Belästigung am Zuger und Luzerner Kantonsspital

«Seine Hand war schnell im Schritt oder an der Brust»: So werden Pflegefachfrauen belästigt

Dumme Sprüche gehören zum Alltag vieler Pflegefachfrauen. (Symbolbild: Adobe Stock)

Unter dem Hashtag #RespectNurses berichten derzeit Pflegefachkräfte auf Twitter von üblen Erfahrungen bei ihrer Arbeit. Von herablassenden und anzüglichen Sprüchen bis hin zu Übergriffen. Wir haben nachgefragt, was das Luzerner und Zuger Kantonsspital dagegen tut.

Intimpflege bei einem älteren Herrn: «Er meinte, ich solle fester ‹waschen›, da ihm das sehr gefalle. Ich würde ja schliesslich dafür bezahlt werden, damit es ihm gut geht.»

Ein Tweet von Hunderten. Derzeit geht der Hashtag #respectnurses viral, zahlreiche Pflegefachkräfte berichten über ihre Erfahrungen, schreiben über sexuelle Übergriffe, wie sie respektlos behandelt wurden.

Eine Luzerner Pflegefachfrau – nennen wir sie Mia* –  berichtet über ähnliche Erfahrungen. Mehr als einmal habe sie den Spruch gehört: «Ja, wäre schön, wenn Sie sich jetzt zu mir ins Bett legen.»

Anzügliche Bemerkungen bei der Intimpflege

Mia findet es spannend, was derzeit auf Twitter abgeht. «Für uns Pflegefachkräfte ist es oft ein Tabu-Thema», sagt sie. «Es ist uns häufig nicht so bewusst, wie gross die fehlende Wertschätzung uns gegenüber ist. Es gehört zu unserem Alltag und wird auf öffentlicher Ebene viel zu wenig diskutiert.»

Lucy*, ebenfalls Pflegefachfrau, pflichtet Mia bei: «Vielen ist gar nicht bewusst, wo sexuelle Belästigung beginnt. Sie drücken es mit einem Lächeln weg, denken, das gehöre zu ihrem Job dazu. Das tut es nicht!»

Eine Geschichte ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Als sie noch in Ausbildung war, arbeitete sie in einem Alterspflegeheim. «Da gab es einen Mann, bei dem musste man immer schauen, wo seine Hände sind. Sonst war seine eine Hand schnell im Schritt oder an der Brust.» Unter den Pflegerinnen sei es ein Tabu-Thema gewesen. Bis sie die Leitung einmal ansprach, ob das normal sei. «Sie meinten: Du musst einfach schneller sein.» Lucy war entsetzt, dass man das einfach so hinnahm, ohne dass etwas dagegen unternommen wurde.

Mia erinnert sich an eine Intimpflege, als sie noch jünger war. Es war ein älterer Herr. «Als ich seinen Penis wusch, wurde er anzüglich, klopfte blöde Sprüche.» Sie habe ihm dann erklärt, dass so was nicht geht und dass sie später wiederkommen werde.

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Pflegende und Patienten sind sich nahe

Klar: Pflegefachkräfte kommen ihren Patientinnen und Patienten nahe. Gerade beim Waschen. «Bei Pflegehandlungen sind Patienten und Pflegepersonen einander physisch und kommunikativ nahe und es entsteht Intimität», schreibt das Luzerner Kantonsspital auf Anfrage. Das könne zu einem «missverständlichen Nähe-Distanz-Verhältnis» führen. Für Pflegefachkräfte könne das unerwünscht sein – ob es das Gegenüber nun beabsichtigt oder unbeabsichtigt machte.

Wenn Leute im Bett gelagert werden, könne es vorkommen, dass jemand aus Angst irgendwohin greift – auch an Po oder Brust. Das sei nicht absichtlich, so Lucy.

Mia meint, dass viele Kommentare nicht böse gemeint seien. Wie zum Beispiel ein Spruch, der oft fällt: «Bei einer so schönen Krankenschwester wie Ihnen kann es mir ja nur gut gehen.» Vielleicht nett gemeint, aber es reduziere sie auf ihr Äusseres. «Dumme Sprüche sind zu Beginn Kleinigkeiten – aber sie häufen sich. Es nervt und stört mich.»

Fälle lassen sich nicht beziffern

Scrollt man auf Twitter durch die Tweets, hat man den Eindruck, dass solche Erfahrungen zum Alltag vieler Pflegefachkräfte gehören. Auch Mia sagt: «Jede Pflegefachfrau, die ich kenne, könnte so eine Geschichte erzählen. Und natürlich sind auch männliche Pfleger davon betroffen.»

Männer berichten von ihren Erfahrungen:

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Wie häufig es konkret zu solchen Fällen kommt, in denen das Personal belästigt wird, lässt sich nicht beziffern. Vermutlich auch, weil Pflegende einen Vorfall häufig nicht melden – wie Mia. «Ich konnte mich immer gut wehren», sagt sie. Eher Sorgen macht sie sich um jüngere Pflegefachkräfte, die noch in der Ausbildung sind oder eine solche gerade abgeschlossen haben. «Ich denke, dass Jüngere eher Angriffsziele für sexistische Sprüche sind, weil sie unsicher wirken. Wenn ein anzüglicher Spruch fällt, wissen viele wohl nicht, wie sie darauf reagieren sollen.»

Patienten werden «immer wieder» ausfällig

So kannst du dich wehren

Tipps, wie Pflegefachkräfte auf sexuelle Belästigung reagieren können, gibt der Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer (SBK) in seiner Broschüre «Verstehen Sie keinen Spass, Schwester!»

Darin heisst es: «Sie sind weder Mami noch Tochter noch Schwester(!), weder Dienstmädchen noch Kellnerin noch persönliche Vertraute – sondern Sie machen Ihre Arbeit mit einem klaren fachlichen Auftrag.» Der SBK empfiehlt, dass Pflegefachkräfte immer beim «Sie» bleiben, um die Rolle zu stützen.

In einer heiklen Situation sollen Pflegende den «Doppelstopp» machen. Da kannst du klare Grenzen setzen – in einem einzigen Wort oder Satz wie «Stopp!» oder «Gaht's no!» Daraufhin sagst du, dass das Gegenüber mit diesen Witzen aufhören soll, du das nie wieder hören willst, er dich nie wieder anfassen soll.

Der SBK spricht weiter von der Dreier-Regel. In einem ersten Schritt kannst du die Situation schildern, im zweiten Satz klarstellen («Ich bin Pflegefachfrau und arbeite hier für Ihre Gesundheit»), im dritten Satz sagen, was du erwartest («Hören Sie mit diesen Sprüchen auf»).

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist verbreitet. Das Eidgenössische Büro für Gleichstellung von Mann und Frau und das Staatssekretariat für Wirtschaft kam in einer Studie aus dem Jahr 2008 zum Schluss, dass die Hälfte von rund 2000 Befragten in ihrem Erwerbsleben schon mindestens einmal belästigt wurden. Beschäftigte im Gesundheitsbereich sind besonders häufig betroffen – das besagt auch eine deutsche Studie von diesem Jahr.

Das Luzerner Kantonsspital führt keine Statistik darüber, wie häufig es zu einem Vorfall kommt. Es kommt «jedoch immer wieder vor», dass Patientinnen und Patienten oder auch deren Angehörige gegenüber den Mitarbeitenden «ausfällig» werden. Dazu gehöre «in einzelnen Fällen» auch sexuelle Belästigung, so das Luks. Beim Zuger Kantonsspital seien keine Fälle gemeldet worden.

Die Fälle dürften weniger sein als noch vor einigen Jahren, meint Sabine Oertelt-Prigione gegenüber der «Zeit». Oertelt-Prigione ist Professorin und Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Themen wie Sexismus werden in der Öffentlichkeit und auch in den Spitälern mehr diskutiert, was potentielle Täter abschrecke.

Mit blöden Sprüchen den Gesundheitszustand kompensieren

Doch weshalb werden diese Sprüche geklopft? Das Zuger Kantonsspital schreibt: «Es kann sein, dass gewisse Patienten versuchen, den eigenen Krankheitszustand mit Sprüchen zu kompensieren.» Auch eine psychische Krankheit oder der Einfluss von Medikamenten könne dazu führen, dass jemand grenzüberschreitend werde. In der Regel kann das Personal das aber gut unterscheiden.

Mia sieht die Gründe im Bild, das Pflegefachkräfte in der Gesellschaft haben: «Wir sind die Angestellten, die Pflegenden. Wir sind dafür zuständig, dass es jemandem gut geht, sind in einer Dienstleistungsposition. Vielen fehlt der Respekt vor unserem Beruf und unserer täglichen Arbeit.»

Manchmal müsse man sich auch anhören, dass man «eh nur s'Födle potzt», wenn man einem Patienten sage, dass es mit seinem Verhalten zu weit gehe, sagt Lucy.

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Grenzen sollen frühzeitig gesetzt werden

Wenn es zu einem Vorfall kommt, habe das Luks klar definierte Abläufe. Mitarbeiterinnen sollen frühzeitig Grenzen setzen, die Rollen klären. Darin seien sie auch geschult, so das Luks.

Es sei wichtig, einen Vorfall den Vorgesetzten zu melden: «Transparenz und rasches Reagieren halten wir für sehr wichtig.» So kann in einem ersten Schritt das Gespräch mit den Patienten gesucht werden. «Dabei können die Grenzen klar gesetzt, die Vorfälle geklärt und mögliche weitere Schritte definiert werden.» Der Umgang mit sexuellen Übergriffen werde in der Pflegeausbildung thematisiert. Das interne Bildungsprogramm biete jährlich einen Kurs an zum Umgang mit Aggressionen und Gewalt durch Patienten – dazu gehört auch die sexuelle Belästigung.

Auch das Zuger Kantonsspital duldet keine sexuelle Belästigung. Mitarbeitende werden aufgefordert, zu intervenieren und zu melden, wenn sie selbst oder jemand anderes Zielscheibe abwertender Sprüche oder sexueller Belästigung sind.

Doch welche Konsequenzen hat es für einen Patienten, wenn er übergriffig wird? Aus dem Spital rauswerfen kann man ihn ja schlecht. Das Zuger Kantonsspital schreibt auf die Frage: «Jeder Patient steht in der Pflicht, mit dem Spitalpersonal zu kooperieren und ihm mit Respekt zu begegnen.» Sollte es dennoch zu einem Vorfall kommen, werden entsprechende Massnahmen eingeleitet. Beispielsweise kümmert sich eine andere Pflegefachkraft oder ein anderer Arzt um den Patienten.

Andere warfen respektlose Patienten gleich raus:

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*Mia und Lucy wollen auf ihren Wunsch anonym bleiben.

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