Man schrieb den 10. Juni 1989. Es goss wie aus Kübeln. Doch weit mehr als 24’000 Zuschauer auf der Luzerner Allmend befanden sich in Fussball-Ekstase: Publikumsliebling Jürgen Mohr hat den FC Luzern zum ersten und bisher einzigen Meistertitel geschossen. Der Höhepunkt einer schier unwirklichen Geschichte. zentralplus schaut in einer losen Serie auf den FCL-Meilenstein zurück.
Tausende blau-weisser Ballone, eine gigantische Stimmung und eine grossartige Szene nach der Pokalübergabe an den neuen Meister. Das sind Bilder, wie man sie sich nach heutigem Ermessen kaum mehr vorstellen kann in Luzern.
Und wohl all jene nie mehr vergessen werden, die vor 30 Jahren dabei waren, als der FCL den Traum vom Meistertitel wahr machte. Hansi Burri, Terrier im Mittelfeld und später legendärer Stadionwirt in der altehrwürdigen Allmend, schnappte sich den Meisterpokal, setzte ihn sich auf den Kopf und rannte so zur imposanten Luzerner Fan-Rampe auf der gegenüberliegenden Seite der Haupttribüne. Die blau-weisse Begeisterung erreichte den Kulminationspunkt.
Fussball-Luzern, wie es seither nie mehr so glückselig feierte und triumphierte. Es war der Beginn einer langen und rauschenden Nacht.
FCL-Meister pflegten 1:0 zu gewinnen
Jürgen Mohr und sein 1:0-Siegtreffer an diesem Samstagabend über das grosse Servette: Es war das Finale grande eines Drehbuchs, wie man es sich vielleicht für einen kitschigen Sportfilm aus Hollywood, aber kaum für einen kleinen Fussballklub in der Innerschweiz hätte vorstellen können.
Mohr, das offensive FCL-Genie. Mohr, der Publikumsliebling. Und Mohr, der Ende Saison ging. Es war kein Kunstschuss. Er brauchte den Ball nur noch über die Linie zu drücken.
Einmal mehr 1:0. Wie schon vier Mal davor in dieser Finalrunde. Und weitere vier Mal in der Vorrunde, nach der die errungenen Punkte für die entscheidende Phase der Meisterschaft halbiert wurden. Es war das Resultat, das den FCL zum Meistertitel trug. Und es sagte viel aus über den Fussball und die Stärken dieser Mannschaft.
So sah die Tabelle am Ende der Meisterschaft aus:
Flaschenwurf gefährdete Meister-Party
Dabei hätte die denkwürdige Meisterfeier auf der Allmend um ein Haar gar nie stattfinden können. Denn einen Monat davor, beim 3:3 gegen YB, wurde ein Linienrichter durch eine halbvolle Hartplastikflasche am Kopf getroffen und ging groggy zu Boden. Der Unparteiische aber biss auf die Zähne und spielte durch. Aus der drohenden Platzsperre und einem Heimspiel auf neutralem Terrain wurde schliesslich eine Busse von 10’000 Franken.
Das Erfolgsrezept der Luzerner auf dem Platz war kein spektakuläres, sondern folgte einer Logik, die bis in die heutige Zeit Gültigkeit hat. Mit Roger Wehrli hatte der FCL einen Abwehr-Organisator erster Güte, mit Jürgen Mohr einen brillanten Regisseur im Mittelfeld und mit Peter Nadig und Sigurdur Gretarsson zwei Goalgetter, die das Wort Effizienz fehlerfrei zu buchstabieren wussten. Eine Achse von überdurchschnittlicher Qualität.
Keiner nahm sich wichtiger als er war
Darüber hinaus hatte die Mannschaft eine klare Hierarchie. Ganz oben standen Captain Roger Wehrli und Jürgen Mohr. Und vor allem: Jeder wusste um seinen Platz und Stellenwert im Team. Keiner nahm sich wichtiger als er war. Sie hielten zusammen, sie kämpften zusammen für das sportliche Wohl des FCL. Das Konstrukt hielt auch der Erschütterung stand, die vor dem Gipfelsturm der Luzerner dadurch ausgelöst wurde, dass sich der damalige FCL-Präsident Romano Simioni und Gallionsfigur Jürgen Mohr nicht auf eine Vertragsverlängerung einigen konnten.
«Die Spieler lebten wie Könige, kassierten doppelt, schonten sich im Geschäft für den Fussball und umgekehrt.»
Friedel Rausch, Meistertrainer des FC Luzern 1989
Stolz blickt Hansi Burri auf diese Tage und Wochen zurück: «Wir waren eine verschworene Einheit, und wir haben heute noch einen besonderen Zusammenhalt in der Meistermannschaft.»
Wie der Kitt in dieses Gebilde gekommen ist, erzählt er gerne am Beispiel Mohrs. «In seinem dritten Profijahr fing Jürgen damit an, sich bei uns richtig zu integrieren. An einem Dienstagabend pflegten wir die Stadt Luzern unsicher zu machen.» Das habe Mohr aber in seiner Zeit als Profi in Deutschland schlicht nicht gekannt. «Nachdem er das erste Mal dabei war, fehlte er fortan nie mehr», bemerkt Burri schmunzelnd.
Mit Rausch kam der Profifussball nach Luzern
Einen wichtigen Part im meisterlichen FCL-Drehbuch nahm der im November 2017 verstorbene Friedel Rausch ein. Mit dem deutschen Trainer begann 1985 das erfolgreichste Kapitel in der bald 118-jährigen Geschichte des FC Luzern. Er lotste im gleichen Jahr den Isländer «Sigi» Gretarsson auf die Allmend, den er aus seiner Zeit beim griechischen Verein Saloniki kennengelernt hatte.
«Friedel Rausch kickte bei jedem Trainingsspielchen noch als linker Flügel mit.»
Hansi Burri, Meisterspieler des FC Luzern 1989
Von GC kamen in der gleichen Saison Roger Wehrli und Martin Müller. 1986 Jürgen Mohr aus Saarbrücken. Und zuletzt Peter Nadig aus Basel. In dieser Zeit installierte Simioni auch den Profibetrieb in Luzern. «Amateurfussball – das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Die Spieler lebten wie Könige, kassierten doppelt, schonten sich im Geschäft für den Fussball und umgekehrt. Mir war klar, dass nur der Professionalismus Luzern weiterbringen konnte», wurde Friedel Rausch während des Meisterjahres in einem Porträt zitiert.
Es war vor allem auch ein finanzieller Kraftakt, der nur durch die von der Mannschaft ausgelöste Begeisterungsfähigkeit bei den Innerschweizer Geschäftsleuten möglich wurde – und den Klub dennoch fast zum Kollabieren brachte.
Wehrli war der taktische Mastermind
Friedel Rausch gelang es, die Motivation in seinem Team hochzuhalten und die Medienschaffenden zu unterhalten. Nie war er um einen kernigen Spruch verlegen. Er redete druckreif und prägte Sätze, die über Jahre zum fussballerischen Standardrepertoire gehören sollten. «Jetzt müssen wir Klartext reden», war einer davon.
«Wir freuten uns auf jedes Training, weil wir immer Spass hatten», erinnert sich Hansi Burri. «Die Fröhlichkeit und Spielfreude waren ansteckend. Und Friedel kickte bei jedem Trainingsspielchen noch als linker Flügel mit.»
Wenn die Luzerner Spassfussballer auf dem Platz Gefahr liefen, den Weg zum Sieg zu verpassen, dann schritt der taktische Mastermind ein. «Roger Wehrli hat von hinten raus immer alles geregelt. Er spürte instinktiv, was das Team brauchte, und passte die Taktik an, ohne sich mit dem Trainer abzusprechen», so Burri.
Die damaligen Titanen kämpften mit sich selber
Trotz aller fussballerischen, menschlichen und taktischen Qualitäten beim FCL der ausgehenden 1980er Jahre: Aus den Transferverlierern, wie nationale Medien die Luzerner vor Saisonbeginn brandmarkten, konnten nur deshalb Meisterhelden werden, weil die Titanen der damaligen Zeit noch mehr mit sich selber als den Widersachern zu kämpfen hatten.
Die Grasshoppers befanden sich im Umbruch. Trotz Stars wie Marcel Koller, Andy Egli, Alain Sutter, Andy Halter oder Wynton Rufer brachten sie ihre PS nicht auf den Boden. Erst nach dem sensationellen Titelgewinn der Luzerner übernahm die damalige Mannschaft von Ottmar Hitzfeld wieder das Kommando in der Liga.
Die Torschützenliste von damals:
Ein anderes Beispiel eines Starensembles ohne Erfolgselan war Servette. Dazu gehörten Lucien Favre, Marco Schällibaum und John Eriksen. Überstrahlt wurden sie alle von Karl-Heinz Rummenigge, der seine glanzvolle Karriere 1989 mit der Schweizer Torjäger-Krone beschloss. Doch Servette belegte in der Finalrunde den achten und letzten Platz.
Aber da war ja auch noch Xamax, Meister der beiden vorangegangenen Jahre, mit so klangvollen Namen wie Heinz Hermann, Heinz Lüdi, Philippe Perret oder Hans-Peter Zwicker. Die Mannschaft von Gilbert Gress konnte aber die Abgänge von Uli Stielike und Alain Geiger nicht kompensieren.
Eine Niederlage gegen GC vor dem Titelgewinn
Der Gipfelsturm der Luzerner spielte sich so ab: Die 12 Mannschaften und 22 Spiele umfassende Qualifikation der damaligen Nationalliga A beendete Luzern mit 28 Punkten auf Platz 1, vor GC mit 27. Dazu muss man wissen, dass die Punkteausbeute vor der mit den ersten acht Mannschaften stattfindenden Finalrunde halbiert wurde. Ungerade Zahlen wurden aufgerundet. Und für einen Sieg gab es damals zwei statt wie heute drei Punkte.
Mit einem 2:1-Auswärtssieg gegen YB und je einem 1:1 gegen die Verfolger Bellinzona und Sion kam Rauschs Truppe gut aus den Startlöchern. Noch wichtiger: Die Verfolger liessen immer wieder wichtige Punkte liegen. So auch die Grasshoppers, die erst einen Finalrunden-Punkt auf dem Konto hatten, als sie dem FCL in der vierten Runde die erste Niederlage (1:2) beifügten. Es sollte die einzige Niederlage der Luzerner vor dem Titelgewinn sein. Jene danach, das 0:1 in Wettingen in der letzten Runde, hatte keine Bedeutung mehr.
Die goldenen acht FCL-Tage im Mai
Erst gegen Ende Mai, als der FCL im zehnten Spiel der Finalrunde den FC Sion vor 13’400 Zuschauern mit 1:0 bodigten, erhielten jene blau-weissen Optimisten regen Zulauf, die schon lange vom Titelgewinn träumten.
Vier Tage später musste GC geschlagen von der Allmend traben. 23’400 Zuschauer erlebten, wie Martin Müller mit einem herrlichen Schlenzer in die entfernte Torecke das siegbringende 1:0 für den Leader erzielte. Jetzt fehlten dem FCL noch drei Punkte aus den letzten drei Spielen zum Titelgewinn. Die Euphorie in der fussballbegeisterten Innerschweiz erreichte himmlische Sphären.
Die Krönung der goldenen acht FCL-Tage folgte am 31. Mai in Neuenburg. Ein wunderbarer Treffer von FCL-Kanonier Peter Nadig entschied die Partie in der 79. Minute. Nach dem dritten 1:0-Sieg in Folge trugen die Fans ihren Torjäger von der Garderobe auf den Schultern in den Mannschaftscar.
Zehn Tage später stand Fussball-Luzern kopf. Auf das 1:0 gegen Servette folgte die Meisterfeier. Nicht nur für Hansi Burri mit dem Pokal auf dem Kopf gab es an diesem Tag kein Halten mehr.
Das ganze FCL-Meisterkader: