Journalistin darf über Landammann-Feier schreiben

Spiess-Hegglin vs. Binswanger: Obergericht Zug hebt Buchverbot auf

Michèle Binswanger (unten) darf ihr Buch über die Ereignisse an der Zuger Landammann-Feier 2014 schreiben. (Bild: Andreas Busslinger / zvg)

Das Zuger Obergericht hat entschieden, das von Michèle Binswanger geplante Buch über die Landammann-Feier 2014 nicht zu verbieten. Einer der Gründe: Jolanda Spiess-Hegglin äussere sich bis heute öffentlich über jene Nacht.

Die Journalistin Michèle Binswanger bezeichnete sich selbst auf Twitter lange als «Jeanne d’Arc der Medienfreiheit». Nun hat sie einen medienrechtlichen Sieg vor dem Zuger Obergericht errungen, der wohl noch einiges zu reden geben wird.

Hintergrund ist ein Buchprojekt von Binswanger über die Landammann-Feier 2014 – und die Frage, wie die Medien, die Zuger Strafverfolgungsbehörden und die Zuger Politik mit den damaligen Ereignissen umgegangen sind.

Binswanger schrieb mehrfach über den Fall

Zur Erinnerung: Was in jener Nacht geschehen ist, konnte nie geklärt werden. Klar ist lediglich, dass Jolanda Spiess-Hegglin nach der Feier Unterleibsschmerzen hatte und wegen eines mutmasslichen Sexualdelikts Strafanzeige stellte. Daraufhin stellte ein Zuger Kantonsrat, der in Tatverdacht geraten war, Strafanzeige wegen Verleumdung und falscher Anschuldigung. Beide Verfahren wurden eingestellt.

Die strafrechtliche Untersuchung wurde begleitet von einem regelrechten «Mediengewitter». Gemäss Schätzungen sind in den letzten Jahren über 2'500 Artikel über den Fall veröffentlicht worden. Michèle Binswanger schrieb drei Mal darüber – und publizierte zudem ein Erklärvideo. Beanstandet wurden diese journalistischen Beiträge nicht.

Das ist einer der Gründe, weshalb das Obergericht der Meinung ist, dass ein Buchverbot nicht gerechtfertigt ist. Zwar gehen die drei Richter davon aus, dass die Journalistin gegenüber Jolanda Spiess-Hegglin kritisch eingestellt ist. Aber: Selbst wenn sie voreingenommen wäre und mit Leuten sprechen würde, die sich negativ über die ehemalige Kantonsrätin äussern würden, lasse das noch nicht den Schluss zu, dass die Journalistin unfair berichten würde.

Auch wer voreingenommen ist, kann fair berichten

«Ob jemand die Grenzen des Persönlichkeitsschutzes respektiert oder nicht, hängt aber nicht zwingend von seiner Haltung zu einem bestimmten Thema ab», heisst es dazu im Urteil. Die Journalistin sei in rund 20 Jahren journalistischer Tätigkeit in dieser Hinsicht noch nie vom Presserat gerügt oder strafrechtlich verurteilt worden. «Es ist deshalb zu vermuten, dass sie sich auch weiterhin (standes-)rechtlich korrekt verhalten wird, solange es keine konkreten Anhaltspunkte gibt, die das Gegenteil nahelegen», so die Richter.

Binswanger will in ihrem Buch schreiben, wie sich die «Dinge» aus Sicht des Kantonsrates abgespielt haben. Dies geht aus einer E-Mail an Jolanda Spiess-Hegglin hervor. Das Obergericht findet es «unwahrscheinlich», dass damit intime Details gemeint sind. Es könnte auch darum gehen, wie er seine Verhaftung, seine eigene Verunglimpfung in den Medien, das Ende seiner Laufbahn als Politiker und die gerichtlichen Verfahren erlebt hat.

Da er sich in einem Vergleich verpflichtet habe, sich nicht mehr negativ über Jolanda Spiess-Hegglin zu äussern, sei nicht zu befürchten, dass er sich mit Vorwürfen ihr gegenüber zitieren lasse.

Öffentlicher Kampf gegen Persönlichkeitsverletzungen wird zum Bumerang

Dass der Fall bis heute diskutiert wird, daran ist Jolanda Spiess-Hegglin aus Sicht des Obergerichts nicht unbeteiligt. Sie sei von sich aus immer wieder an die Öffentlichkeit gelangt und habe so dazu beigetragen, dass das Aufsehen um die Ereignisse der Landammann-Feier nicht abgeflacht sei, findet das Obergericht.

Zuletzt habe sie sich während des Zivilprozesses gegen den «Blick» ausführlich öffentlich geäussert. «Offenbar wollte und will sie für ihre Botschaft öffentliche Aufmerksamkeit erzielen und nimmt zu diesem Zweck die wiederkehrende Publizität der Vorkommnisse an der Landammann-Feier 2014 zumindest bewusst in Kauf», heisst es im Urteil.

Prozess kostete über 30'000 Franken

In der Rechtslehre wird teils die Meinung vertreten, die Privatsphäre könne nur dann verletzt werden, wenn eine Tatsache Personen mitgeteilt wird, die diese nicht schon kennen. Mit der blossen Wiedergabe der bekannten Fakten im Zusammenhang mit der Landammann-Feier 2014 werde die Persönlichkeit von Jolanda Spiess-Hegglin also nicht mehr verletzt.

Deshalb könne es der Journalistin auch «nicht (mehr) verboten werden, sich im Rahmen eines Werturteils darüber zu äussern». Anders gesagt: Binswanger darf auch kritisch über die Geschehnisse schreiben, die sich in jener Nacht bekanntermassen zugetragen haben.

Da Spiess-Hegglin unterliegt, muss sie die finanziellen Kosten von 20'000 Franken für beide Gerichtsinstanzen tragen. Zudem soll sie die Anwaltskosten von Binswanger zahlen, die nochmals rund 10'000 Franken ausmachen. Die ehemalige Kantonsrätin kann das Obergerichtsurteil beim Bundesgericht anfechten.

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Jürg Maurer
    Jürg Maurer, 07.09.2021, 09:49 Uhr

    Zahlen wird das ganze indirekt der Steuerzahler. So jemand wird von der Oeffentlichkeit unterstützt.

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  • Profilfoto von Dunning-Kruger
    Dunning-Kruger, 06.09.2021, 10:53 Uhr

    Bravo! Diese Maulkorbtaktik hat kurze Beine und ist nicht rechtens.
    Im Bedarfsfall kann JSH sich ja dann immer noch juristisch gegen die Veröffentlichung des tatsächlich geschriebenen Bucher zur Wehr setzen.
    Aber das ein Schriftstück erst gar nicht erstellt werden darf, ist schon sehr befremdend!
    Binswanger könnte ja auch einfach das Ganze in einen fiktionalen Roman verpacken und dann von der künstlerischen Freiheit Gebrauch machen! So oder so – JSH ist nicht ganz unschuldig an dieser ganzen Posse. Einen gewissen Eigenanteil muss sie sich schon ankreiden lassen.

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  • Profilfoto von Onlyone
    Onlyone, 06.09.2021, 10:52 Uhr

    Gibt es in Zug doch noch eine funktionierende Justiz?
    Beim Kantonsgericht waren wohl Parteifreunde von Ihr am Werk.

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    • Profilfoto von Samuel Kneubuehler
      Samuel Kneubuehler, 06.09.2021, 12:45 Uhr

      Von wem?

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      • Profilfoto von Rashid Dostum
        Rashid Dostum, 06.09.2021, 12:51 Uhr

        Kneubühler, ist das eine rhetorische Frage?

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