«Nur weils besser läuft, dürfen wir nicht nachlassen»
Karin Stadelmann (rechts) mit ihrer Mutter und Mitte-Kantonsrätin Eliane Graber (links) am FCL-Match. (Bild: zvg)
Karin Stadelmann, Präsidentin der Luzerner Mitte, erklärt gegenüber zentralplus, wieso die Fangewalt-Initiative ihrer Partei mehr als ein Papiertiger sein soll. Die Kritik des Regierungsrats kontert sie.
Seit Dienstagmorgen ist klar, was der Luzerner Regierungsrat von der Fangewalt-Initiative der Luzerner Mitte hält: wenig. Denn ein Teil der darin enthaltenen Massnahmen, die im Polizeigesetz verankert werden sollten, sei ungültig. Und der gültige Teil schlicht nicht «zielführend».
Darum will der Regierungsrat ein Jahr Zeit, um einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Die Mitte werde dafür Stand heute keine Hand bieten, sagt Karin Stadelmann gegenüber zentralplus.
zentralplus: Karin Stadelmann, was halten Sie von der Kommunikation des Regierungsrats zu Ihrer Fangewalt-Initiative?
Karin Stadelmann: Einerseits sind wir enttäuscht, anderseits überrascht im positiven und negativen Sinn.
zentralplus: Worüber sind Sie erstaunt?
Stadelmann: Darüber, dass der Regierungsrat einen planlosen Eindruck hinterlässt.
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zentralplus: Inwiefern?
Stadelmann: Er hatte ein Jahr Zeit, um eine Botschaft zur Fangewalt-Initiative auszuarbeiten. Doch zum Inhalt eines allfälligen Gegenvorschlags äussert er sich so gut wie gar nicht. Stattdessen will er dafür nochmals ein Jahr Zeit.
zentralplus: Und was hat Sie positiv überrascht?
Stadelmann: Dass auf dem Gesetzesweg mehr möglich ist, als der zuvor amtierende Regierungsrat stets behauptet hatte.
zentralplus: Sie sprechen auf die Verschärfung des interkantonalen Hooligan-Konkordats an, der wohl wichtigsten gesetzlichen Grundlage im Kampf gegen die Fangewalt. Das Gutachten des Regierungsrats bejaht grundsätzlich, dass eine Verschärfung auf kantonaler Ebene möglich ist.
Stadelmann: Genau. Als wir die Initiative vor einem Jahr einreichten, war noch unklar, ob das Hooligan-Konkordat übers Luzerner Polizeigesetz verschärft werden könnte.
zentralplus: Gleichzeitig sind diverse Massnahmen, welche die Fangewalt-Initiative fordert, nicht grundrechtskonform. Hat die Luzerner Mitte bei der Ausarbeitung der Initiative gepfuscht?
Stadelmann: Wir haben damals diverse rechtliche Abklärungen getroffen und uns beraten lassen – und der Regierungsrat nun ja auch, was wir schätzen. Uns war klar, dass sich bei gewissen Massnahmen die Frage der Grundrechtskonformität stellt. Ungültig sind aber nur drei der neun Massnahmen, die wir im Gesetz verankern wollen.
zentralplus: Liessen Sie es also einfach draufankommen, um zu prüfen, wie gross der Spielraum für Verschärfungen des Gesetzes ist?
Stadelmann: Definitiv nein. Der Regierungsrat stellte fest, dass sich die Initiative sogar umsetzen liesse, wenn der Kantonsrat einen Teil für ungültig erklären würde. Wir sehen uns darum vom Regierungsrat und dessen Gutachten bestärkt.
zentralplus: Wie überzeugend ist denn das Gutachten des Regierungsrats?
Stadelmann: Es bietet eine gute Diskussionsgrundlage. Inhaltlich können wir darin gar eine positive Haltung zu unserer Initiative erkennen.
zentralplus: Und wie gehts nun weiter?
Stadelmann: Der Kantonsrat wird voraussichtlich im September über die Botschaft beraten. Und dann einerseits über die Teilungültigkeit der Initiative, anderseits über die Fristerstreckung des Regierungsrats befinden.
zentralplus: Der Regierungsrat will ein Jahr Zeit, um einen Gegenvorschlag auszuarbeiten. Wie steht die Mitte zu diesem Wunsch?
Stadelmann: Stand heute werden wir dafür keine Hand bieten. Denn der Regierungsrat zeigt in seiner Botschaft nicht wirklich auf, was er in Sachen Gegenvorschlag will. Man erkennt nicht, worauf er fokussieren will. Das Thema Fangewalt darf aber nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden.
zentralplus: Warum nicht?
Stadelmann: Wir handeln im Auftrag der Bevölkerung. Die Initiative haben viele Menschen unterschrieben, weil sie genug haben. Der Geduldsfaden reisst, gerade beim Thema Fangewalt. In der Vergangenheit stand bei Fussballspielen oft die halbe Stadt still: Strassensperren, Polizeiaufgebote, Sicherheitsbedenken. Die Bevölkerung hat genug – und das zu Recht.
zentralplus: Dennoch will der Regierungsrat ein Jahr mehr Zeit – wartet er die nationalen Entwicklungen ab und spielt auf Zeit?
Stadelmann: Es macht leider den Anschein. Dabei wäre es gar nicht nötig, die nationale Entwicklung als Ganzes abzuwarten. Einige Massnahmen können in Luzern bereits umgesetzt werden. Wir wollen vorwärtsmachen – und vielleicht macht dieser Luzerner Weg dereinst Schule, indem die anderen Kantone nachziehen.
zentralplus: Gemäss Regierungsrat böte die Fangewalt-Initiative, abzüglich der ungültigen Teile, kaum Mehrwerte. Bis auf die ID-Kontrollen am Eingang würde sich nichts ändern. Darum will der Regierungsrat einen Gegenvorschlag ausarbeiten.
Stadelmann: Wir wollen mit unserer Initiative eine Verbindlichkeit, sodass bestehende und weitere Massnahmen effektiv umgesetzt werden. Das passiert, wenn sie im Luzerner Polizeigesetz verankert sind. Der Regierungsrat blieb lange untätig – trotz mehrerer Vorstösse im Kantonsrat in den letzten Jahren.
zentralplus: Seit Frühling 2023 wird das Kaskadenmodell, das die Fangewalt-Initiative ebenfalls im Gesetz verankern will, umgesetzt. Reicht das denn nicht?
Stadelmann: Bis jetzt wurden die Massnahmen viel zu selten und zu zurückhaltend angewandt.
zentralplus: Die Zahlen der Sicherheitsbehörden zeigen: Fangewalt nimmt in der Schweiz nicht etwa zu, sondern ab.
Stadelmann: Was erfreulich ist. Viele Fans und der FCL sind um Lösungen bemüht. Dennoch ist es Aufgabe der Politik, Rahmenbedingungen zu schaffen und Grenzen zu setzen. Nur weils jetzt grad etwas besser läuft, dürfen wir nicht nachlassen. Wir brauchen Massnahmen für den Fall, dass die Fangewalt wieder zunimmt.
zentralplus: Die einzig neue Massnahme, die mit der Fangewalt-Initiative im Fall einer teilweisen Ungültigerklärung ergriffen würde, sind ID-Kontrollen bei Heimspielen des FCL. Die Personaldaten dürften aber nicht abgespeichert werden. Verkommt die Initiative so zum Papiertiger?
Stadelmann: Nein. Es geht weder um Symbolpolitik noch um Überregulierung.
zentralplus: Sondern?
Stadelmann: Die gesetzliche Verankerung der Massnahmen würde deren Verbindlichkeit erhöhen. Sie schafft klare Zuständigkeiten. Zudem geht es auch um verbindliche Konzepte für die An- und Abreise – denn viele Probleme entstehen nicht im Stadion, sondern auf dem Weg dorthin oder danach.
zentralplus: Und was bringen ID-Kontrollen, wenn die Daten nicht abgespeichert werden dürfen?
Stadelmann: Nichts, aber genau das soll der Bund jetzt endlich klären. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft grundsätzlich diskutieren, wie wir in Zukunft mit dem Thema Datenspeicherung umgehen wollen.
zentralplus: Sie fordern also die Lockerung des Datenschutzes?
Stadelmann: Nein, wir sind nicht generell für eine Lockerung des Datenschutzes. Aber wenn es um die Sicherheit bei Grossveranstaltungen geht, müssen gezielte und verhältnismässige Lösungen möglich sein. Die Datenspeicherung darf kein Tabu sein, sondern Teil einer lösungsorientierten Debatte.
zentralplus: Dürfen die Fans, die gewalttätig sind, mit Grundrechten und dem Datenschutz argumentieren?
Stadelmann: Das ist schon etwas stossend. Wer sich korrekt verhält, hat in unserem Rechtsstaat auch nichts zu befürchten. Aber wer randaliert oder andere gefährdet, muss mit Konsequenzen rechnen. Das ist keine Einschränkung der Freiheit, sondern Voraussetzung für ein friedliches Miteinander.
zentralplus: Von Kollektivstrafen wie Sektorsperren oder gar Geisterspielen und ID-Kontrollen sind aber auch Hunderte bis Tausende Fans betroffen, die sich nichts zuschulden kommen liessen.
Stadelmann: Kollektivstrafen sind immer die Ultima Ratio – das letzte Mittel. Sie kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Sicherheitslage so angespannt ist, dass es keine andere Möglichkeit mehr gibt. Persönlich wünsche ich mir das nicht, aber das liegt eben auch am Verhalten gewisser Fans.
zentralplus: In mehreren Kantonen zogen Fussballclubs und Vereine gegen Kollektivstrafen des Kaskadenmodells vor Gericht. Haben Sie es mit der Umsetzung Ihrer Initiative auch so dringend, um mit einer Gesetzesänderung einem Bundesgerichtsentscheid zuvorzukommen?
Stadelmann: Nein, das war nie unsere Intention. Uns geht es darum, endlich eine klare gesetzliche Grundlage zu schaffen. Gerade auch für die Polizei. Denn sie steht Wochenende für Wochenende im Einsatz – oft ohne die nötigen Instrumente, um konsequent gegen gewalttätige Fans vorzugehen.
zentralplus: Was, wenn das Kaskadenmodell und die darin definierten Kollektivstrafen vom Bundesgericht abgeschafft werden?
Stadelmann: Wir wollen definitiv nicht in die Situation kommen, in der Kollektivstrafen zur Regel werden. Es geht darum, im Ernstfall über klare, rechtlich abgestützte Instrumente zu verfügen. Die KKJPD, welche das Kaskadenmodell konzipiert hat, stützt sich schliesslich auf viele Mitglieder, welche die nötige Erfahrung und Expertise mitbringen.
zentralplus: Nicht nur sämtliche Akteure des Fussballs, sondern auch die Wissenschaft sagt: Kollektivstrafen bringen quasi nichts und können sogar kontraproduktiv sein. Besser wäre es, auf Prävention, Dialog und Einzeltäterverfolgung zu setzen.
Stadelmann: Als Sozialwissenschaftlerin bin ich auch der Meinung: Mit Prävention und Dialog erreicht man mehr. Deshalb bin ich klar dafür, die Fanarbeit Luzern zu stärken und die Fussballclubs in ihrer Arbeit zu bestärken. Unsere Initiative schmälert diese Bemühungen nicht – im Gegenteil. Sie schafft klare Regeln, etwa für die An- und Abreise der Fans. Kollektivstrafen sind und bleiben dabei die Ultima Ratio.
Stadelmann: Weil es in gewissen Situationen leider keine Alternative gibt. Das Kaskadenmodell ist ein differenziertes Vorgehen mit klaren Stufen. Uns sind die Nachteile von Kollektivstrafen bewusst. Sie führen zu mehr Unberechenbarkeit am Matchtag und können im schlimmsten Fall zur Radikalisierung beitragen. Genau deshalb dürfen sie nur im Ausnahmefall angewendet werden – wenn die Sicherheit anders nicht mehr gewährleistet werden kann.
zentralplus: Trotz der kleinen Wirksamkeit?
Stadelmann: Die Frage erinnert an die Diskussion um Handyverbote: Verbietet man Handys an allen Schulen generell – oder gezielt in Klassen, wo es Probleme gibt? Es ist immer eine Frage der Verhältnismässigkeit. Auch Kollektivmassnahmen können Wirkung zeigen, wenn sie gezielt, verhältnismässig und als letztes Mittel eingesetzt werden.
Einst Moderator und Redaktor beim Radio 3FACH und bei Jam On Radio, schreibt Joel Dittli seit 2023 bei zentralplus. Um auch den künftigen Herausforderungen im Medienalltag gewachsen zu sein, absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern. Als Reggae-Musiker und FCL-Fan ist er am Wochenende oft in Kulturlokalen oder Fussballstadien anzutreffen.