Der Zuger Ruderer hat grosse Ziele

Olympia-Hoffnung Simon Niepmann: «Wir wollen Gold!»

Sitzen in einem Boot: Lucas Tramèr, Simon Schürch, Simon Niepmann und Mario Gyr (v.l.n.r.) (Bild: Detlev Seyb, Schweizerischer Ruderverband).

Der Countdown läuft. Die Olympischen Spiele rücken immer näher. Der Zuger Ruderer Simon Niepmann und seine drei Teamkollegen haben in Rio Grosses vor. Niepmann spricht über Egoismus im Boot, Lustlosigkeit beim Rudern und Aufholschuld gegenüber seinen Kollegen.

Seit 20 Jahren sitzt Simon Niepmann im Ruderboot. Und das sehr erfolgreich: Er ist mehrfacher Welt- und Europameister im Leichtgewichtszweier und -vierer. Jetzt startet er an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Wie es ist, immer in der Aufholschuld gegenüber seinen Teamkollegen zu sein, warum die sportliche Zukunft nach den Olympischen Sommerspielen in Rio ungewiss ist und weshalb er weder Perfektionist noch Egoist sein kann, erzählt er kurz vor seinem Abflug nach Brasilien im Interview.

zentralplus: Simon Niepmann, Sie rudern im Leichtgewichtsvierer und -zweier. Deshalb sitzen Sie sprichwörtlich nie alleine im Boot. Können Sie da auch mal egoistisch sein?

Simon Niepmann: Das ist schwierig. Denn es geht darum, gemeinsam schnell zu sein. Aber ich kann egoistisch sein, wenn wir im Winter zum Beispiel im Einer gegeneinander antreten. Dann schaut jeder für sich. Oder auch, wenn wir auf dem Ergometer trainieren.

«Ich bin nach wie vor der Schwächste von uns auf dem Ergometer.»
Simon Niepmann

zentralplus: Der Ergometer. Vor den letzten Olympischen Spielen waren Sie darauf der Schwächste des Teams. Hat sich das geändert?

Niepmann: Nein, das Kräfteverhältnis ist gleich geblieben. Insgesamt sind wir alle zusammen stärker geworden als noch vor vier Jahren in London. Ich bin aber nach wie vor der Schwächste von uns auf dem Ergometer. Ich bin aber auch der Leichteste und der Kleinste.

zentralplus: Ständig der Schwächste zu sein und so immer in der Aufholschuld gegenüber den anderen zu stehen, das ist sicher nicht einfach.

Niepmann: Das stimmt. Besonders wenn ich einen schlechten Tag habe, wird die Distanz zu den anderen noch grösser. Deshalb muss ich immer ans Limit, das Maximum aus mir herausholen. Jetzt merke ich, dass ich dort angekommen bin. Die Fortschritte waren in den letzten Monaten trotz mehr Trainingsaufwand nur noch sehr klein. Mehr als jetzt geht nicht mehr.

Simon Niepmann sitzt noch ganz entspannt vor dem Haus des Schweizer Rudersports in Sarnen. Bald geht’s los in Richtung Rio.

Simon Niepmann sitzt noch ganz entspannt vor dem Haus des Schweizer Rudersports in Sarnen. Bald geht’s los in Richtung Rio.

(Bild: bas)

zentralplus: Das klingt, als hätte neben dem Rudern nicht viel Platz?

Niepmann: Immer weniger. Vor drei Jahren haben wir alle noch Teilzeit studiert. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Seit einem Jahr sind wir Vollprofis und trainieren sehr viel. Mit Rio steht der Höhepunkt schlechthin vor der Tür und wir bewegen uns auf das Highlight eines Vierjahreszyklus zu. Dieser Eckpunkt ist auch wichtig. Danach können wir uns alle wieder auf anderes konzentrieren.

«Wir laufen bereits jetzt auf dem Zahnfleisch.»
Simon Niepmann

Leichtgewicht-Rudern

Im Rudern hängt die erbrachte Leistung stark mit Grösse, Gewicht und Körperbau des Sportlers zusammen. Denn diese Merkmale beeinflussen die Geschwindigkeit des Bootes. Der Weltrudervervand (FISA) hat dies Anfang der 1970er-Jahre erkannt und die Gewichtsbegrenzung eingeführt, um den Rudersport für einen viel grösseren Personenkreis und neue Länder zu öffnen.

Die Leichtgewichtsklasse wird durch Obergrenzen für das Körpergewicht der Ruderer und eine Grenze für das Mannschaftsschnittgewicht definiert. Leichtgewichtsruderer sind zwischen 1,78 und 1,86 Meter gross bei maximal 72,5 Kilogramm (Mannschaftsschnitt 70 Kilogramm). Bei den Frauen variieren die Grössen zwischen 1,64 und 1,74 Meter bei höchstens 59 Kilogramm (Mannschaftsschnitt 57 Kilogramm).

Im Gegensatz dazu gibt es die offene Klasse, auch die Schwergewichtsklasse genannt. Diese Ruderer sind durchschnittlich zwei bis vier Prozent schneller als die Leichtgewichtsboote.

zentralplus: Sie sind noch eine Woche in Sarnen, bevor Sie nach Rio fliegen. Was bleibt bis dahin zu tun?

Niepmann: Viele und intensive Trainings. Wir laufen bereits jetzt auf dem Zahnfleisch, holen aber nochmals alles raus, was geht, und versuchen, physisch ans Limit zu kommen. Danach folgt der Feinschliff. Also die Rennintensität proben, die technische Feinabstimmung im Boot optimieren und dann die Erholung. Das Ziel ist, erholt in Rio anzukommen.

zentralplus: Rio ist ein Highlight. Was kommt danach?

Niepmann: Wie es sportlich weitergeht, ist offen. Was nach Rio kommt, hängt damit zusammen, welches Resultat wir erreichen, denn das bestimmt auch die Motivation. Aber mein Ziel ist es schon, das Studium abzuschliessen und den Einstieg in die Berufswelt zu schaffen.

zentralplus: Was wäre denn das Wunschresultat in Rio?

Niepmann: Wir haben unsere Ziele für Rio hoch angesetzt. Wir wollen Gold. Aber das zu erreichen wird sehr schwierig.

zentralplus: Warum?

Niepmann: Die Motivation, wenn man für sein Land startet, setzt nochmals ganz andere Kräfte frei. Zudem sind die Olympischen Spiele der wichtigste Wettkampf und finden nur alle vier Jahre statt. Es haben alle Teams denselben Fokus und ein grosses Ziel: die Olympischen Spiele. Darauf haben sich alle vorbereitet und viele haben sich im Hinblick auf Rio auch professionalisiert.

zentralplus: In Rio starten Sie im Leichtgewichtsvierer. Sie ruderten aber in vergangenen Jahren auch im Leichtgewichtszweier sehr erfolgreich – wurden bereits Welt- und Europameister. Was ist im Vierer anders als im Zweier?

Niepmann: Der Vierer ist schneller unterwegs. Das bedeutet auch, dass die Abläufe schneller sein müssen, zudem müssen vier Athleten harmonieren. Das erfordert viel Perfektion.

zentralplus: Sind Sie denn ein Perfektionist?

Niepmann: Nein. Und das hilft. Zum Beispiel an der Uni. Da wollte ich teilweise einfach durchkommen.

Leichtgewichtsvierer ohne Steuermann Lucas Tramèr, Simon Schürch, Simon Niepmann, Mario Gyr (v.l.n.r.) (Bild: Detlev Seyb, Schweizerischer Ruderverband).

Leichtgewichtsvierer ohne Steuermann Lucas Tramèr, Simon Schürch, Simon Niepmann, Mario Gyr (v.l.n.r.) (Bild: Detlev Seyb, Schweizerischer Ruderverband).

zentralplus: Sie rudern, seit Sie elf Jahre alt sind. Mittlerweile sind Sie über 30. Wird es Ihnen nicht langweilig im Boot?

Niepmann: Nein. Der Sport ist sehr facettenreich und hat sich für mich auch immer wieder verändert. Als ich mit dem Rudern beginnen wollte, war ich zu klein dafür und durfte «nur» Steuermann sein. Später stand der Spass im Zentrum. Ich ruderte mit Kollegen und ohne Druck, bevor wir dann erste Rennen absolvierten. Der Wettkampf ist das, was mich bis heute motiviert und immer wieder aufs Neue reizt.

«Wenn man morgens um halb acht bei Minusgraden und Nebel auf den See muss, denkt man sich schon, dass Hallensport gerade schöner wäre.»
Simon Niepmann

zentralplus: Mit dem Rudern haben Sie in Deutschland begonnen. Sie sind Deutsch-Schweizer Doppelbürger. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie heute für die Schweiz starten?

Niepmann: Das war Zufall. Wir haben in der Nähe von Basel trainiert damals. Dann ist mein Kollege ausgefallen und ich bin nach Basel gekommen und habe dort einen neuen Teamkollegen gefunden. Wir begannen zusammen Wettkämpfe zu rudern, hatten Erfolg und schafften den Sprung ins Kader. Von da an führte eines zum anderen.

zentralplus: Haben Sie manchmal auch keine Lust aufs Rudern?

Niepmann: Das ist diesen Winter sogar sehr oft vorgekommen. Wenn man morgens um halb acht bei Minusgraden und Nebel auf den See muss, denkt man sich schon, dass Hallensport gerade schöner wäre. Oder auch wenn ich zwei Stunden am Stück auf dem Ergometer sitze, fällt es mir schwer, mich fürs Rudern zu motivieren.

Muss nicht nur bei schlechtem Wetter draussen trainieren: der Schweizer Leichtgewichtsvierer (Bild: Detlev Seyb, Schweizerischer Ruderverband).

Muss nicht nur bei schlechtem Wetter draussen trainieren: der Schweizer Leichtgewichtsvierer (Bild: Detlev Seyb, Schweizerischer Ruderverband).

zentralplus: Aber Rudern ist sicher nicht nur Qual. Was haben Sie vom Rudern gelernt?

Niepmann: Insbesondere das Zusammenleben mit Mitstreitern. Im Umgang mit dem Team, aber auch mit dem Gegner bin ich weitergekommen. Ich habe gelernt, mich mit anderen zu freuen und sich selber auch infrage zu stellen. Aber auch das zielorientierte Arbeiten habe ich beim Rudern gelernt. Das hat mir später an der Uni sehr geholfen, als ich unter Zeitdruck abliefern musste.

zentralplus: Sie wohnen zusammen mit Ihrer Freundin in Zug. Was mögen Sie besonders an Zug?

Niepmann: Jetzt, dass ich viele Freunde in Zug habe. Aber ich erinnere mich, als ich das erste Mal nach Zug kam, war es wie in die Ferien gehen. Wir haben mit den Eltern früher in den Ferien häufig Tagesausflüge in die Zentralschweiz gemacht. Mit dem See und den Bergen ist Zug in eine wunderbare Landschaft eingebettet.

zentralplus: Wissen Sie, dass Sie bis anhin der einzige Zuger Olympiateilnehmer sind?

Niepmann: (lacht) Nein, darum habe ich mich nicht gekümmert. Es freut mich, den Kanton in Rio zu vertreten, aber es wäre schön, bliebe ich nicht der Einzige. 

Dieser Wunsch soll Simon Niepmann erfüllt werden. Eine Woche nachdem das Interview geführt wurde, wurde mit Fabienne In-Albon eine zweite Sportlerin für die Olympischen Spiele in Rio selektioniert. Die Golferin werden wir in einigen Tagen ebenfalls vorstellen.

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