Mobilität ist ein Streitthema

So überwindet Beat Züsli den Stadt-Land-Graben in Luzern

Beat Züsli will den Dialog mit den Gemeinden suchen – und findet, die Stadt müsse den ersten Schritt tun. (Bild: ber)

Die Stadt Luzern hat vor sechs Jahren «Schluss gemacht» mit dem Verband der Luzerner Gemeinden (VLG). Jetzt will sie zurück. Stadtpräsident Beat Züsli erklärt wieso.

zentralplus: Beat Züsli, ist der Stadt-Land-Graben in Luzern besonders tief, weil die Stadt seit sechs Jahren nicht mehr im Gemeindeverband ist?

Beat Züsli: Ich denke nicht. Ich bin viel mit anderen Städten im Austausch – und die unterschiedlichen Bedürfnisse von Gemeinden sind überall Dauerthema. Es ist vielleicht anders, wenn es in einem Kanton mehrere grosse Städte gibt – beispielsweise in Zürich. Aber auch in Luzern merken wir, dass die Agglomerationsgemeinden zunehmend ähnliche Verkehrsprobleme haben wie wir. Und zu ähnlichen Lösungen kommen.

zentralplus: Die zentralplus-Leserinnen haben sich im Rahmen unserer Möglichmacher-Kampagne einen Artikel zum Thema «Stadt-Land-Graben» gewünscht. Dabei zeigte sich, dass sich viele Leute vom Land von der Stadt bevormundet fühlen. Haben Sie schon ähnliche Rückmeldungen bekommen?

Züsli: Ich höre solche Äusserungen beispielsweise, wenn es um die Mobilität geht. Da heisst es vonseiten der Landgemeinden immer wieder: «Die Erreichbarkeit muss gewährleistet sein.» Die meisten stellen sich darunter vor, mit dem Auto ins Zentrum fahren zu können. Das ist aber nicht die Erreichbarkeit, wie wir sie uns vorstellen. Hauptverkehrsmittel wird aus unserer Sicht künftig der öffentliche Verkehr sein, weil er platzsparend ist. Das müssen wir diskutieren.

«Die Stadt hat sich rausgenommen aus dem Austausch. Jetzt müssen wir einen Schritt auf die Gemeinden zugehen.»

zentralplus: Also könnte man auch sagen: Das Land versucht die Stadt zu bevormunden?

Züsli: Die Leute in den Städten haben bei nationalen Abstimmungen manchmal das Gefühl, das Land überstimme sie. Und umgekehrt herrscht das Gefühl vor, die Städter würden dominieren. Letztlich sind die Agglomerationen entscheidend bei der Frage, in welche Richtung es geht. Städte alleine sind national zu wenig stark, um zu entscheiden.

zentralplus: Der Stadtrat regt eine VLG-Untergruppe der Zentrumsgemeinden an. Um die Kräfte zu bündeln?

Züsli: Es geht darum, die urbanen Themen zu stärken. Wir haben das mit dem VLG direkt diskutiert. Dort herrscht eine gewisse Skepsis, dass mit einer solchen Struktur der Stadt-Land-Graben verstärkt wird. Das ist auch nicht unser Ziel. Aber man sollte die Differenzen anerkennen. Aber wie gesagt, da müssen wir zusammen eine Lösung entwickeln.

zentralplus: Wie hat der Austritt den Austausch mit anderen Gemeinden belastet?

Züsli: Ich habe in den letzten Jahren zunehmend gehört, dass man die Haltung der Stadt als unsolidarisch wahrnimmt. Der Gemeindeverband leistet viel – gerade an Service – für die kleineren und mittelgrossen Gemeinden. Und Luzern hält sich raus. Dieses negative Bild der Stadt hat sich wohl stärker ausgewirkt, als man dies an einzelnen Projekten festmachen könnte. Es ist ein Hindernis für die vertrauensvolle Zusammenarbeit.

«Es ist schwierig, Solidarität einzufordern, wenn man selber als unsolidarisch wahrgenommen wird.»

zentralplus: Die Fraktionen des Grossen Stadtrates kritisieren, dass der VLG zu wenig urban, zu bürgerlich und zu männlich ist. Wie will der Stadtrat das ändern?

Züsli: Das ist die Frage: Was können wir am VLG ändern? Wir haben offene Gespräche geführt. Für mich ist nachvollziehbar, dass der Gemeindeverband sagt: Ihr könnt eure Ideen als Mitglied einbringen, aber nicht als Beitrittsbedingung. Wir können unsere Themen also einbringen, wenn wir dabei sind. Die Beteiligung ist der Weg zur gemeinsamen Veränderung.

zentralplus: Ihre eigene Partei ist dem VLG gegenüber sehr kritisch eingestellt. Welchen Plan B zu einem Wiedereintritt gibt es?

Züsli: Es ist kein Geheimnis, dass die SP und die Grünen einem erneuten VLG-Beitritt gegenüber kritisch eingestellt sind. Der Plan B ist der Status Quo. Wir können die bisherigen Gremien der Zusammenarbeit nutzen – aber die fehlende Mitgliedschaft im Verband der Luzerner Gemeinden lässt sich nicht kompensieren.

zentralplus: Jede Stadtbewohnerin muss durchschnittlich 350 Franken pro Jahr für Leistungen zahlen, die Auswärtige konsumieren. Im Kulturbereich werden diese Zentrumslasten nicht sinken, sondern sich im Gegenteil erhöhen. Wie will der Stadtrat das ändern?

Züsli: Das ist eines der grossen Themen für uns. Es gibt Vorteile, ein Zentrum zu sein.  Aber es ist immer noch ein Ungleichgewicht vorhanden. Die Zentrumslasten betragen gemäss einer Studie aus dem Jahr 2017 zirka 40 Millionen Franken insgesamt; der Zentrumsnutzen ist dabei aber nicht abgezogen. 17,5 Millionen Franken entfallen auf die Kultur, 13,2 Millionen auf die Mobilität und 7,9 Millionen auf den Freizeitbereich. Wir wollen das zusammen mit Kanton und Gemeinden anschauen und diskutieren.

«Wir merken, dass die Agglomerationsgemeinden zunehmend ähnliche Verkehrsprobleme haben wie wir. Und zu ähnlichen Lösungen kommen.»

zentralplus: Warum braucht es dafür die Mitgliedschaft im VLG?

Züsli: Aus unserer Sicht ist es zwingend, dass wir beim Gemeindeverband dabei sind, um Verständnis für diese Anliegen zu schaffen. Als Nicht-Mitglied werden wir weniger ernst genommen. Wir müssen besser aufzeigen, wie die Zentrumslasten zustande kommen. Zudem ist es schwierig, Solidarität einzufordern, wenn man selber als unsolidarisch wahrgenommen wird.  

zentralplus: In den Kantonen Bern, Zürich oder St. Gallen gibt es einen expliziten Zentrumslastenausgleich. Bräuchte Luzern das auch?

Züsli: Es gibt einen Bonus beim Ressourcenausgleich im Kanton Luzern, den man als kleinen Beitrag an die Zentrumslasten bezeichnen kann. Ausserdem haben wir in der Stadt die Billettsteuer, die in gewisser Hinsicht ein Zentrumslastenausgleich ist, weil so auch Auswärtige an die Kulturproduktionen zahlen. Wir haben also einzelne Stellschrauben, aber die Zentrumslasten werden nicht umfassend und konsequent ausgeglichen. Das ist ein Thema, das wir in der nächsten Legislatur angehen wollen.

«Die Leute in den Städten haben bei nationalen Abstimmungen manchmal das Gefühl, das Land überstimme sie.»

zentralplus: Welche weiteren Themen spalten Stadt und Land in Luzern?

Züsli: Ich spreche nicht gerne von Gräben und Spaltung, sondern von unterschiedlichen Interessen: Raumplanung, Verkehr, teils Agrar-Initiativen, aber auch teilweise die Kulturpolitik. Das Interesse am Projekt Luzerner Theater ist auf dem Land nun mal weniger vorhanden als in der Stadt. Das ist nachvollziehbar. Ich glaube, eine neue VLG-Struktur müsste diesem Umstand Rechnung tragen. Zentral ist aber, dass der Dialog stattfindet. Wir müssen mehr miteinander als übereinander reden. Die Stadt hat sich rausgenommen aus dem Austausch. Jetzt müssen wir einen Schritt auf die Gemeinden zu machen.

Deine Ideefür das Community-Voting

Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.

Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon