Architektur-Podium in der Mall of Switzerland

Spagat zwischen Grandezza und städtebaulichem Drama

Diskussion vor opulentem Weihnachtsbaum – von links: André Bachmann, Gino Fiorentin, Lilia Glanzmann, Werner Huber, Jan Wengeler und Marc Syfrig.

(Bild: jwy)

Äusserst kritisch beäugten Architekten der Region am Dienstagabend die fünf Wochen alte Mall of Switzerland. Sie diskutierten mit Mall-Chef Jan Wengeler über die Auswirkung des Einkaufstempels auf den Städtebau. Mit kriegerischem Wortschatz – und Versöhnung bei Wurst und Bier.

Seit gut einem Monat hat die Mall of Switzerland offen und das Geschäft brummt. Die Gästezahlen entsprechen den Erwartungen, das gröbste Verkehrschaos blieb aus und die Konsumwilligen finden ihre Geschäfte der Begierde immer besser (zentralplus berichtete).

Alles in Butter also? Natürlich ist es für eine Bilanz noch zu früh, aber die Mall hat das Zeug, die Einkaufsregion Luzern auf den Kopf zu stellen. Deshalb lud das Architektur-Magazin «Hochparterre» am Dienstagabend zu einem Städtebau-Stammtisch ins Ebikoner Einkaufszentrum.

Ein feuerfester Weihnachtsbaum

Eine Schar von Architekten, Städteplanern und anderen Interessierten folgte dem Aufruf und liess sich vom eloquent auftretenden Mall-Chef Jan Wengeler durch die opulent weihnächtlich geschmückte Mall leiten. Über allem wachte ein feuerfester Riesenweihnachtsbaum aus kaltem Metall, Adventswärme vorgaukelnd. Sein oder Schein?

Über allem thront der metallene Weihnachtsbaum.

Über allem thront der metallene Weihnachtsbaum.

(Bild: jwy)

Unsicher schien auch das Thema des Abends: «Innenstadt, Mall oder Netz?», lautete die Diskussionsfrage, welche Mall-Chef Jan Wengeler mit Gästen diskutierte. Welche Auswirkungen hat der Einkaufstempel auf Ebikon – und natürlich auf die Shopping-Stadt Luzern?

Eine kontroverse Runde

Auf der Bühne sassen neben dem Center-Leiter der Architekt Marc Syfrig, der sich gern provokativ in städtebauliche Themen einmischt – und sich aktuell etwa für ein unterirdisches Carparking engagiert (zentralplus berichtete). Zudem quasi Wengelers Gegenpart André Bachmann, der Präsident der City-Vereinigung, die momentan damit wirbt, das «Original» zu sein. Sowie Gino Fiorentin, Experte für Geschäftsflächen bei Wüest Partner.

Man durfte auf eine kontroverse Diskussion hoffen, die von Lilia Glanzmann und Werner Huber geleitet wurde – ihres Zeichens Redaktorin und Redaktor beim «Hochparterre».

Eine Überraschung und Fragezeichen

Gino Fiorentin sagte zuerst, dass er positiv überrascht sei von der Mall: «Die Grundleistungen und alle Erwartungen des Kunden werden erfüllt.» Aber ob die von der Mall angestrebten Frequenzen – 50’000 Besucher sind das Ziel – tatsächlich erreicht würden, da habe er Fragezeichen, wenn er die zum Teil nach wie vor leeren Flächen sehe. «Die Erstvermietung ist ein Marathon», so Fiorentin.

Die Diskussion drehte sich anfangs weniger um architektonische Fragen als vielmehr um die Bedrohung des stationären Handels durch den Onlinemarkt. Ist die Mall dafür gerüstet?

Gino Fiorentin brachte das Problem auf den Punkt: Als man vor rund zehn Jahren zu planen begann, war dieser massive Wandel noch unbekannt. «Wenn man heute planen würde, würde das anders aussehen.» Ob sich die Mall behaupten könne, werde sich in fünf Jahren zeigen, so viel Zeit müsse man ihr geben.

Der Andrang bleibt in der Mall of Switzerland – auch nach der Eröffnung.

Der Andrang bleibt in der Mall of Switzerland – auch nach der Eröffnung.

(Bild: zvg/Manuel Lopez)

Wenig Verständnis für Lokales

Jan Wengeler, ein alter Fuchs im Geschäft mit Einkaufszentren, sagte, er sei sich bewusst, dass sich die Zeiten dramatisch verändert hätten. «Früher gab es Wartelisten von interessierten Mietern, heute braucht es Überzeugungskraft, Argumente und eine internationale Denkweise.» Gerade internationale Geschäfte hätten wenig Verständnis für lokale Bedürfnisse.

«Wir müssen auf Trends aufspringen und die Verbindung von Online und Offline leben.»

Mall-Chef Jan Wengeler

Mall-Chef Wengeler sieht der Diskussion um die Zukunft aber entspannt entgegen: «Es ist voraussehbar, was passiert. Wir müssen auf Trends aufspringen und die Verbindung von Online und Offline leben.»

Zu wenig Zeit!

Die Geschwindigkeit des Wandels mache auch der Innenstadt und ihren Geschäften zu schaffen, sagte dazu André Bachmann. «Wir haben zu wenig Zeit, um darauf zu reagieren.» Letztlich habe die Stadt die gleichen Herausforderungen und müsse den Onlinehandel mit dem stationären Handel verknüpfen.

Die künstliche Mall mit ihrem Unterhaltungsteil ist nicht seine Welt, vielmehr glaube er an die Stärken der gewachsenen Stadt als Lebensraum. «Wir haben immer noch eine gute Durchmischung in der Altstadt, zudem eine hervorragende Neustadt. Das ist der Vorteil eines natürlich gewachsenen Lebensraums», so Bachmann.

Keine Konkurrenten

Jan Wengeler lobt das Herzblut seines Kontrahenten und umgarnte diesen. «Ich stehe für die Center-Welt, aber wir sind nur bedingt Mitbewerber, ich sehe uns komplementär.» Schliesslich habe die Mall keine Kapellbrücke und Sicht auf Pilatus wie die Innenstadt – «ausser aus dem Fenster meines Büros», so Wengeler.

Der Konkurrenzkampf laufe vielmehr unter den verschiedenen Shoppingcentern. Und Wengeler liess durchblicken, dass er sich aus anderen Ländern weitaus härtere Bandagen gewohnt ist. «Wer in die Türkei fährt, merkt, was Shoppingcenter-Dichte wirklich bedeutet», so Wengeler.

Üppige Weihnachtskugeln schweben in der Mall of Switzerland.

Üppige Weihnachtskugeln schweben in der Mall of Switzerland.

(Bild: jwy)

Sentimentale Urbanität

Marc Syfrig, der sich über die ausbreitenden Uhrengeschäfte in der Stadt ärgerte, gab sich etwas nostalgisch: «Ich bin überzeugt, dass Urbanität eine sentimentale Wirkung hat.» Das könne die Mall niemals bieten – deshalb sei das Center auch keine Konkurrenz, sondern decke ein anderes Segment ab. Etwa für junge Familien, die ihre Kinder zwischendurch abgeben wollen, um in Ruhe zu shoppen.

Und André Bachmann entgegnete, dass man die Frequenzen aus dem Tourismus in Luzern brauche. «Diese Fokussierung ist unser Magnet, das ist gewachsen und das funktioniert.» Das müsse man der Bevölkerung immer wieder sagen.

Pop-up-Stores als Marketinginstrument

Spannend wurde es, als es um Pop-up-Stores ging. Die Mall setzt auf dieses Konzept, um Leerstände zu vermeiden. Sie vermietet Flächen mit einer Grundausstattung an Interessenten, die an keinem langfristigen Mieterverhältnis interessiert sind. Damit schaffe man ein besonderes Angebot, so Wengeler. «Sonst hätten wir nie Tesla als Mieter gewonnen.»

«Das sind keine richtigen Pop-up-Stores, sie haben mehr Showroom-Charakter.»

Gino Fiorentin, Experte für Geschäftsflächen bei Wüest Partner

Gino Fiorentin widersprach: «Das sind keine richtigen Pop-up-Stores, sie haben mehr Showroom-Charakter. Es ist ein Beitrag ans Marketing und an den guten Mix.» Den innovativen, provisorischen Charakter hingegen, der Pop-up-Stores in Städten ausmache, sei für Malls schwierig zu schaffen.

Auch André Bachmann lobte etwas überraschend den provisorischen Charakter und die Subkulturen, die eine Stadt prägten. Eine Strategie für Luzern sei, wieder vermehrt auf das Tante-Emma-Konzept mit kleinen Quartierläden zu setzen, wie das etwa die ABL mit der Himmelrich-Überbauung anstrebt. «Lebensräume werden nach Quartieren entwickelt», so Bachmann.

Entgegen der Raumplanung

Mit der Frage, welche Auswirkung die Mall auf Ebikon habe, wurde Marc Syfrig aus der Reserve gelockt, der bisher noch kaum zu Wort kam. Früher seien Einkaufshallen gesellschaftliche Treffpunkte in der Innenstadt gewesen, heute müsse man sich immer mehr zwischen Wohnort, Arbeit und Einkaufen bewegen – und man sei jetzt an der Kapazitätsgrenze angelangt. «Das ist das städtebauliche Drama des 21. Jahrhunderts.»

Er habe keine Zweifel, dass die Mall funktionieren werde. «Aber das Konzept läuft entgegengesetzt zur Raumplanung, es zieht Ebikon nochmals auseinander und verhindert jegliche Zentrumsbildung. Da haben wir ein echtes Problem.»

Centerleiter Jan Wengeler führt durch die weihnächtliche Mall of Switzerland.

Centerleiter Jan Wengeler führt durch die weihnächtliche Mall of Switzerland.

(Bild: jwy)

Jan Wengeler lenkte die Diskussion geschickt so um, um seine Forderung nach längeren Öffnungszeiten zu deponieren. «Wir können die Rahmenbedingungen nicht verändern, aber durch verlängerte Öffnungszeiten könnten wir den Verkehrsfluss besser verteilen.» Wenn die Mall samstags um 16 Uhr schliesse, schicke man 9’000 Besucher gleichzeitig nach Hause. «Das schafft die beste Infrastruktur nicht.»

Auch Gion Fiorentin sagte schliesslich, dass alle Städte das Problem hätten, dass sich die Zentren an den Rand bewegen. «Das ist fast nicht lösbar, alle versuchen die Leute wieder in die Städte zu bringen, aber das Verhalten ist anders. Das steht diametral zum Städtebau – es gibt kein Rezept.» Es folgte betretenes Schweigen in der leeren, grossen, geschlossenen Mall.

Kriegsentscheidende Architektur

Und so kam das Gespräch schliesslich doch noch auf die Architektur, die für Jan Wengeler «nicht nur relevant, sondern kriegsentscheidend» ist. Und er redete sich förmlich in einen Werbespot über den eleganten Rundlauf durch die Geschäfte, die luftige Höhe, Transparenz und das Raumempfinden in der Mall. «Wir wollen kein Shopping-Center sein, sondern ein Third Place, wo man sich in Wohnzimmeratmosphäre wohlfühlt.»

Und bevor es zu Bier und Wurst überging, sorgte Architekt Marc Syfrig für versöhnliche Schlussworte: «Als ich am Tag hier war, war ich überrascht, wie viel Tageslicht es hat – und von der räumlichen Grandezza, die hier herrscht.»

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