Wie man im Baumarkt zur Heimwerkerin wird

Selbst ist die Frau – und greift zu Hammer, Säge und Bohrer

Am Projektabend handwerken die Frauen für einmal unter sich.

(Bild: ens)

Ein grosses Baumarktgeschäft fordert auf: «An die Schraubenzieher, Sägen und Bohrer, fertig, los!» Im Zuge eines Projektabends trafen sich in Littau mehr als 50 lernwillige Frauen, um sich handwerklich weiterzubilden – mit der einen oder anderen Panne. Und vor allem lachenden Gesichtern.

Wer kennt es nicht: Zu Hause muss die Lampe ausgetauscht werden. Wochenlang bettelt man die Herren der Schöpfung an, ein Loch zu bohren und die Leuchte zu montieren. Die Wochen verstreichen ganz langsam. Aus vier werden sechs, aus sechs werden acht und plötzlich ist ein halbes Jahr im Dunkeln vergangen. Grund genug für viele Frauen, heute den Bohrer oder die Säge selber in die Hand zu nehmen.

«Volle Power. Volles Programm!» versprechen die Veranstalter werbewirksam. Und das sah dann so aus. Eine halbe Nacht lang war der Baumarkt fest in Frauenhand. Drei Posten gab es zu bewältigen: Kreativ Wände gestalten, Verkleidungen montieren, Laminat und Vinyl verlegen. Selbst ist die Frau. So auch Sandra Bieri (39) und Daniela Schacher (34).

Obwohl, als gänzlich unerfahren würden sie sich nicht bezeichnen. Gerade wenn es darum gehe, eine Glühbirne zu wechseln. Anders sehe es hingegen beim Verlegen von Laminaten aus, erzählen die beiden Freundinnen vor dem Kurs. Müssten sie ihre handwerklichen Fähigkeiten auf einer Notenskala von 1 bis 10 bewerten, gäben sie sich die Noten 3 und 5. Also ungenügend.

Bodenlaminate zuschneiden, Wände verzieren

Als die beiden nach der zehnminütigen Einführung durch den Standortleiter Silvio Tränkle darüber informiert werden, womit sie sich beschäftigen, grinsen sie sich gegenseitig an und scherzen über ihre Männer: «Wenn ich nach Hause gehe, werde ich bei meinem Mann damit prahlen, dass ich das Bodenlaminat nun selbstständig wechseln kann – schauen wir, wie er dann reagiert.» Man merkt, die Frauen freuen sich auf den Abend unter anpackenden Frauen.

«Scheisse!»

Frauen, die anpacken, sprechen eine klare Sprache

Nach der Einführung tapsen die Frauen zuerst etwas skeptisch zu ihren Posten. Der erste lautet: «Kreativ Wände gestalten». Das klingt nach einer einfachen Aufgabe – bald werden die Frauen aber eines Besseren belehrt.

Im Overall bemalen die Frauen die Wände.

Im Overall bemalen die Frauen die Wände.

(Bild: ens)

Im Kreis versammelt beobachten die Frauen die Handgriffe von zwei Handwerkerinnen. Auffällig ist vor allem eine Vierergruppe von Frauen im Alter zwischen 25 und 30 Jahren. Die Handwerkerinnen ermahnen die Frauen, genügend Leim beim Anbringen der Fototapeten zu verwenden. Kleben sie die angrenzende Fototapete falsch, sind sie besser in der Lage, ihre Fehler zu korrigieren und die Fototapete zu entfernen. Gesagt, getan.

Aus den Lagerhallen ruft eine der Freundinnen: «Scheisse!» Blitzartig drehen sich die Köpfe der Kolleginnen zu ihr um. «Schaut mal!», und zeigt mit dem Finger auf den oberen und unteren Teil der Wand. Obwohl sie die zweite Fototapete an der Stelle angebracht haben, wo die erste endet, fehlen der Tapete rund zehn Zentimeter, damit sie zum Boden reichen würde. Irritierte Blicke werden ausgetauscht. Dann beginnen die Frauen über ihren Lapsus zu kichern. Man merkt, sie fühlen sich in dieser Frauengemeinschaft wohl.

Dass die Gleichberechtigung auch in der handwerklichen Branche angekommen ist, bestätigt auch Reto Kaspar, der Marketingleiter von Hornbach Schweiz. Heute treffe er zunehmend weibliche Kundschaft zwischen den Regalen an.

Fehler machen ist obligatorisch

Eine, die den Trend zu mehr handwerklicher Arbeit in den eigenen vier Wänden bestätigt, ist die 55-jährige Pia Anderhub aus Nidwalden. Als gelernte Hochbauzeichnerin ist sie sich die Arbeit mit den verschiedenen Materialen und Werkzeugen gewohnt. Sie beobachtet mit stoischer Ruhe den Handwerker und greift am zweiten Posten gleich als Erste zum Leim. Los geht’s!

Nach einigen Minuten ertönt schallendes Gelächter. Eine Gruppe hat den Verblender, sozusagen ein Kunststoffimitat einer Steinwand, schräg angeklebt. Er muss abgelöst werden. Auch die beiden Handwerker von Hornbach schmunzeln. «Jetzt ist es kein Problem, den Verblender zu entfernen, aber stellt euch vor, der Leim ist getrocknet.» Wieder lachen die Frauen. An diesem Abend ist es für die Frauen obligatorisch, dass sie Fehler machen dürfen.

Es wird auch gebohrt. Fehler zu machen ist am Projektabend obligatorisch.

Es wird auch gebohrt. Fehler zu machen, ist am Projektabend obligatorisch.

(Bild: ens)

Das sieht auch Roger Niederberger so, der seit 15 Jahren als Handwerker bei Hornbach arbeitet. «Damit Frauen aus der Komfortzone heraustreten, brauchen sie Mut und den Drang, neue Dinge zu erlernen.» Gleichzeitig müsse man ihnen aber auch den Raum zur Verfügung stellen, Fehler machen zu dürfen.

Am letzten Posten greifen die Frauen nicht nur zum Messband, sondern primär zur Sägemaschine. «Zuerst müssen wir den Holzsockel ausmessen, dann das Laminat zuschneiden», sagt eine der Frauen. Es scheint, dass nichts leichter als das wäre. Doch oje, am Ende passt das Laminat nicht mehr zum Holzsockel.

Eine Urkunde für die Ewigkeit

Zwei Frauen amüsieren sich darüber, wie sie einen Zentimeter vom Rand fälschlicherweise abgezogen anstatt dazugerechnet hätten. «Wenn ich in Zukunft Laminat oder Vinyl zuschneiden muss, kaufe ich eine Packung mehr – so viel ist sicher!», sagt eine der jungen Handwerkerinnen.

«Die Urkunde hänge ich vermutlich über die Werkbank meines Mannes.»

Sarah Bieri, eine der Kursteilnehmerinnen. 

Nach zwei Stunden endet der Kurs. Die Frauen erhalten eine Urkunde für ihre Teilnahme am Workshop. Pia Anderhub, Sarah Bieri und Daniela Schacher nehmen die Bestätigung mit strahlenden Augen entgegen. Wo sie diese hinhängen werden? «Vermutlich über die Werkbank meines Mannes», lacht Sarah.

Sie alle teilen die Auffassung, dass Frauen anders als vor zwanzig Jahren nicht nur hinter den Kochherd gehören, den Staub saugen oder das Bad putzen. Sondern auch einmal mit Lust zu Hammer, Säge und Bohrer greifen sollen. Weitere Kurse sind in Planung.

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