Baarer Marxist erinnert sich an die 68-er Bewegung

So lebte es sich in der ersten Zuger Hippie-Kommune

Marx im Wohnzimmer des Alt-Hippies Hans Peter Roth in Baar.

(Bild: woz)

In seinem Arbeitszimmer hängt ein Porträt von Marx an der Wand. Er trägt einen Zopf und kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als er in die erste Zuger Kommune einzog: Hans Peter Roth aus Baar. Der Alt-Hippie ist überzeugt, dass die «Achtundsechziger», die 2018 sozusagen ihr 50-Jahr-Jubiläum haben, in Zug viel verändert haben.

«In der Hasenbergstrasse in Steinhausen gründeten wir 1973 die erste Kommune im Kanton Zug – wir teilten uns damals zu sechst die Miete von 2400 Franken», erzählt Hans Peter Roth. Es sei eine teure Wohnung mit sieben Zimmern gewesen. Über ihnen habe ein Arzt gewohnt, unter ihnen ein Firmendirektor. «Wir haben uns eigentlich überraschend gut verstanden – sie haben sich nie über uns beklagt.»

Man konnte Marx gross durchs Fenster sehen

Andere bürgerliche Nachbarn waren dagegen nicht so «amused» über die Kommune der jungen Zuger Revolutionäre. Weil sie nämlich keine Storen an den Fenstern aufgehängt hatten, konnte man ein grosses Marx-Plakat an der Wand draussen von der Strasse erkennen, berichtet Roth. Der heute 67-Jährige mit seinem Zopf war damals Mitbegründer der Revolutionären Marxistischen Liga in Zug.

«Die Zuger Polizei kam häufig vorbei, um die Nummern der Autos und Velos zu notieren, die vor dem Haus parkierten. Wegen Joints bekamen wir dagegen keine Probleme – weil wir in der Partei verboten hatten, Drogen zu konsumieren. Wir wollten der Polizei keinen Vorwand für Hausdurchsuchungen liefern», erklärt der Baarer. Ausserhalb der Kommune habe man natürlich hin und wieder einen Joint geraucht.

«Ich hatte damals sogar ein Ikea-Bett mit Spezialmassen.»

Hans Peter Roth, damaliger Berufsrevolutionär

Sechs Männer seien sie in der Kommune gewesen. Aber selbstverständlich habe man auch viele Gäste empfangen: Freundinnnen, die übernachtet haben, und andere Besucher. «Ich hatte damals sogar ein Ikea-Bett mit Spezialmassen, einen Schrank, ein Tischchen und ein Radio im Zimmer», gibt Roth Einblicke in seine frühere Kommunenzeit.

«Es gab damals unter uns auch Differenzen wegen der Möblierung – einige wollten nämlich in den Brockenhäusern bessere Möbel besorgen.» Auch junge Marxisten haben es offensichtlich gerne gemütlich. Nach eineinhalb Jahren kündigten sie schliesslich die Wohnung. Da war der Kick vorbei.

Hippie-Musik «ist krank»

Für seine Eltern sei seine Zeit in der Kommune nur eines von vielen Ärgernissen gewesen, so der Alt-Achtundsechziger. «Ich bin nach Abschluss meiner Lehre in einer Bank bereits von daheim ausgezogen.» Seine Eltern, die sehr bürgerlich waren, habe viel mehr seine politische Gesinnung beunruhigt. Und seine musikalischen Vorlieben. «Sie waren überzeugt, dass einer, der so eine laute und kranke Musik hört, eigentlich dringend zum Psychiater gehen müsste», erinnert sich Roth.

Hans Peter Roth in Baar hat in seiner Wohnung noch zahlreiche Original-LPs der damaligen Hippie-Musik.

Hans Peter Roth in Baar hat in seiner Wohnung noch zahlreiche Original-LPs der damaligen Hippie-Musik.

(Bild: woz)

Wobei auch seine geblümten Hippie-Hemden, die er sich extra aus London kommen liess – bestellt auf Anzeigen aus Boutiquen im Trendmagazin «Melody Maker» –, so manchem in Zug ein Dorn im Auge gewesen seien.

Am Bankschalter im poppigen Hemd

«Als ich einmal am Bankschalter mit so einem poppigen Hemd Kunden bediente, kam der Bankdirektor zu mir und meinte, so gehe es nicht», erzählt der frühere Hippie. Als er dann am nächsten Tag in einem rosa Hemd und Bermuda-Shorts erschienen sei, habe der Bankdirektor gesagt, dass es wohl besser sei, wenn er wieder in der Buchhaltung arbeiten würde.

Kuriose Erinnerungen aus der 68-er-Zeit in Zug – als Hans Peter Roth gerade 18 Jahre alt geworden war. Eine Zeit, die aber für ihn selbst wie auch für Zug vor allem ernsthafte politische und gesellschaftliche Veränderungen mit sich brachte.

«Wir haben selbstverständlich auf eine revolutionäre Umwälzung von Politik und Gesellschaft hingearbeitet.»

Hans Peter Roth

Der gebürtige Thurgauer flog nämlich nach vier Jahren auf der Kanti von der Schule – «offiziell, weil meine Leistungen nicht mehr genügten. Tatsächlich hatte ich Ärger mit vielen Lehrern und war auffällig geworden.» Beispielsweise, weil er als erster in seiner Klasse die Musik der «Beatles» hörte. Seine Klassenkameraden, die zumeist aus elitären Verhältnissen stammten, seien nur für Bach und Beethoven zugänglich gewesen.

Nach seiner Banklehre gründete er 1973, wie gesagt, mit einer Handvoll Leute die Revolutionäre Marxistische Liga in Zug. Ungefähr 15 Personen hätten der Partei angehört. Sympathisanten seien es um die 40 gewesen. «Ich war damals Berufsrevolutionär, und wir trafen uns zu vielen Sitzungen etwa im alten Stadthof», sagt Roth. «Man kann natürlich eine Revolution nicht einfach beschliessen. Aber wir haben selbstverständlich auf eine revolutionäre Umwälzung von Politik und Gesellschaft hingearbeitet.»

Marx ist immer noch fester Bestandteil im Leben von Hans Peter Roth.

Marx ist immer noch fester Bestandteil im Leben von Hans Peter Roth.

(Bild: woz)

Anfangs seien er und seine Polit-Genossen von den Bürgerlichen noch als «Revoluzzer» belächelt worden. Mit zunehmendem politischen Erfolg habe man aber Respekt eingeheimst, ja man sei politisch gefürchtet worden. «Wir haben damals sogar überraschenderweise eine Initiative durchgebracht, die forderte, dass Regierungsräte nicht mehr in Verwaltungsräte von Firmen einziehen durften», ist der Alt-Marxist heute noch stolz.

Flugblätter an Arbeiter verteilt und Zuger 1. Mai-Feier wiederbelebt

Oder man habe morgens um sechs Flugblätter an Firmenmitarbeiter von Landis & Gyr, der Verzinkerei Zug und der Metallwarenfabrik Zug verteilt – um für mehr betriebliche Mitbestimmung und bessere Arbeitsbedingungen zu propagieren. Man habe gegen den Militarismus in der Schweiz agitiert und über den Rohstoffhandel in Zug diskutiert.

«Wir waren sehr internationalistisch ausgerichtet und haben Kampagnen gegen den Vietnamkrieg, den Militärputsch in Chile, die Diktaturen in Spanien, Portugal, CSSR und Polen gemacht sowie die sandinistische Revolution in Nicaragua aktiv unterstützt», so Roth. «Und wir haben dafür gesorgt, dass es wieder eine 1. Mai-Feier in Zug gab. 1973 sind damals 200 Leute gekommen – das ist viel für Zug.»

Zuvor war 1967 war Hans Peter Roth der «Jungen Kirche» der Reformierten Kirchgemeinde Baar beigetreten. «Wir haben damals über alles Mögliche debattiert: Über Frauenrechte, Geschlechterrollen, antiautoritäre Erziehung, Sexualität – bis wir plötzlich merkten, dass wir eigentlich eigentlich den Rahmen einer religiösen Jugendgruppe längst verlassen hatten.»

1970 nannte sich die Gruppe um und gründete die Jugendgruppe Maiblitz, welche die Zeitschrift «Maiglöggli» herausgab. Die erste Nummer wurde polizeilich beschlagnahmt wegen angeblicher Pornografie, was den Umsatz der folgenden Ausgaben enorm steigerte. Lange Haare hat sich Roth erst in den 80er-Jahren wachsen lassen – als Zeichen persönlicher Freiheit.

Wohnung für 1180 Franken in Baar

Trotz der jungen revolutionären Marxisten ist Zug heute kapitalistischer denn je. Alles für die Katz also? Hans Peter Roth, der sich seit den 80-er Jahren bis zu seiner Pensionierung beruflich auf verschiedenste Weise um die Betreuung von Flüchtlingen gekümmert hat, sieht das nicht so.

Zwar ist er selbst froh, dass er seit 36 Jahren in einer Dreizimmer-Wohnung in Baar leben kann, für die er nur 1180 Franken berappen muss. Doch seine revolutionäre Leidenschaft für eine solidarische und gerechtere Gesellschaft lebt fort.

«Wir haben viel für die Rechte der Frauen getan, die damals stark unter dem Patriarchat gelitten haben.»

Hans Peter Roth

«Sicher ist Zug heute quasi die Schweiz der Schweiz», kritisiert  Roth. Aber nirgendwo sonst in der Schweiz habe sich mit der RML/SAP so eine starke neue linke Bewegung wie im Kanton Zug entwickelt, aus welcher später die Sozialistische Grüne Alternative und die heutige ALG hervorgingen», argumentiert der Alt-Marxist.

Marx hängt noch an der Wand: Alt-68-er Hans Peter Roth war Mitbegründer der Revolutionären Marxistischen Liga in Zug.

Marx hängt noch an der Wand: Alt-68-er Hans Peter Roth war Mitbegründer der Revolutionären Marxistischen Liga in Zug.

(Bild: woz)

Man habe die alte Zuger Linke, die SP, die ja immer dazu neige, sich zu verbürgerlichen, klar überflügelt. «Und wir haben viel für die Rechte der Frauen getan, die damals stark unter dem Patriarchat gelitten haben.»

Warnung vor Barbarisierung der Gesellschaft

Sagts und mahnt vor der modernen Barbarei des Kapitalismus. Marx sei aktueller und wichtiger denn je. «Denn wir bewegen uns immer mehr in Richtung einer barbarischen Gesellschaft, weil nur noch ein kleiner Teil der Weltbevölkerung vom Fortschritt profitiert. Der grösste Teil wird ausgegrenzt und in die Armut gedrängt.»

Während dieses Phänomen vor Jahren vor allem in der Dritten Welt zu beobachten gewesen sei, werde dieses zunehmend auch in Europa virulent. «Siehe Griechenland. Ich habe Angst, dass auch die Schweiz eines Tages davon betroffen sein wird», warnt Roth.

«Das Rayon-Verbot macht mich noch heute stinkwütend, weil ich und andere völlig schuldlos schikaniert wurden.»

Hans Peter Roth

Wobei ihn auch in der Schweiz, ja in Zug, gewisse Dinge immer mehr beunruhigen. «Bei der Anti-WEF-Demonstration 2016 wurde ich von der Zuger Polizei festgehalten und wegen unerlaubter Benützung des Bundesplatzes zu einer Busse von 300 Franken verdonnert.»

Das Verfahren sei dann zwar von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden. «Andererseits macht mich das Rayon-Verbot, das die Zuger Polizei über mich für 24 Stunden verhängte, noch heute stinkwütend, weil ich und andere völlig schuldlos schikaniert wurden.»

Ungewohnte Szenen in der Stadt Zug: An der unbewilligten Anti-WEF-Kundgebung 2016 wurde ein Mann verhaftet und abgeführt.

Ungewohnte Szenen in der Stadt Zug: An der unbewilligten Anti-WEF-Kundgebung 2016 wurde ein Mann verhaftet und abgeführt.

(Bild: mbe.)

Roth ist mit einer Beschwerde dagegen beim Regierungsrat abgeblitzt. «Das hat mich 1700 Franken gekostet.» Man müsse sich gegen solche Repressionen der Polizei wehren.

«Ich bin immer wieder überrascht, wie politisch interessiert die heutige Jugend doch noch ist.»

Hans Peter Roth

Der viel gescholtenen, angeblich so konsumverseuchten Jugend von heute windet der Baarer mit dem Zopf indes ein Kränzchen.

«Ich bin immer wieder überrascht, wie politisch interessiert die heutige Jugend doch noch ist.» Bei einer «Trump is not welcome»-Demo in Zürich im Januar in Sachen Davoser WEF seien in Zürich rund 1500 Menschen aufmarschiert. «Davon war ungefähr Dreiviertel der Besucher im Alter von 18 bis 25 Jahren – und ein Viertel in meinem Alter», berichtet Roth und grinst. «Wer komplett gefehlt hat, war die Altersgruppe zwischendrin.»

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1 Kommentar
  • Profilfoto von mebinger
    mebinger, 08.04.2018, 19:29 Uhr

    Alain Badiou analysiert in seiner „Die kommunistische Hypothese“ die Komplexität der 68 er Bewegung brillant, aber er dringt meiner Ansicht nicht zum Kern der Sache vor. Er huldigt den 68 er noch mit viel zu wenig Distanz. Joseph Ratzinger hat laut Hans Küng ein Trauma wegen der Studentenrevolten und je mehr ich nachdenke, desto mehr verstehe ich Ratzinger.

    Die 68 er sind eine politisch linksgerichtete Bürgerrechtsbewegungen, welche gegen die Starrheit der Nachkriegsgesellschaft zu opponierten, sie übten sich in Kapitalismuskritik. Aber im ernst ihre Kritik war weder konsequent noch glaubwürdig. Fast alle 68 er stammten aus einer verwöhnen Mittelstandsgesellschaft und ihre Kritik war mehr Theorie als etwas mit Hand und Fuss. Wenn heute ein Indio in Südamerika gegen die Konzerne opponiert und ihre Verbrechen anprangert, hat das Gewicht, ein verwöhntes Muttersöhnchen im europäischen Westen der Kapitalismuskritik übt, tönt im Vergleich nur lächerlich. Ratzinger hat dies wohl erkannt und als er merkte, dass die halbe Welt auf diese 68 er rein fielen brach für ihn eine Welt zusammen und er wechselte ins konservative Lager über. Stellt man sich nun die Frage, was die 68 er gebracht haben ist das Fazit ernüchternd unsere Wirtschaft ist wohl noch ungerechter als vor 1968 und heute wäre eine Kapitalismuskritik dringendst notwendig. Um Missverständnissen vor zu beugen, ich will weder einen Kommunismus oder einen Sozialismus, aber wir sollten uns wieder mehr der christlichen Wirtschaftsethik zuwenden, in der Vermögen noch verpflichtend war und schrankenloses Renditedenken wohl eine Sünde darstellte. Gesellschaftlich sind wir starrer als wohl in den 30 er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Es wurden noch nie so viele Bücher verbrannt wie heute und gegen den Tugendterror heutigen Zeit, war die heilige Inquisition zum Beispiel unter Alfredo Ottaviani der reinste Kindergarten.

    Über den Feminismus will ich heute nicht reden, obwohl seine effektiven „Errungenschaften“ nicht minder desaströs für die Frauen sind, als die 68 er Bewegung für die Arbeitnehmer.

    Gut ich will nicht ganz ungerecht sein, die sexuelle Revolution hatte ihr Gutes. Ich will nicht wissen, wie wir die HIV-Problematik mit der Einstellung vor 1968 gelöst hätten. Ob es nicht auch in diesem Bereich Kritikpunkte gäbe, müsste man sich überlegen, aber da besteht ja noch Zeit. So oder so, für mich werden die 68 er masslos überschätzt

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