Ein Besuch in Emmens Wohnungen für Arme

Sozialzimmer-Anbieter: «Die Politiker greifen den Falschen an»

Von aussen sieht es in Ordnung aus, das Einzelzimmer-Haus an der Neuenkirchstrasse.

(Bild: giw)

Er steht in der Kritik, weil er Einzelzimmer an Sozialhilfebezüger zu hohen Preisen vermietet. Doch der Emmer Thomas Ottiger wehrt sich. Seine Preise seien fair und nicht mit normalen Wohnungen vergleichbar. Das Problem sei die Politik – und andere Anbieter, die ihre Liegenschaften verlottern liessen.

Thomas Ottiger ist ein vielbeschäftigter Mann. Ständig muss er Anrufe entgegennehmen oder wie die Feuerwehr die kleinen und grossen Krisenherde seiner Kunden löschen. Als Besitzer dreier Liegenschaften vermietet er diverse Einzelzimmer in Reussbühl und Emmenbrücke an Menschen, die oft am Rand der Gesellschaft leben. Darunter rund ein halbes Dutzend Sozialhilfebezüger, aber auch IV-Rentnerinnen, Saisoniers oder hinausgeworfene Ehemänner, die eine Not-Bleibe suchen.

«Bei uns muss es manchmal schnell gehen», sagt Ottiger auf dem Weg zu einem seiner Häuser in Reussbühl. Gerade gestern hat ein Bewohner eine normale Wohnung gefunden und zieht sofort aus. Und am nächsten Tag kehrt im gleichen Zimmer eine IV-Rentnerin ein, die nach dem Spitalaufenthalt keine ordentliche Bleibe fand. Das ist hier möglich – jeder kann gegen Vorauszahlung in kürzester Zeit einziehen, ist der Berg der Betreibungen auch noch so hoch.

Nur etwas mehr als die Hälfte reine Mietkosten

Deshalb muss nun die Putzequippe eilig das Zimmer auf Vordermann bringen. Keine einfache Aufgabe: überall hat der Mann Nägel in die Wand geschlagen, die Matratze ist übersät mit Brandlöchern, die Wände vom Zigarrettenrauch gezeichnet. Auch der Schrank ist kaum mehr zu gebrauchen. «Das Geld für die notwendigen Renovationsarbeiten sehe ich nicht mehr.» Ottiger nimmt das gelassen – das gehört zum Alltag hier.

Dicke Nägel säumen die Zimmerwand und es riecht streng nach Zigaretten.

Dicke Nägel säumen die Zimmerwand und es riecht streng nach Zigaretten.

(Bild: giw)

Der ehemalige Wirt vermietet Einzelzimmer für 800 Franken – und wurde dafür in einem Vorstoss von der CVP in Emmen frontal angegriffen. Er dient der Mittepartei als Negativbeispiel, weil er die Schwierigkeit von Sozialhilfebezügern, eine Wohnung zu finden, ausnutze und ihnen überteuerte Zimmer vermiete. Dadurch werde das sowieso schon knappe Budget der Gemeinde zusätzlich belastet – auf Kosten der Steuerzahler. Doch Ottiger wehrt sich. Er bediene zwar eine Nische und mache letztlich ein Geschäft. Doch das grosse Geld verdiene er nicht mit seinem Angebot.

«Sein neuer Vermieter weiss nicht, worauf er sich eingelassen hat. Der wird noch sein blaues Wunder erleben.»

Thomas Ottiger, Vermieter von Sozialzimmern

450 Franken, so rechnet Ottiger vor, sei die Miete für die möbilierten Zimmer an sich. Das restliche Geld beinhalte einen Vollservice – und werde für die hohen laufenden Kosten für den Unterhalt sowie die Instandsetzung der Räumlichkeiten sowie der Infrastruktur verwendet. Dazu gehören sämtliche Nebenkosten (Strom, Wasser, Heizung, Abfallentsorgung), eine wöchentliche Reinigung der Zimmer sowie der Gemeinschaftsräume, Gratis Internet, TV, Strom, Gemeinschaftsküche und Aufenthaltsraum.

Die Grosswaschküche in der Liegenschaft von Thomas Ottiger.

Die Grosswaschküche in der Liegenschaft von Thomas Ottiger.

(Bild: giw)

Schwierige Bewohner

Hinzu kommt der regelmässige Besuch im Zuhause der Mieter – Ottiger schaut regelmässig nach dem Rechten, auch schon habe er medizinische Notfälle gehabt. Die Leute grüssen Ottiger, da und dort nimmt er sich Zeit für einen Schwatz, erkundigt sich wie es den Leuten geht.

Der Mann, der gerade auszieht, und sein ehemaliges Zimmer derart schlecht behandelte, erhält freundlich aber bestimmt den Unwillen von Ottiger zu spüren. Dieser sieht sich zu Unrecht kritisiert, zuckt mit den Achseln und sagt, in anderen Zimmern würde es noch schlechter aussehen. «Sein neuer Vermieter weiss nicht, worauf er sich eingelassen hat. Der wird noch sein blaues Wunder erleben», raunt uns Ottiger zu.

«Emmen oder Kriens sind nun mal Orte wo Sozialhilfebezüger oder IV-Rentner hinziehen.»

Thomas Ottiger, Vermieter von Sozialzimmern

Drogenkonsum oder Sachbeschädigungen toleriert der Vermieter nicht. «Wer nicht nach den Regeln spielt, muss wieder ausziehen», erklärt Ottiger. Die Einrichtung ist sauber und die Infrastruktur, darunter eine Grosswaschanlage, ist auf modernem Stand. Die Einrichtung erinnert an eine einfache Herberge im unteren Preissegement.

Ottiger fordert Ausgleich zwischen Gemeinden

Nun wird sein Geschäftsmodell kritisiert: «Die Politiker greifen den Falschen an. Wenn ich es nicht mache, dann landen die Leute einfach auf der Strasse.» Für Ottiger ist nicht er das Problem – sondern die politischen Rahmenbedingungen. Auch in Kriens will man die Sozialhilfe-Beiträge möglicherweise senken für Bewohner von Einzelzimmern. «Emmen oder Kriens sind nun mal Orte, wo Sozialhilfebezüger oder IV-Rentner hinziehen.» Hier seien sie weniger exponiert, hätten soziale Kontakte und es bestehe ein ausgebautes öV-Angebot. «Klar will niemand in Escholzmatt oder Pfaffnau leben.»

Auch ein Garten gehört zum Haus in Reussbühl, das Thomas Ottiger gehört.

Auch ein Garten gehört zum Haus in Reussbühl, das Thomas Ottiger gehört.

(Bild: giw)

Statt gegen diese Realität anzukämpfen, müsste ein Lastenausgleich unter den Gemeinden stattfinden, so wie das auch schon andere Kantone machen, darunter Bern, Solothurn, Waadt, Jura oder Freiburg. «Wer kaum Sozialhilfeempfänger hat, soll entsprechend den Gemeinden mit hoher Sozialhilfequote unter die Arme greifen.»

«Überall hat es Insekten im Haus, die sich hier einnisten.»

Bewohner an der Neuenkirchstrasse

Der Vorwurf, dass er die Kosten der wirtschaftlichen Sozialhilfe nach oben treibt, sei nicht korrekt. «Wenn die Gemeinde dies selber machen würde, kostete das gegen 1’300 Franken pro Person und Zimmer», sagt Ottiger. Die Emmer Sozialbehörden hätten das bereits entsprechend geprüft. Von Zeit zu Zeit würden auch Leute durch die Behörden vermittelt.

Besitzer nicht erreichbar

Es gibt aber auch andere Anbieter, die kritisiert werden. Ein anderes Beispiel ist das Haus im Ortsteil Sprengi an der Neuenkirchstrasse. Von aussen wirkt das dreistöckige Gebäude einigermassen in Ordnung, doch im Innern sieht es nicht gerade gut aus. Ein Bewohner mit Migrationshinterund, den wir beim Besuch antreffen, klagt, der Vermieter kümmere sich überhaupt nicht um das Haus und sei nie erreichar. Die winzigen Kochinseln mit einer Herdplatte müssen sich fünf Personen teilen. Es ist stickig und dunkel. «Überall hat es Insekten im Haus, die sich hier einnisten.»

Diese Kochnische müssen sich fünf Personen teilen.

Diese Kochnische müssen sich fünf Personen teilen.

(Bild: giw)

Der junge Mann sucht seit längerem eine Alternative, doch bisher ohne Erfolg. Insgesamt 22 Personen leben hier zusammengepfercht, jeweils 800 Franken pro Zimmer und Monat kostet die Miete. Eingetragen im Grundbuch ist die Firma Vega Business Consulting AG mit Sitz in Cham. Als Zweck wird das Erbringen von Dienstleistungen im Bereich Unternehmensberatung, Projektmanagement sowie Vermittlung von Immobilien angegeben. Die auf der Webseite aufgeführte Telefonnummer ist ungültig, der Besitzer nicht erreichbar. 

Zimmer im Untergeschoss

Ein anderes Beispiel ist ein Haus an der Horwerstrasse in Kriens. Aus verschiedenen Quellen wurde zentralplus zugetragen, dass hier Sozialzimmer zu überteuerten Konditionen angeboten werden. Beim Besuch der Liegenschaft das gleiche Muster wie in Emmen Sprengi: Neben den Hausbesitzern sind an den Briefkästen sehr viele Personen eingetragen.

Auf einem Briefkasten sind gleich sechs Personen angeschreiben, alle mit ausländisch klingenden Namen. Im kurzen Gespräch mit dem Hausbesitzer bestätigt dieser, dass im Untergeschoss Personen wohnen. Nur kleine Lucken tragen hier das Tageslicht hinein, wo normalerweise ausschliesslich Waschküche, Trocknungsraum und Kellerabteile untergebracht sein sollten.

Auf erneute Nachfrage bei der Familie der Liegenschaftsbesitzer, ob hier Sozialhilfebezüger in Einzelzimmern einquartiert sind, wird dem Journalisten mit einer Anzeige gedroht, sollte man weiter recherchieren oder das Grundstück betreten. Bei diesen Bedingungen ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die Politik Druck macht.

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