Paraplegiker-Stiftung will in Nottwil einspringen

SBB sparen in Luzern die Billettverkäuferinnen weg

Das Bahnhofteam Nottwil: Marie-Theres Murer, Christine Bucher, Agnes Ottiger (v.l.n.r.) (Bild: zvg /Gemeinde Nottwil)

Spätestens 2020 ist Schluss mit dem Billettverkauf am Bahnhof Nottwil. Die drei privaten Billettverkäuferinnen sind den SBB zu teuer – sie wollen in Zukunft Apps und Schalter die Arbeit der drei Schalterfrauen machen lassen. Betroffen sind auch die Kunden der Paraplegiker-Stiftung – deshalb arbeitet die findige Gemeinde an einer Lösung.

Die Digitalisierung schlägt auch beim Ticketverkauf voll durch: Die Leute kaufen ihre Zugbilletts per Smartphone oder Automat, die Verkäufe an bedienten Schaltern verlieren an Bedeutung. Das spüren nun auch die letzten verbliebenen privaten Billettverkäufer an Schweizer Bahnhöfen. Die SBB kündet elf privaten Bahnhöfen per Ende 2017 einseitig die Zusammenarbeit. Hinzu kommen noch Verkaufsstellen, die in Poststellen oder Bahnhofshops integriert sind.

Einer davon ist der Bahnhof Nottwil, im Kanton gibt es ausserdem noch in Reiden und Rothenburg in Geschäften integrierte Billettverkaufsstellen. In Nottwil trifft es insbesondere auch die Schweizer Paraplegiker-Stiftung (SPZ). Die handicapierten Kunden im Rollstuhl können sich hier bis anhin individuell beraten lassen und direkt Tickets kaufen bei den drei Teilzeitmitarbeiterinnen des privaten Bahnhofs.

«Für viele wird es nicht einfach, einen Job zu finden.»

Vreni Züger, IG Stationshalter

Dieses System ist nun gefährdet. «Die Bundesbahnen SBB erhoffen sich rund 5 Millionen Franken einzusparen, indem die privaten Bahnschalter geschlossen werden», erklärt Vreni Züger, Aktuarin der IG Stationshalter und Bahnhofbetreiberin im thurgauischen Islikon. 30 Stellen sind schweizweit bedroht – viele davon Teilzeitmitarbeiterinnen um die 50. «Für viele wird es nicht einfach, einen Job zu finden», erklärt Züger. Sie erachtet die Abschaffung der privaten Bahnschalter als kontraproduktiv, gerade weil die Verkaufsstellen oft ausserhalb der grossen urbanen Zentren lägen: «Wenn wir keine Tickets mehr verkaufen und die Leute beraten, satteln die Leute aufs Auto um.»

Einen letzten Rettungsanker oder zumindest eine Gnadenfrist bietet ein Moratorium, das die Schliessungen bis 2020 verhindern soll. Der Nationalrat hat sich dafür ausgesprochen, am Dienstag steht die Debatte im Ständerat an. Sollte er sich gegen einen Marschhalt aussprechen, würde dies das unmittelbare Aus für den privaten Billettverkauf auf Ende 2017 bedeuten.

Der Bahnhof Nottwil steht vor einem grösseren Wandel.

Der Bahnhof Nottwil steht vor einem grösseren Wandel.

(Bild: zvg / Gemeinde Nottwil)

Jobsuche wäre nicht einfach

Verkäuferin Christine Bucher, die in Nottwil arbeitet, gibt zu bedenken: «Ich denke, die Leute sind noch nicht alle bereit für den Wechsel.» Den Entscheid der SBB könne sie nicht ganz nachvollziehen. «Doch wir können wenig machen. Da verspürt man doch eine gewisse Ohnmacht», so Bucher.

Sie und ihre beiden Mitarbeiterinnen Agnes Ottiger und Marie-Theres Murer teilen sich ungefähr ein 100-Prozent-Pensum. Falls die 43-jährige Bucher ihre Stelle verlieren würde, wäre dies nicht so schlimm: «Für mich öffnet sich schon ein Türchen.» Anders wäre dies möglicherweise bei ihren beiden älteren Kolleginnen: «Die sind nun im kritischen Alter um die 60.»

Inzwischen hat sich die Gemeinde Nottwil eingeschaltet. Sie betreibt gemeinsam mit den beiden anderen Partnern SPZ und dem Hotel Sempachersee den privaten Bahnhof: «Zusammen mit den SBB und dem SPZ planen wir ein Beratungscenter Handicap», sagt der Geschäftsführer von Nottwil, Marius Christ. In Zukunft sollen vom Bahnhof Nottwil aus körperlich Beeinträchtigte rund um den öffentlichen Verkehr beraten werden.

«Noch ist der Plan nicht unter Dach und Fach.»

Marius Christ, Geschäftsführer Gemeinde Nottwil

Teilweise haben diese ganz spezifische Probleme, beispielsweise was den Ein- und Ausstieg an bestimmten Haltestellen oder die Rollstuhlsituation betrifft. Gerade bei längeren Zugfahrten sei das wichtig, erklärt Christ. Zudem würde das Team weiterhin die Bevölkerung in der Umgebung rund um den öffentlichen Verkehr beraten, insbesondere bei der Handhabung des Billettschalters oder der Online-Plattformen der SBB.

Eröffnung ab 1. Januar 2018

«Noch ist der Plan nicht unter Dach und Fach. Doch die SBB unterstützen diese Lösung, weil in diesem Bereich zusätzliche Dienstleistungen angeboten werden sollten», meint Christ. Statt Billette zu verkaufen, würden die Verkäuferinnen in Zukunft also eine individuelle Reiseberatung für körperlich beeinträchtigte Menschen sowie die Einwohner von Nottwil und Umgebung anbieten. In Ergänzung zum SBB-Callcenter Handicap, das ausschliesslich telefonische Beratungen für Betroffene offeriert.

«Jammern hilft nicht, wir machen das Beste aus der Situation.»

Christine Bucher, Verkäuferin Bahnhof Nottwil

«Die Nottwiler, die SPZ-Kunden und -Mitarbeiter schätzen ihren Bahnschalter sehr. Das Beratungsangebot ist nur die zweitbeste Lösung», so Christ. Doch die Alternative rettet Arbeitsstellen, welche die drei Betreiber jetzt schon mit einem jährlichen Beitrag von 15’000 bis 40’000 Franken subventionieren, um das Defizit aus dem privat betriebenen Bahnhof zu decken. «Wir mussten schon immer einen Verlust ausgleichen. Die Beitragspauschale der SBB reichte in den über 20 Jahren, seit es den privaten Schalter gibt, nie aus.»

Sollte das Moratorium scheitern, würde das bestehende Team ab 1. Januar 2018 ein nationales Kompetenzzentrum. Unabhängig vom Entscheid in Bern blicken die drei Frauen nicht allzu trüb in die Zukunft: «Das Beratungscenter Handicap ist für Nottwil sicher eine Chance», findet Verkäuferin Bucher. Damit das Team ihre Aufgabe wahrnehmen kann, wird die SBB das Nottwiler Teams schulen: «Ich finde das eine positive Herausforderung», erklärt Bucher. «Jammern hilft nicht, wir machen das Beste aus der Situation.»

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