«Als ich intern den Rücktritt erklärte, brach ich zusammen»
Stefan Wolf steht vor seinem letzten Heimspiel als Präsident des FC Luzern. Mit zentralplus spricht er über vier turbulente Amtsjahre, Differenzen mit dem Verwaltungsrat und den emotionalen Abschied von seinem Herzensverein.
Flutlichtspiel, Samstagabend – im VIP-Bereich des Stadions auf der Allmend hört Stefan Wolf durch die grosse Fensterfront hindurch die Gesänge der Kurve. Der abtretende Präsident des FC Luzern schüttelt Hände, wie er das vor jedem Heimspiel tut.
Während sich die Gäste aus Lugano und die Mannschaft von Mario Frick in den Katakomben bereit machen, macht sich Wolf ein letztes Mal auf seine obligate Runde. Sie führt ihn hinter den Sitzplätzen und der Stehrampe einmal ums ganze Spielfeld herum durchs Stadion. Unterwegs plaudert er mit Fans, mit glücklichen und weniger glücklichen, mit solchen, die sich von ihm verabschieden, und mit solchen, die noch ein letztes Mal Kritik üben wollen.
«In mir drin siehts definitiv anders aus.»
FCL-Präsident Stefan Wolf
Das anstehende Heimspiel gegen Lugano ist sein letztes als Präsident des FC Luzern. Eine Woche vorher trifft sich Stefan Wolf mit zentralplus dort, wo er nach seiner Runde durchs Stadion, stets stehend, den Match verfolgt. Ganz oben auf der Haupttribüne. Ganz allein.
Weiterlesen, sonst verpasst du:
was Wolfs Frau vom gemeinsamen Fussballschauen hält
welche Spuren der Aktionärsstreit an ihm hinterlassen hat
wie er den Unkenruf, er sei zu «soft» für den Fussball, kontert
Stefan Wolfs staatsmännischer Umgang mit Emotionen
«Es gibt nichts Langweiligeres, als mit dir einen FCL-Match zu schauen», zitiert Wolf seine Frau. So kontaktfreudig der 53-Jährige sich vor und nach den Heimspielen zeigt, so sehr meidet er während der 90 Minuten Fussball die Menschen um ihn rum. Wenn seine Mannschaft unten auf dem Platz um Punkte kämpfe, macht er zu. Sich nebenbei auf Gespräche zu konzentrieren – unmöglich.
Wer die Heimspiele des FCL am Fernseher verfolgt, dürfte Wolf immer wieder eingeblendet bekommen. Doch anders als bei Trainer Mario Frick bleiben Wolfs Emotionen bei Toren für seinen Verein fast unsichtbar. «In mir drin siehts definitiv anders aus», stellt Wolf klar.
Er halte sich bewusst zurück. Nicht nur im Stadion, auch sonst. Das gehöre sich so für einen Präsidenten, findet er.
Der abtretende Präsident bricht zusammen
Das sehen nicht alle Präsidenten der Super League so. In Sion herrscht Christian Constantin aufbrausend und unberechenbar. Beim FCB tritt David Degen oft ungeduldig, manchmal fast schon hyperaktiv auf. Und im FC Zürich inszeniert sich Ancillo Canepa als Mäzen. Dagegen wirkt Stefan Wolf fast schon langweilig.
«Ich bin, wie ich bin», sagt Wolf. Besonnen, bescheiden, bodenständig – und zurückhaltend.
Wolf ist kein Mann der grossen Worte, Emotionen hält er staatsmännisch zurück. Trotzdem bezeichnet er sich als sehr emotionalen Menschen. «Ich werde auch mal hässig», sagt er. An seinen letzten Ausraster kann er sich aber nicht erinnern. Hingegen erinnert er sich gut an den Tag, an dem er seinen Mitarbeitern mitgeteilt hat, dass er zurücktreten wird. «Da bin ich emotional zusammengebrochen.»
Stefan Wolf kämpfte mit den Tränen
Dass ihm der Entscheid, zurückzutreten, schwerfiel, war auch an der Pressekonferenz, Mitte August, spürbar. Seine Stimme war belegt, er wirkte den Tränen nahe (zentralplus berichtete).
Eine Woche vor dem letzten Heimspiel auf der Allmend scheint Wolf trotz verkündeten Rücktritts mit dem Herz bei der Sache zu sein. Sein Amt übe er immer noch mit Stolz und Freude aus, beteuert er.
«Ich gebe alles, bis zum letzten Tag. Das ist für mich absolut selbstverständlich.» Loyalität sei ihm wichtig. Auch als er im Cupfinal 1997 ein letztes Mal das Trikot des FC Luzern trug, bevor er zum Gegner, zum FC Sion wechseln sollte, legte er sich auf dem Platz voll ins Zeug. Obwohl der Wechsel ins Wallis zu diesem Zeitpunkt bereits feststand.
Suppe servieren und Schnee schaufeln
Während seiner Aktivkarriere hatte Wolf auch für Servette und den FC St. Gallen gespielt, wo er später im Verwaltungsrat sass. Bei einem anderen Fussballclub das Präsidentenamt übernehmen werde er jedoch nie. Hingegen könne er sich eine Rückkehr zum FCL durchaus vorstellen – auch wenn er an sowas momentan keine Gedanken verschwende.
«Ich war und bin extrem gerne Präsident», sagt Wolf. Seine repräsentativen Aufgaben erfüllte er leidenschaftlich. Auch nach der Verkündigung seines Rücktritts. So servierte er am Suppentag vor zwei Wochen Suppe für einen guten Zweck, half mit, als Dutzende FCL-Fans vor dem Heimspiel gegen YB den Platz von einer dicken Decke Schnee befreiten, und nahm sich später, kurz vor Anpfiff, auf seiner Runde durch den Stadiongang einmal mehr Zeit für alle, die sich mit ihn unterhalten wollten.
«Das bin ich all denen schuldig, die im FCL jeden Tag alles geben», sagt Wolf.
Mario Frick, FCL-Grosi und Kurve bedauern Abgang
Über seinen offiziellen Abschied ist eine Woche vor dem Heimspiel gegen Lugano nichts in Erfahrung zu bringen. Er werde sicherlich mit seinen Leuten anstossen, auf einen pompösen und lauten Abgang verzichte er aber gerne. «Das entspräche mir nicht.»
Dennoch ist davon auszugehen, dass er für seine Leistungen und sein Engagement als Präsident des FC Luzern im Stadion gefeiert wird. Denn bei den Fans und im Verein ist Wolf beliebt. Sein Abgang wird bedauert.
Vom FCL-Grosi, die sich sicher ist, dass der Verein lange auf einen solch tollen Präsidenten werde warten müssen. Von der Kurve, deren Vertreter Wolf bereits mit Extrazugtickets für Auswärtsspiele beschenkt haben. Von der Fan-Organisation FCL-Basis, deren Präsident Andreas Grüter Wolf als «sehr nahbaren Präsident» bezeichnet. Und auch vom FCL-Trainer Mario Frick, den der Rücktritt «traurig» machte.
20’000 Fans stellten sich hinter Stefan Wolf
Wie gross Stefan Wolfs Rückhalt bei den Anhängern ist, zeigte sich nach Ausbruch des Aktionärsstreits zwischen dem FCL-Verwaltungsrat und dem einstigen Mehrheitsaktionär Bernhard Alpstaeg (zentralplus berichtete). Fast 20’000 Fans unterschrieben die Forderungen der Bewegung «Zäme meh als 52 Prozänt» und stellten sich demonstrativ hinter Wolf und Co. (zentralplus berichtete). «Das hat mich sehr berührt», sagt Wolf, «aber den Rückhalt aus der Region spürte ich bereits vom ersten Tag an.»
Bei seinem Antritt, Anfang 2021, wirkte es auch FCL-intern harmonisch. Zwar war schnell klar, dass Bernhard Alpstaeg als nun unbestrittener Mehrheitsaktionär so mächtig sein würde wie noch nie (zentralplus berichtete). Doch bevor der Aktionärsstreit im Herbst 2021 erneut ausbrach, folgten historische Monate. So gewann der FCL den Cup – und holte damit nach fast 30 Jahren wieder einen Pokal in die Innerschweiz. 10’000 Fans pilgerten trotz Coronamassnahmen auf die Allmend (zentralplus berichtete). Der Start in die Amtszeit Wolfs hätte kitschiger kaum sein können.
Mit Mario Frick kehrte Kontinuität ein
Doch die Euphorie wich rasch der Ernüchterung. Sportlich misslang der Start in die zweite Saison unter Stefan Wolf zünftig. Die Entlassung des Cupsiegertrainers Fabio Celestini verlief alles andere reibungslos (zentralplus berichtete).
Mit Mario Frick fand Sportchef Remo Meyer einen Nachfolger, der seinen Posten seit nunmehr drei Jahren behauptet. Damit ist er mit Luganos Mattia Croci-Torti, der drei Monate länger im Amt ist als Frick, dienstältester Trainer der Super League.
Auch unter Frick gabs Höhen und Tiefen, doch er brachte Kontinuität in den Club – und gemäss Wolf alles mit, was von einem FCL-Trainer zu erwarten ist: Leidenschaft, eine offensive Spielphilosophie und die Bereitschaft, auf den jungen Nachwuchs zu setzen.
Luzerner Talente füllen dem FCL die Hütte
Auch dank der vielen Talente aus der Region pilgern seit Wolfs Amtsantritt immer mehr Zuschauer ins Stadion. Es seien flotte Jungs, findet Wolf, der nicht nur Wert auf die Leistung, sondern auch den Charakter der FCL-Talente legt. Sie seien selbstbewusst und doch nahbar, höre er immer wieder von Externen, wenn Pascal Loretz, Luca Jaquez, Severin Ottiger oder Lars Villiger von Autogrammstunden zurückkämen.
Mit dem Transfer von Ardon Jashari kassierte der FCL im Sommer die höchste Ablösesumme der Clubgeschichte (zentralplus berichtete). Weitere Talente träumen ebenfalls und berechtigterweise vom Wechsel ins Ausland.
Doch Wolf verzichtet trotz der Erfolge auf allzu dick aufgetragenes Eigenlob. Im Nachwuchs sei schon vor seiner Zeit hervorragend gearbeitet worden. Effektiv auf die eigenen Talente zu setzen, sei seit Jahren Teil der sportlichen Strategie. «Der FCL erntet nun die Früchte jahrelanger Arbeit», sagt Wolf. Er ist überzeugt, dass der Verein diesen Weg weitergehen werde. Auch nach seinem Abgang.
«Über Fussball quatschen, den Rasen riechen»
Obschon Sportchef Remo Meyer und Trainer Mario Frick die meisten sportlichen Entscheidungen treffen, war Wolf nahe dran beim Fussball. Wenn immer möglich, schaute er in der Garderobe oder beim Training vorbei. Um über Fussball zu quatschen, den Rasen zu riechen. «Das brachte mich durch intensive Phasen», erklärt Wolf.
Wolf betont, nicht wegen des Aktionärsstreits abzutreten. Doch hinterliess dieser seine Spuren. «Zeitweise sah man mir die Belastung an.» Heute fragt er sich, ob der Streit schneller und einfacher hätte gelöst werden können. Doch Wolf gibt sich pragmatisch: «Ich tat immer, was ich für richtig hielt. Ändern kann ich jetzt eh nichts mehr.»
War Stefan Wolf zu «soft» fürs Fussballgeschäft?
Wegen seines ausgeglichenen Auftritts las Wolf in der Presse immer wieder, dass er für den Job im harten Fussballgeschäft zu «soft» sei. «Nach Corona folgte der Aktionärsstreit. Wär ich zu ‹soft›, hätte ichs im FCL nicht vier Jahre lang ausgehalten», kontert Wolf. Er habe eine klare Meinung und diese auch immer klar kundgetan.
Dass es bisweilen auch rau zu und her ging, findet Wolf nicht nur schlecht: «Der FCL lebt, da sind Emotionen drin. Das ist mir lieber, als wenn sich niemand für den Club interessieren würde.»
So sehr trüben Millionenverluste die Bilanz
Die finanziellen Schwierigkeiten des FC Luzern rückten in den vergangenen Jahren vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit. Dass Jahr für Jahr rote Zahlen im Millionenbereich geschrieben würden, sei aber weder neu noch ungewöhnlich, so Wolf. «Der Profifussball ist in der Schweiz grundsätzlich defizitär», erklärt er. Die Verluste, die der Club jährlich schrieb, waren budgetiert. Doch hätten gewisse Dinge sicherlich optimiert werden können.
Fakt sei aber auch, dass der FCL als Unternehmen gewachsen sei. «Als ich noch für den FCL ‹tschuttete›, arbeiteten auf der Geschäftsstelle zwei Personen. Inzwischen sind es inklusive der Spielerinnen und Spieler über 230», sagt Wolf. Zudem komme ein Fussballclub ohne Investitionen nicht vorwärts.
Differenzen zwischen Stefan Wolf und Verwaltungsrat zu gross
Welchen Anteil die Finanzen am Rücktritt Wolfs hatten, bleibt unklar. Über seine Beweggründe verliert der scheidende Präsident nur wenige Worte. Mit dem Verwaltungsrat sei er sich zuletzt in mehreren wichtigen Punkten nicht mehr einig gewesen. Dabei solls um mehr als nur die Wirtschaftlichkeit und die strategische Ausrichtung gegangen sein.
Erste Entscheide hat der Verwaltungsrat rund um Vizepräsident Josef Bieri darum bereits ohne Präsident Stefan Wolf gefällt. Mit der Verkleinerung der Geschäftsleitung und den Abgängen des langjährigen Finanzleiters Richard Furrer und Simon Meier, Geschäftsleiter ad interim, will Wolf nicht in Verbindung gebracht werden.
Eine letzte Runde durchs Stadion
Seit Freitag ist zudem bekannt, dass auch der langjährige Kommunikationsleiter Markus Krienbühl vom Verwaltungsrat per sofort freigestellt wurde. Auch Marketingleiter Patrick Jost geht per Ende Jahr. Als einziges Mitglied der sechsköpfigen Geschäftsleitung bleibt Remo Meyer dem FCL erhalten.
Der selbsterklärte Optimist Stefan Wolf wirkt für einmal skeptisch: «Wie gut der Umbruch im FC Luzern gelingt, wird sich zeigen.»
Ein letztes Mal als Präsident des FC Luzern zeigen wird sich Stefan Wolf beim Heimspiel gegen Lugano, bei seiner obligaten Runde durchs Stadion. Er verspicht, irgendwann auch wieder als FCL-Fan mitfiebern zu wollen. Mitten im Getummel. Vielleicht aber auch ganz allein, ganz oben auf der Haupttribüne.
Einst Moderator und Redaktor beim Radio 3FACH und bei Jam On Radio, schreibt Joel Dittli seit 2023 bei zentralplus. Um auch den künftigen Herausforderungen im Medienalltag gewachsen zu sein, absolviert er die «Diplomausbildung Journalismus» am MAZ Luzern. Als Reggae-Musiker und FCL-Fan ist er am Wochenende oft in Kulturlokalen oder Fussballstadien anzutreffen.