Kröte trifft auf Mensch

Sei kein Frosch!

In die Falle getappt: Freiwillige Helfer fangen die Laubfrösche ein. Zu Hunderten sind sie auf dem Weg in den Büttenenweiher. (Bild: bra)

Das grosse Hüpfen hat begonnen – und das mitten im Luzerner Siedlungsgebiet. Über tausend Frösche sind in diesen Nächten unterwegs durch das Büttenenquartier. Sie wollen zum Teich. Und das ist nicht ganz ungefährlich.

Sie kommen in der Nacht. Und sie kommen zahlreich. Als eine hüpfende, braun-grüne Invasion mit Warzen. In der Dämmerung hopsen Laubfrösche und Erdkröten zu Hunderten aus dem Meggerwald her in Richtung Büttenenhalde, auf die Grossüberbauung zu. Insgesamt gegen 1’200 Tiere in diesem Frühling. In der Dämmerung wird das Luzerner Büttenenquartier komplett in Beschlag genommen. Sie verteilen sich wie Laub auf den Pflastersteinen. Spaziergänger leuchten mit Taschenlampen und Jogger laufen im Slalom. Die jährliche Amphibienwanderung hat begonnen. 

Zwei Welten prallen aufeinander

Das Ziel der Frösche ist klar. Sie folgen uralten Instinkten, verinnerlicht durch eine Evolution von 250 Millionen Jahren. Es drängt sie zum Wasser, zum Büttenenweiher. Sie wollen die Paarung. Doch man ahnt es schon: Die Sache hat einen Haken. Der Teich ist umringt von Wohnblöcken. Es kreuzen sich der Lebensraum von Frosch und Mensch. Das kann nicht gut gehen.

Beinahe ausgerottet 

Aus Froschperspektive ist der Weg zum Laichplatz voller Gefahren. Die Frösche kriechen am Beton der Büttenenhalde entlang. Die Mauern sind zu hoch, die Tiere fallen in die Schächte oder werden unter den Rädern zerquetscht. Für die Überquerung einer sieben Meter breiten Strasse braucht eine Erdkröte 15 Minuten. Und der grosse Parkplatz ist nur knapp 100 Meter vom Büttenenweiher entfernt. 

Ein Glück, gibt es auf diesem gefährlichen Weg Verbündete. Natuschützer wie René Bühler (39), sein Bruder Patrick (35) und ihr Vater Franz (71), die auf die Tiere acht geben und am Büttenenweiher und an der Kreuzbuchstrasse Schutzzäune aufgebaut haben. Sie investieren sehr viel Zeit, pro Person weit über 100 Stunden. Und sie kümmern sich, dass das naturgewollte Liebesspiel an diesen Zugstellen nicht in einem blutigen Massaker endet.

«Sie gehen dahin, wo sie als Jungtier aus dem Wasser gestiegen sind.»

Franz Bühler, Tierschützer

René und Vater Franz sammeln die Tiere ein und bringen sie über die Strasse zu den Laichplätzen. Ein paar Helfer aus dem Quartier sind heute auch dabei. «Ohne Schutz ist die Überlebenschance bei etwa fünf Prozent», sagt Franz Bühler. «In den letzten Jahrzehnten mussten viele Lebensräume dieser Amphibien, die sogar die Dinosaurier überlebt haben, weichen.» In der Schweiz, wie überall auf der Welt, wurden Sümpfe trocken gelegt, und der Verkehr und die Zersiedelung trieben die Amphibien an den Rand der Ausrottung, so Bühler. 

Aquarienfische fressen den Laich

Nun retten die Bühlers mit ihrer Aktion jedes Jahr ganze Populationen. Franz Bühler hält einen Kessel in der Hand, den er entlang der Auffangzäune als Falle aufgestellt hatte. Rund dreissig Erdkröten und Grasfrösche sind reingetappt. Sie quacken im Sekundentakt. «Die Tiere wissen von Natur aus, wo das Wasser ist. Sie wandern zum Ablaichen von ihrem Winterquartier zum Weiher, wo sie einst als Jungtier dem Wasser entstiegen sind.»

«Aquarienfische haben im Teich nichts zu suchen.»

Alle Amphibien werden gezählt und in den Teich entlassen. Die Statistik geht an den Kanton und wird   nachher zur Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz in der Schweiz (KARCH) weitergeleitet. Im Kanton Luzern helfen Freiwillige jährlich rund 17’000 bis 20’000 Amphibien bei ihren Frühlingswanderungen. Die Amphibien seien wichtig für das Gleichgewicht der Natur, sagt Franz Bühler. «Sie fressen Insekten, Spinnen und Nacktschnecken.» 

Ein Blick aufs Wasser: Dort lauert auf die Frösche ein weiterer Feind. Ausgesetzte Aquarienfische, die dem Menschen nicht mehr genehm waren und den Froschlaich fressen. «Die Leute haben ja keine Ahnung, was sie damit anrichten», sagt Bühler. Die Aquarienfische vermehren sich ohne natürliche Feinde oft rasant und können eine Population von Amphibien in wenigen Jahren stark dezimieren. «Es ist wichtig zu wissen, dass Fische in einem von Amphibien bewohnten Teich nichts zu suchen haben.»

Vor sechs Jahren haben sie, zusammen mit dem Eigentümer der Liegenschaften, den gesamten Büttenenweiher entleert und die fremden Fische entfernt. «Das hat tausende von Franken gekostet», sagt Bütler. Mittlerweile schwimmen allerdings schon wieder ein paar Goldfische herum. Umso wichtiger sei es, so Bütler, dass die Frösche zahlreich ins Wasser kämen. «Je mehr wir in Sicherheit bringen, desto wahrscheinlicher ist das Überleben der Frösche.»

Krasser Männerüberschuss

Bei den Erdkröten können es bis zu achtzig Prozent Männchen sein. So haben es besonders die Weibchen auf dem Weg zum Laichen nicht einfach. Die ungestümen Männchen lassen nicht von ihnen ab. Es bilden sich ganze Knäuel aus einem Weibchen und mehreren Männchen. «Das ist grundsätzlich ein gutes Zeichen für die Laichbereitschaft. Aber wir müssen dann das Weibchen, bis auf ein Männchen auf dem Rücken, befreien und sicher zum Weiher bringen», sagt Bühler.

Wer interessiert ist, freiwillig mitzuhelfen, kann sich beim Kanton melden. Die Abteilung Natur, Jagd und Fischerei der Dienstelle Landwirtschaft und Wald koordiniert die Aktionen und organisiert Schutzzaun-Material für Interessierte, die eine Zugstelle kennen, die über eine Strasse führt und die etwas für das Überleben einer Amphibien-Population tun wollen. 

Die Amphibienwanderung dauert noch bis etwa Mitte April. Bühler sei stets auf der Suche nach freiwilligen Helfern. Diese sollten aber bei jeder Witterung und jeweils schnell im Einsatz stehen können, wenn die nächtlichen Invasionen losgehen. «Für die Tiere muss es vorzugsweise nass sein und auch nicht zu kalt.» Dann fühlen sie sich am wohlsten. Der Mensch hingegen mag es ja bekanntlich eher trocken. 

Mehr Bilder finden Sie hier in unserer Slideshow:

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