im Team mitspielt. Das sei auch eine Form von Integration. Es gehe ja darum, unsere Gesellschaft zu verstehen.

Unsere Interpretation der Geschlechterrollen stosse bei einigen auf Verwunderung, aber anstatt das aufzublasen und zum Thema zu machen, spielen bei diesem Turnier Frauen halt einfach mit. Probleme seien dadurch keine entstanden.

Eine Stunde zu Fuss ins «Tschutte»

Am Spielfeldrand finden sich immer wieder Zuschauer ein. Manche kommen aus einer der Kirchgemeinden, manche spazieren per Zufall vorbei, andere arbeiten im Sozialwesen und wieder andere haben gerade Pause. Es wird heiss diskutiert: über Intergration, über Freiwilligenarbeit, über Möglichkeiten, Angebote auszubauen, über Hürden, mit denen sich Flüchtlinge und Freiwillige auseinandersetzen müssen.

So erfahre ich zum Beispiel, dass manche über eine Stunde zu Fuss zu einer Turnhalle laufen, um Fussball zu spielen, weil sie sich das Busticket nicht leisten können. Und manche wohnen so weit weg, dass sie die Angebote gar nicht nutzen können. So werden bereits Pläne geschmiedet, wie man das Sportangebot nach Steinhausen bringen könnte.

Unterdessen wird unerbittlich weitergespielt, egal, ob es wieder nieselt oder tatsächlich die Sonne scheint. Spieler und Zuschauer haben auf jeden Fall Spass, und so soll es auch sein.

 

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