Historisch oder «Etikettenschwindel»?

Shabby Chic? Luzerner Haus gibt sich älter, als es ist

Das Gebäude der Suidterschen Apotheke an der Burgerstrasse ist alt. Aber weisst du auch, wie alt? Denkmalpfleger Mathias Steinmann bringt Licht ins Dunkle. (Bild: cbu / zvg)

Geschichte wird gerne über die Jahrhunderte verwässert oder geht vergessen. Das zeigt sich auch in der Stadt Luzern, die auf den ersten Blick eine ganze Reihe von historischen Gebäuden hat. Oft entspricht das aber nicht ganz der Wahrheit, wie ein prominentes Beispiel zeigt.

Neulich mal durch die Stadt Luzern spaziert auf der Suche nach historischen Gebäude für ein Quiz. Mit alten Häusern im Hinterkopf steht man schnell an der Kreuzung Bahnhofstrasse/Burgerstrasse beim Krienbrügglibrunnen. Denn hier steht das ehemalige Cloos-Haus, benannt nach einem alten Patriziergeschlecht.

Vielen Stadtluzernerinnen dürfte das Eckhaus eher als «Alte Suidtersche Apotheke» bekannt sein, prangt der Schriftzug doch schliesslich auf der Fassade und laden die halbrunden Schaufenster zu einem Blick ins Innere der ältesten Apotheke Luzerns ein, wofür man mit dunklen Holzregalen, Flakons und Harry-Potter-Charme belohnt wird. Mit seinem Erker und Treppenhaustürmchen mutet das Haus tatsächlich sehr alt an. Über einer Holztüre ums Eck prangt gar die Jahreszahl 1536.

Nur: Ist das Haus auch wirklich so alt, wie es aussieht?

Nicht offiziell denkmalgeschützt

Wir werfen einen Blick ins städtische Bauinventar, in dem denkmalgeschützte Gebäude eingetragen sind – und kommen ins Staunen. Das Cloos-Haus ist darin nämlich – im Gegensatz zum Regierungsgebäude oder dem Liebenau-Haus in unmittelbarer Nähe – nicht eingetragen. Das hat administrative Gründe, wie Mathias Steinmann, Leiter Bauinventar, auf Anfrage erklärt.

Das kantonale Bauinventar für die Stadt Luzern wurde nämlich im Dezember 2017 formell in Kraft gesetzt. Für die Fachleute der Denkmalpflege sei das eine Herkulesaufgabe gewesen, wie Steinmann im Januar gegenüber dem «Anzeiger Luzern» sagte. Während rund zehn Jahren haben sie alle Gebäude der Stadt Luzern analysiert und, wo fachlich angezeigt, ins kantonale Bauinventar aufgenommen.

Wo 1536 draufsteht, ist nicht nur 1536 drin. Teile des Hauses sind sogar noch älter, andere dafür viel jünger. (Bild: cbu)

«Nicht ins Inventar aufgenommen wurden damals die Gebäude in der Altstadt und in der Kleinstadt», so der Denkmalpfleger. Dies mit dem Hintergrund, dass diese in der Ortsbildschutzzone A stehen und damit bereits eine «hohe Schutzwirkung» haben. Bisher sind in diesem Bereich erst jene Objekte erfasst, die auch im kantonalen Denkmalverzeichnis eingetragen sind – wie eben das Regierungsgebäude, das Hotel Schlüssel oder auch der Krienbrügglibrunnen.

Die restlichen Gebäude, also möglicherweise auch das Cloos-Haus, werden jetzt in einem zweiten Schritt erfasst. «Zurzeit wird diese Lücke aufgearbeitet, die Arbeiten sind aber noch nicht abgeschlossen», so Steinmann.

Verworrene Baugeschichten sind der «Normalfall»

Zurück zum Cloos-Haus. Was ist dran an der Jahreszahl 1536, die über der Eingangstüre zwischen zwie Wappen prangt? «Die Baugeschichte des Hauses ist sehr komplex und auch nicht abschliessend geklärt», sagt Steinmann. «Selbst der Bau von 1536 könnte ältere Bausubstanz eines Vorgängerbaus aus der Zeit um 1300 aufweisen. Genaue Kenntnisse könnten erst durch einen Bauuntersuch mit entsprechenden Sondierungen erbracht werden.» Fakt ist aber, dass Teile des Gebäudes durchaus auf eine lange Geschichte zurückblicken.

Bis 1864 grenzte die westliche Nordseite des Baus nämlich an das Burgertor, das als westlicher Ausgang der Kleinstadt diente. Dieser Turm, der die künftige Apotheke mit dem heutigen Restaurant Wilden Mann verband und zeitweilig auch als Gefängnis fungierte, wurde schliesslich im Zuge der Entfestigung der Stadt 1864 abgerissen.

Neben dem Cloos-Haus (rot markiert) ist auf dem Schumacherplan von 1792 noch der Burgerturm zu sehen. (Bild: Stadt Luzern / zvg)

Die historischen Bauten der Luzerner Altstadt weisen gemäss Steinmann alle eine reiche, aber auch komplexe Baugeschichte auf und wurden über die Jahrhunderte immer wieder umgebaut und verändert. «Die Geschichte des Cloos-Hauses ist der Normalfall.»

Dieses wurde nämlich 1906 zu seinem heutigen Erscheinungsbild umgebaut. Und zwar vom Aargauer Architekten Wilhelm Hanauer, der sich auch für die Pfarrkirchen in Reussbühl und Ennetbürgen verantwortlich zeichnete. Der neogotische Umbau von 1906 entspricht laut dem Denkmalschützer ganz dem damaligen Zeitgeist mit der Rückbesinnung auf das «Alte Luzern». Dazu gehört auch die Apotheke im Parterre, die, so Mathias Steinmann: «ohne Zweifel zu den besterhaltenen historischen Apotheken der Schweiz gehört».

Cloos-Haus ist kein Einzelfall

Jemand, der sich mit dem «Alten Luzern» beschäftigt hat, ist auch der Historiker Valentin Groebner. Der gebürtige Wiener lebt seit einigen Jahren in der Leuchtenstadt und hat in seinem Buch «Retroland. Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen» unter anderem einen genauen Blick auf verschiedene alte Bauwerke in Luzern geworfen und kommt zum Schluss: «Die traditionelle Altstadt hat es natürlich nie gegeben, sondern immer nur Mischungen, Repliken, Remakes.» So stellte er schon 2018 bei einem Rundgang mit zentralplus fest: «In Luzern kann man sehr schön zeigen, dass das, was in einer Altstadt das Alte ausmacht, normalerweise nicht alt ist.»

Andere Gebäude, die über Hunderte Jahre einen starken optischen Wandel durchlebt haben und trotzdem – zumindest stellenweise – an ihrer Historie festhalten sind auch das Hertensteinhaus am Kapellplatz (zentralplus berichtete), das Anderallmend-Haus beim Kasernenplatz oder auch die jüngst sanierte Villa Krämerstein in Horw (zentralplus berichtete). Auch das pittoreske Schloss Meggenhorn mit Blick auf den Vierwaldstättersee hat sein heutiges Aussehen einer Neugestaltung um 1870 zu verdanken. Davor war das bereits 1240 erwähnte Gebäude «Mekkenhorn» eine Habsburg, ein Landhaus und ein Herrschaftssitz. Seit 1974 gehört es der Gemeinde Meggen.

Man sieht: Luzern und seine historischen Gebäude verbindet eine komplexe und nicht immer ganz eindeutige Geschichte. Auch die schmuckvoll aufgemalten Jahreszahlen sind zwar historisch belegbar – aber nicht immer für das ganze Gebäude zutreffend. Sei's drum. Für ein spannendes Quiz hat sich der Rundgang allemal gelohnt. Du findest dieses übrigens hier:

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