Gemeinsam Znacht: Flüchtlinge essen bei Schweizern

«S’esch megafein»: Ein Abend bei den Bühlmanns in Horw

Die Familie Bühlmann in Horw mit Navid und Parwiz.

(Bild: neh)

Ein Abendessen ist gemütlich: Man schwatzt, lacht, isst und lernt sich kennen. Dies macht sich die Organisation «Gemeinsam Znacht» zunutze. Sie ermöglicht Flüchtlingen ein Znacht bei Schweizern. Wir haben uns bei Benno Bühlmann und seiner Familie dazugesetzt.

Eine Wohnung in der Stirnrüti in Horw. Die Familie Bühlmann hat heute Navid und seinen Freund Parwiz zu Gast, sie kommen beide aus Afghanistan.

«Unsere Siedlung hat schon einige Male Flüchtlinge zum Essen im Gemeinschaftsraum eingeladen. Insofern hatten wir schon vor diesem Abendessen Erfahrungen mit Flüchtlingen gemacht», erzählt der 51-jährige Benno Bühlmann. Trotzdem musste der Fachlehrer für Religionskunde und Ethik seine Frau Brigitte und seine Töchter Mirjam und Silja zuerst von der Gemeinsam-Znacht-Idee überzeugen: «Sie wollten eigentlich lieber jemanden einladen, den wir schon kannten.»

Doch der Kantonsschullehrer war erfolgreich – und so sitzen an diesem Septemberabend der 24-jährige Navid und der 20-jährige Parwiz mit am Tisch im Wohnzimmer der Familie Bühlmann. Beim Apero wird auf Alkohol verzichtet, aus Rücksicht auf die muslimischen Gäste.

Keine Eintagsfliege

«Wir haben als Familie keine konkreten Erwartungen an den Abend. Aber persönlich habe ich schon das Bedürfnis, dass es keine Eintagsfliege bleibt und dass wir mit unserem Gast Navid in Kontakt bleiben», sagt Benno Bühlmann. Beim Apero stellt sich überraschenderweise heraus, dass Navid und die Familie einen gemeinsamen Bekannten haben. Sofort gibt es einen Anknüpfungspunkt, Bilder auf dem Handy werden gezeigt, Anekdoten erzählt. Das Eis ist gebrochen und es wird viel gelacht.

Parwiz erzählt vom Kunstprojekt im Kunstsilo in Emmen, bei dem er mitgemacht hat (siehe Box). Stolz zeigt er Fotos von der Skulptur, die er geschaffen hat.

Die Familie Bühlmann in Horw mit Navid und Parwiz.

Die Familie Bühlmann in Horw mit Navid und Parwiz.

(Bild: neh)

Kein Fondue oder Raclette

Die Familie hat im Vorfeld lange überlegt, was sie kochen soll. Etwas typisch Schweizerisches? Fondue und Raclette wollten sie den Gästen nicht zumuten. Schweinefleisch ist sowieso tabu. «Dann haben wir uns entschlossen, genau das Gleiche zu kochen, das wir für uns selber kochen würden», betont der Familienvater. Es wird zu Tisch gebeten, die Kürbissuppe wird serviert. Nach dem ersten Löffel sagt Navid: «S’esch megafein» – und alle lachen.

Ausstellung im Kunstsilo

«Ich bin hier»: Ausstellung mit Werken von 15 Asylsuchenden. Kunstsilo Emmen. Vernissage: Samstag, 23.9., 16 Uhr. Ausstellung bis 8. Oktober.

Am Tisch wird deutlich, wie enorm wichtig die Sprache für den Erfolg eines solchen Abends ist: Während Navid, der seit knapp zwei Jahren in der Schweiz ist, sich recht gut verständigen kann, fällt es Parwiz schwerer, dem Gespräch zu folgen. Er wird still – ob wegen der Sprache oder vielleicht aus Schüchternheit, ist nicht klar. Doch zum Glück hat die Familie schon Erfahrung im Umgang mit solchen Situationen: Die 48-jährige Brigitte Villiger Bühlmann bemerkt, dass Parwiz etwas verloren dasitzt, und verwickelt ihn behutsam in ein Gespräch.

Warum kein Fleisch?

Die Lasagne – vegetarisch oder mit Bisonfleisch – und der Salat werden verzehrt. «Darf ich fragen, warum du kein Fleisch isst?», fragt Navid die 18-jährige Silja. Die Maturandin erzählt von ihren Gründen, auf Fleisch zu verzichten. Schnell ist zwischen den vier Bühlmanns und den zwei jungen Männern aus Afghanistan ein Vertrauensverhältnis entstanden.

Es wird zwar oft gelacht, doch es gibt durchaus auch sehr ernste Momente. Etwa, als Navid von seiner Angst vor seinem Asylentscheid erzählt. «Was mache ich, wenn ich einen negativen Bescheid bekomme? Ich kenne viele Leute, die sich selber getötet haben, nach einem negativen Bescheid», sagt er.

Betretenes Schweigen hat auch Platz an so einem Abend. «Ich habe Navid bereits vor ein paar Tagen kennengelernt, als er in der Schule seine Geschichte erzählt hat. Dort habe ich bemerkt, wie gross seine Angst vor dem Asylentscheid ist», sagt Benno Bühlmann. Über seine Probleme in Afghanistan will Navid nicht sprechen – jedenfalls noch nicht. Aber: «Alle lieben wir unser Land, unsere Heimat», betont er.

Navid und Parwiz setzen sich zu Tisch.

Navid und Parwiz setzen sich zu Tisch.

(Bild: neh)

Und dann wird gesungen

«Sarzamin!», wirft Benno Bühlmann irgendwann ein. «Sarzamin e Man» ist ein afghanisches Lied über die Heimat. Flugs holen die 21-jährige Musikstudentin Mirjam ihre Geige und ihr Vater die Gitarre. Noten werden verteilt, zögerlich singt die Runde mit Navid und Parwiz das traurige Lied.

Danach gibt’s Schoggimousse zum Dessert. Da Navid in Nottwil und Parwiz in Schwarzenberg wohnt, ist schon bald Zeit aufzubrechen. «Für mich war es ein sehr schöner Abend! Es war eindrücklich, so junge aufgeschlossene Menschen kennenlernen zu dürfen. Ich war überrascht, mit welcher Offenheit sie mit uns auch über schwierige Situationen gesprochen haben», sagt Silja Bühlmann. Es sei zudem beeindruckend, wie sie sich trotz ihrer schwierigen Lebenssituation stark engagierten und sich bemühten, Deutsch zu lernen und einen Anschluss in unserer Gesellschaft zu finden.

Nach dem Essen wird noch gemeinsam gesungen.

Nach dem Essen wird noch gemeinsam gesungen.

(Bild: neh)

Ihr Vater hätte sich noch mehr Tipps und Infos von «Gemeinsam Znacht» zur Vorbereitung gewünscht, aber auch er sei von der Herzlichkeit und Offenheit beeindruckt: «Der Abend war ein grosser Gewinn und eine Horizonterweiterung. Unsere Alltagsprobleme relativieren sich im Gespräch mit Navid und Parwiz», findet er.

Navid hat bei «Gemeinsam Znacht» mitgemacht, weil er neue Leute kennenlernen wollte, da er allein in der Schweiz sei. «Der Abend war toll, es hat uns sehr gut gefallen. In drei Wochen werde ich die Familie Bühlmann zu mir nach Nottwil einladen», freut er sich. Vielleicht kocht er den Gemüseeintopf mit Okra, über den er sich mit Mirjam unterhalten hat?

Tipp für das gemeinsame Znacht

Seit Herbst 2014 vermittelt die Gruppe Flüchtlinge als Gäste zu Familien, WGs oder Paaren. «Gemeinsam Znacht» ist Teil des Zürcher Solinetzes, organisiert aber solche Begegnungen auch in anderen Kantonen. Bis jetzt wurden über 350 Abendessen vermittelt.

In der Zentralschweiz gibt es das Projekt seit diesem Frühling. Bis jetzt wurden hier etwa 20 Abendessen vermittelt. Es soll zu einem normalen Essen, nicht zum Fünf-Gänger eingeladen werden. Der Gast darf in der Regel noch einen Freund oder eine Freundin mitbringen. Tipp von Benno Bühlmann: Nonverbale Spiele wie Memory oder Jenga sind gute Eisbrecher, wenn das Gespräch harzig läuft.

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