Selten so geärgert: Repo von der Seerose

Sponsoren, bitte bleibt daheim!

Rote Köpfe und nasse Füsse gabs am Donnerstagabend auf der Seerose. Wir wären fast explodiert.

(Bild: Fotomontage von Severin Ettlin)

Kultur im Rahmen der Gastfreundschaft geniessen. Das war der Plan. Doch dieser Abend auf der Seerose war ein Musterbeispiel für Ungastlichkeit und Respektlosigkeit der Kultur gegenüber. Dürfen sich Sponsoren und Gäste eigentlich alles erlauben?

Donnerstagabend, leichter Regen, Canaille du Jour spielen auf der Seerose.

Gespannt auf das neue Programm setzen wir uns in die Arena. Wir kennen die Künstler, freuen uns auf die beiden Herren und ihre Band. Es regnet, doch auf den Rängen ist das kein Problem. Man kann zwar nur unter den Blütenblättern sitzen, doch der Blick ist gut, wir haben Sitzkissen und Bier.

Akt I: Ich sitze in der Pfütze

Alles super so weit, als die Band die Bühne betritt. Doch das Gespräch der schicken Menschen mit Namensschildchen rund um uns herum flacht nicht ab. Und auch auf den vielen für dieselben reservierten Plätzen im Parterre nicht. Und so bleibt es. Die Band spielt, Max Christian Graeffs Texte, die man wirklich hören sollte, dringen kaum bis zu uns durch. Vor und hinter uns wird diskutiert und gelacht, aber nicht darüber, was auf der Bühne passiert. Aber dazu später mehr.

Die Technik und die Akustik tragen ihren Teil zur Situation bei. Bei den ersten fünf Liedern funktioniert das Headset von Graeff nicht richtig, man versteht ihn mehr schlecht als recht, die Musik übertönt den Gesang und die Künstler hören sich gegenseitig kaum. Und aus dem unteren Stock hallt jedes Gespräch, jedes Gläserklirren oder -zerbrechen hinauf in die Arena.

Denn die Seerose ist wie ein Trichter. Lärm von unten wird in dem ringhörigen Bau nach oben verstärkt. Die Architekten verstehen bestimmt sehr viel von Optik und Statik. Aber von Akustik ganz bestimmt nicht. Und wohl auch nicht davon, wie sich Wasser verhält. Natürlich, es findet draussen statt, man kann nass werden, doch ich erwarte auf einem «architektonischen Meisterwerk» nicht, dass mein Platz sich in einer riesigen Pfütze mit fast zehn Zentimetern Wasser befindet. Das halten auch die besten Schuhe nicht über eine Stunde lang aus. Das Wasser kann nicht ablaufen. Nirgends. Es sammelt und sammelt sich. Und alles Improvisieren und Optimieren, Abdichten und Umleiten (zentral+ berichtete) bringt nichts.

Akt II: Ich höre nichts

Zwei grössere Gruppen sind an diesem Abend anwesend. Die Helvetia und das Lucerne Convention Bureau. Ich habe noch nie ein derartig respektloses Publikum erlebt. Die Damen und Herren, gut erkennbar, da sie Schildchen trugen, waren wohl entweder überfordert oder sie hatten grundsätzlich keinen Bock.

Viele der besten Plätze sind für diese beiden Gruppen besetzt. Dort sitzen sie die erste Hälfte des Programms schwatzend und trinkend, im zweiten Teil tun sie dasselbe im unteren Bereich der Seerose. Ihre Plätze bleiben nach der Pause leer. Deprimierend oder erlösend? Wir konnten glücklicherweise nach vorne wechseln und uns die zweite Hälfte des Programms in kleiner Runde anschauen. Hören konnte man neben der Revue aber auch ganz viel anderes. Gejohle, Gelache und Geschepper aus der Gastrozone. Man dürfte versuchen, die Gastronomie-Mitarbeiter zu sensibilisieren. Ein erster Hinweis in der Pause brachte keine Verbesserung, es wurde nach der Pause doppelt so laut – könnte an den Dutzenden von Helvetia-Gästen gelegen haben, die sich lieber noch ein paar Cüpli genehmigten, statt dem Kulturprogramm zu lauschen. Sie haben ja nicht dafür bezahlt.

Respekt vor den Künstlern? Pustekuchen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele böse Blicke verschicken müssen. Und ich war nicht die Einzige.

Akt III: Finaler Fight

Ein älterer Zuschauer und seine exotische, jugendliche Begleitung fingen im zweiten Teil der Vorstellung gleich noch mit einem handfesten Streit an. Nachdem die beiden circa 10 Minuten lang ununterbrochen geschwatzt hatten, wurden sie vom älteren Ehepaar vor ihnen darauf hingewiesen, sie sollten doch bitte leise sein. Ein Affront, wie die beiden fanden, und damit entbrannte ein lautstarker Streit. Hätte lustig sein können. War es aber irgendwie einfach nicht mehr.

Ein Vorschlag

Ein kleiner Vorschlag für Firmen: Gehen Sie mit Ihren Mitarbeitern an solchen Firmenevents und Ausflügen doch einfach ins Musical oder zum Gokart. Das gefällt sicher allen.

An die Sponsoren: Die Kultur braucht Sie. Und dankt Ihnen für die finanzielle Unterstützung. Sie dankt Ihnen nicht dafür, dass Sie Ihre Kunden und Mitarbeiter zur Kultur zwingen, die sie nicht interessiert. Geben Sie den Künstlern das Geld und schauen Sie sich Dinge an, die Sie interessieren – und lassen Sie die Plätze den Leuten, die es sich wirklich anschauen wollen und gerne auch dafür bezahlen.

PS: Auf dem Gelände finden sich superschick angeschriebene «VIP-Toiletten». Will man diese benützen, sollte man sich auf eine klaustrophobische Erfahrung einstellen. VIPs brauchen anscheinend keinen Platz, um sich die Hose zuzumachen.

PPS: Am 30. Juni werden Canaille du Jour das zweite Mal auf der Seerose auftreten. Und die Band durfte bereits erfahren, dass auch bei dieser Vorstellung vor allem Sponsoren die Plätze besetzen werden.

Fazit: Ich werde mir diese Revue von Canaille du Jour ganz bestimmt noch einmal ansehen. Aber auf keinen Fall auf dieser Plattform. Ein Publikum ohne Respekt und eine Architektur, die sich selbst feiert, aber nicht dienlich ist. Ich habe mich während einer Veranstaltung noch nie dermassen geärgert. Tolle Inhalte im falschen Rahmen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Stefan Furter
    Stefan Furter, 20.06.2015, 08:49 Uhr

    Sehr schöner Artikel. Bitte mehr davon! Ich mag diesen Humor.

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