Das Schwingfest und die Grenzen des Wachstums

Ein Fest für Schwinger oder für die Wirtschaft?

Das letzte Eidgenössische Schwingfest in der Innerschweiz fand 2004 in Luzern statt. 2019 ist Zug an der Reihe. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Zu gross, zu kommerziell, zu viel Show. Das vergangene Eidgenössische Schwingfest von Estavayer erntet viel Kritik, auch vom Chamer Schwingerkönig Harry Knüsel. Gelingt es in drei Jahren ausgerechnet im Wachstumskanton Zug, den grassierenden Gigantismus am Eidgenössischen zu bodigen?

Es klingt etwas wie bei Angela Merkel. Die Botschaft, die das OK des Eidgenössischen Schwing- und Älplerfestes 2019 derzeit verbreitet, lautet zusammengefasst: «Wir haben verstanden.» Von einem kleineren Festgelände ist in Zug bereits die Rede, von Rücksicht auf die Quartierbevölkerung und Werten wie Nachhaltigkeit und Bodenständigkeit. Doch ähnlich wie bei Merkels kommunikativem Spagat in der Flüchtlingskrise kann auch OK-Präsident und Regierungsrat Heinz Tännler in der Sache sec und stur bleiben. Man organisiere schlicht ein Fest nach den Vorgaben des Schwingerverbandes (ESV). Weniger Sponsoring? Kaum. Eine Obergrenze der Besucherzahl? Iwo. Nicht konkrete Versprechen, sondern forsche Kommunikation und ein demonstrativ hohes Betriebstempo sollen der latenten Wachstumskritik derzeit den Schwung nehmen.

Schwingen soll Oberhand behalten

Um was geht es den Kritikern konkret? Vereinfacht gesagt: um den Kern der Sache, die Pflege guteidgenössischen Brauchtums. «Das Schwingen muss die Oberhand behalten», fordert Harry Knüsel, der letzte Innerschweizer Schwingerkönig (Sion 1986). Der Mann aus Cham, der heute ein Bauunternehmen in Sins (AG) leitet, plädiert dafür, künftig die «heilige Arena» drinnen und die Party-Meile draussen noch strikter zu trennen.

«Mit den Ehrengästen und Sponsoren ist die obere Grenze erreicht.»
Harry Knüsel, letzter Innerschweizer Schwingerkönig

Die Plätze im Allerheiligsten gebührten den wahren Schwingfans. «Mit den Ehrengästen und Sponsoren ist die obere Grenze erreicht», so Knüsel. Auf einem umliegenden Festgelände hätte dafür alles Nicht-Eigentliche Platz, laute Musik, Luna-Park und Sponsoren-betriebener Budenzauber. «Das muss auch nicht kleiner werden», findet Knüsel, «die Grösse des Festes verschafft uns ein Medieninteresse, das Sponsoren und Geld bringt.» Nur müsse eben sichergestellt werden, dass dieses Geld letztlich dem Schwingsport zufliesse.

Im Norden des Zuger Herti-Quartiers neben den Familiengärten ist das vorübergehend grösste Sportstadion der Schweiz geplant. (Bild: Montage zentralplus)
Im Norden des Zuger Herti-Quartiers neben den Familiengärten ist das vorübergehend grösste Sportstadion der Schweiz geplant. (Bild: Montage zentralplus)

Nur Mut: Sponsoren auch mal ablehnen

Das aber scheint eben zu wenig zu passieren: «Es ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstanden, nur eine kleine Schicht profitiert vom Schwing-Boom», kritisiert der Blogger und Schwing-Fan Koni Schelbert, Betreiber des «Feldwaldwiesenblogs» (Motto: «Ich gebe dem Stammtisch eine vernünftige Stimme»). Schwingen sei ein Amateursport und solle das auch bleiben, so Schelbert. Dass einige Kranzschwinger von Autofirmen gesponsert würden, schaffe ein Klima von Neid und Missgunst.

«Da sollte das OK auch mal den Mut haben, Sponsoren abzulehnen.»
Koni Schelbert, Betreiber «Feldwaldwiesenblog»

Auch am Schwingfest selbst beobachtet der Muothataler mit Argwohn, wie sich immer mehr Firmen ein Stück vom Käse zu sichern versuchten: «Sponsoren wie Emmentaler oder eine Kantonalbank finde ich okay. Aber Werbung für Autos oder Unterhaltungselektronik, die mit dem Anlass nichts zu tun haben, passt einfach nicht an ein Schwingfest. Da sollte das OK auch mal den Mut haben, Sponsoren abzulehnen», findet der Alpen-Blogger.

Uneinige Kritiker

Knüsel wie Schelbert sorgen sich um die Seele des Schwingfestes. Doch während der Ex-Schwingerkönig dafür das Festgelände Schaulustigen und kommerziellen Trittbrettfahrern pragmatisch preiszugeben bereit ist, möchte Schelbert das Ganze zusammenhalten – und verkleinern. Er nähme in Kauf, dass damit künftig weniger Leute an ein Schwingfest pilgerten, diese aber dafür überall wieder stärker mit seinem Kern in Berührung kämen: «Es geht hier um unsere Tradition und unser Brauchtum, auch um die einheimische Landwirtschaft und das Handwerk, die sich alle drei Jahre an einem grossen Fest präsentieren können.» Schelberts Ansatz klingt integrativer – kein Schwingfest für einen heiligen Kern, sondern für alle, die sich für seinen Kern interessieren.

Expats zeigen Interesse am Schwingen

A propos integrativ: Der grösste Sportanlass der Schweiz hat ein riesiges Potential, identitätsstiftend zu wirken und Menschen zusammenzuführen. Wie kaum irgendwo prallen im potenten Wirtschaftskanton Zug Welten aufeinander: Städter und Landschäftler, Handwerker und Treuhänder, Einheimische und Expats leben hier auf engem Raum – tendenziell aber eher nebeneinander als miteinander. Je geringer der Austausch, desto eher steigt ein Unbehagen über die Anderen. Jüngst hat eine Umfrage unter Expats der Schweiz ziemlich schlechte Noten in Sachen Freundlichkeit und sozialer Integration erteilt. Könnte das Schwingfest hier nicht einen weiteren Beitrag zur Integration leisten?

«Alle Zuger sind zum Schwingfest eingeladen, da gehören auch die Expats dazu.»
Dolfi Müller, Zuger Stadtpräsident

Für Zugs Stadtpräsident Dolfi Müller keine Frage: «Alle Zuger sind zum Schwingfest eingeladen, da gehören auch die Expats dazu. Es liegt am Schwingerverband, genügend Plätze für die Zuger Bevölkerung anzubieten!»

Einen solchen würde zum Beispiel Anne Caroline Skretteberg sehr gerne besetzen: «Ich will das Schwingfest auf jeden Fall besuchen und auch andere Neuzuzüger aus meinem Umfeld dazu animieren», sagt die perfekt Schweizerdeutsch sprechende Norwegerin, die die Integrations-Plattform «Let’s talk Zug» präsidiert. Diese ist darum bemüht, mit traditionellen Vereinen und Gruppen in Kontakt zu kommen. Normalerweise sei man sehr willkommen, wenn auch bei Trachten- oder Fasnachtsvereinen bisweilen eine Reserviertheit zu spüren sei, so Skretteberg.

Der Siegermuni für den Festsieger 2019 wurde bereits gewählt. (Bild: zentralplus/slam)
Der Siegermuni für den Festsieger 2019 wurde bereits gewählt. (Bild: zentralplus/slam)

Mehr grün als sozial

Zurück in die Schaltzentrale des Zuger Schwing- und Älplerfestes: Das OK zeigt sich derzeit bemüht, sich Kritik und Anregungen zu stellen. An seiner Sitzung vom 15. September hat es jene Kritik «gewürdigt», die Mitglieder des Schwingverbandes und Private nach Estavayer persönlich und per Mail vorgebracht haben. Nicht anzunehmen ist aber, dass darunter neben den Fragen nach Grösse und Ursprünglichkeit auch das Ansinnen war, das Schwingfest vermehrt bei Städtern und Ausländern beliebt zu machen.

Schwingen verbinde sowieso, eine spezielle Einladung an Aussenstehende sei unnötig, man sei ja auch «kein Integrationskurs», markiert OK-Präsident Heinz Tännler die Grenzen des Projekts. Wenn er von der «Nachhaltigkeit» des Schwingfestes spricht, meint er denn auch weniger die Förderung von inklusiven Städten und Siedlungen. Tännler denkt dabei an die Schonung des Bodens, an Recycling und an den öffentlichen Verkehr (dessen Nutzung 2019 anders als in Estavayer wieder im Eintrittsticket enthalten sein wird). Als Kronzeuge des guten, ökologischen Willens dient übrigens der Geograph und grün-alternative Kantonsrat Andreas Lustenberger aus Baar, der das OK in Sachen Nachhaltigkeit unterstützt.

«Sie, wir schaffen!»
Heinz Tännler, OK-Präsident Schwingfest

Bereits bei der nächsten OK-Strategiesitzung vom 21. Oktober soll übrigens beschlossen und kommuniziert werden, wie man auf die diversen Kritiken reagiert. So rasch geht das? «Sie, wir schaffen!», brummt Tännler ins Telefon. Bodenständige Arbeitsethik – ohne überflüssigen Idealismus. Tännler sagt denn auch nicht wie Merkel einst: «Wir schaffen das.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Roli Gubser
    Roli Gubser, 27.09.2016, 18:24 Uhr

    Wieso ist es so wichtig an einem Eidgenössischen Schwingfest dabei sein zu können?

    Wer einmal ein Schwingfest besuchen will (Zuger u/o Expat) findet bei einem kleineren Schwingfest die gleiche Sportart und fast die gleiche Atmosphäre wie an einem Eidgenössischen wieder. Sennenschwinger, Turnerschwinger, Schwingerhosen, Mutz, Edelweisshemden, Bauern, Stumpen, Jodellieder, Ländlermusik, Festzelt, Bier und Bratwurst, friedliche Stimmung, Brauchtum etc. – all diese «typischen» Charakteristika können auch an jedem anderen Schwingfest gefunden werden.
    Im Kanton Zug gibt es mehrere Möglichkeiten ein Schwingfest zu besuchen: Frühjahrsschwinget in Cham; Zugerbergschwinget, Morgartenschwinget, oder das Zuger Kantonale Schwingfest, welches am 30. April 2017 in Baar stattfindet. Sicher würde sich auch der Nachwuchs über neue Schwingerfreunde freuen. Im Kanton Zug werden jedes Jahr mehrere Buebeschwinget organisiert. Die Präsidenten der 4 Schwingklubs im Kanton geben bestimmt gerne Auskunft, wann und wo die verschiedenen Schwingfeste stattfinden.
    Wie sie sehen ist es überhaupt nicht notwendig, dass der Eidg. Schwingerverband für die Zuger und Expats Plätze zur Verfügung stellt. Es ist für jedermann möglich an einem Schwingfest dabei zu sein.
    Oder: Wieso ist es so wichtig an einem Eidgenössischen Schwingfest dabei sein zu können?

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