Jahresrückblick: Zuger Kantonsarzt im Interview

Rudolf Hauri: «Das Virus hat mich Respekt gelehrt»

(Bild: wia)

Die Pandemie hat den Zuger Kantonsarzt gewissermassen zum Promi gemacht, nicht zuletzt aufgrund seiner Rolle als Präsident der Schweizer Kantonsärzte. Dies, obwohl Rudolf Hauri lieber im Hintergrund arbeitet. zentralplus sprach mit dem 61-Jährigen über Lichtblicke, Horrorszenarien und seine Funktion als «Blitzableiter».

Es ist kein Jahr, auf das die meisten Menschen besonders gerne zurückblicken. Corona schwebte wie eine dicke, dunkle, hartnäckig klebrige Wolke über unseren Köpfen, vermieste uns Ferien, Feiern und die Hoffnung auf baldige Normalität. Danke, Omikron. Doch zurückschauen wollen wir trotzdem. Mit einem Mann, den Corona noch viel stärker beschäftigte als die Durchschnittsbürgerin.

Der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri ist dieser Tage als Präsident der Schweizer Kantonsärztinnen und -ärzte sehr häufig im medialen Rampenlicht. Obwohl er dieses gar nicht suche, wie er beim Interview in seinem Büro erzählt.

zentralplus: Herr Hauri, wie viele Überstunden haben Sie im letzten Jahr gemacht?

Rudolf Hauri: Ich zähle sie nicht, auch wenn sie bei uns im System erfasst werden. Aber es sind bestimmt ein paar hundert Stunden. Man muss dazu vielleicht auch sagen, dass ich auch dieses Jahr keine Ferien genommen habe.

zentralplus: Das haben Sie auch über Weihnachten nicht getan, wie Sie in einem Interview beim Schweizer Fernsehen «SRF» letzthin durchblicken liessen.

Hauri: Nein. Zwar haben wir im kleinen Rahmen als Familie gefeiert, doch mache ich keine Weihnachtsferien. Wie übrigens niemand bei uns. Meine Frau und unsere Kinder arbeiten in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ebenfalls.

«Es war gefühlsmässig ein buntes Jahr.»

Rudolf Hauri, Zuger Kantonsarzt

zentralplus: Wagen wir den Blick zurück auf dieses zweite von Corona geprägte Jahr. Wie würden Sie dieses zusammenfassen?

Hauri: Es war ein arbeitsintensives Jahr, das uns viel Flexibilität abverlangte. Gerade in Situationen, in denen wir dachten, wir wüssten, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln würden und bei denen dann doch plötzlich unbekannte Faktoren auftauchten. Es war ein Jahr voller Emotionen, besonders was die Massnahmen und Einschränkungen betrifft. Es war gefühlsmässig ein buntes Jahr, eines, das von der Frage geprägt war, wann dieser Ausnahmezustand, in dem wir uns alle befinden, aufhören wird. Auch auf den Berufsalltag bezogen.

zentralplus: Ich nehme an, es gibt bei Ihrem Amt für Gesundheit einiges, das aufgrund der Pandemie liegen geblieben ist.

Hauri: Diesbezüglich darf ich meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein ganz grosses Kränzchen winden. Sie arbeiten sehr selbständig und haben ihre Projekte selber weitergeführt. So werden wir etwa das Legislaturziel im Bereich der Suizidprävention erreichen. Auch wenn wir dafür Kompromisse eingehen mussten.

zentralplus: Aufgrund der hohen Fallzahlen ist das Contact Tracing derzeit sehr stark ausgelastet. Für Ihr Team dürfte diese Situation äusserst anstrengend sein.

Hauri: Ja, es ist streng, die Lage ist hin und wieder sehr belastend. Gerade wenn sich kurzfristig die Regeln ändern, klingelt das Telefon fast unaufhörlich. Das führt schon auch dazu, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre Grenzen stossen. Gleichzeitig hatten wir noch keinen einzigen gesundheitlichen Ausfall. Ich denke, das hat viel mit dem Teamgeist hier zu tun. Man macht sich gegenseitig Mut, unterstützt sich. Zudem hatten wir das Glück, dass wir das Personal in dieser Zeit massiv aufstocken durften. Die Zahl der Mitarbeiter ist dreimal höher als vor Corona.

«Strategisches Vorausplanen wäre sehr wichtig.»

zentralplus: Was sind die Lehren, die Sie aus den beiden Coronajahren gezogen haben?

Hauri: Wir haben gemerkt, dass wir in verhältnismässig kurz andauernden Ausnahmesituationen, auch im Katastrophenbereich, sehr gut aufgestellt sind und sehr schnell reagieren können. Handkehrum ist es deutlich schwieriger, auf lange Zeit hinaus zu planen und insbesondere zu handeln. Dabei ist genau dieses strategische Vorausplanen und eben auch Handeln sehr wichtig. Das gilt übrigens nicht nur in der Pandemiebewältigung, sondern auch in der Klima- oder der Verkehrsdiskussion.

zentralplus: Beschlüsse müssen, gerade in Situationen wie einer bedrohlichen Virus-Mutation, schnell gefällt werden. Damit steigt auch die Gefahr, dass man diese Beschlüsse später umstossen oder anpassen muss. Ist das nicht frustrierend?

Hauri: Nein, das ist nicht frustrierend, sondern gehört zur Situation dazu. Man muss bereit sein, Entscheide zu fällen, denn wir sind gezwungen, innerhalb der gesamten Dauer der Pandemie eben auch kurzfristig und auch mit einer schwachen Datenlage zu reagieren, respektive zu handeln. Dass man die Entscheide ändert, wenn man eine bessere Datenlage hat, halte ich eher für eine inspirierende Dynamik und ist Teil der Entwicklung.

«Eigentlich wollte ich schon abtreten, da kam die Pandemie.»

zentralplus: Apropos Datenlage: Wir haben vor dem Interview Daten über Sie gesammelt. Und zwar haben wir herausgefunden, dass in den fünf Jahren vor der Pandemie in 69 Medienartikeln Ihr Name genannt wurde. Danach, also in den letzten zwei Jahren, erschienen sage und schreibe 5'200 Artikel, in denen auch Sie zu Wort kamen oder zumindest thematisiert wurden. Dazu kommen unzählige TV- und Radio-Auftritte. Hand aufs Herz: Geniessen Sie dieses Exponiert-Sein?

Hauri: Nein, das gefällt mir nicht unbedingt und persönlich suche ich die Öffentlichkeit nicht. Doch kann ich damit umgehen und fühle mich dadurch auch nicht belastet. Es gehört zu meiner Aufgabe. Eigentlich bin ich eher eine Person, die im Hintergrund aktiv ist. Dazu kommt: Meine Rolle als Präsident der Kantonsärzte in dieser Situation ist eher dem Zufall geschuldet.

zentralplus: Wie kommt das?

Hauri: Die Person, die 2017 eigentlich zur Wahl stand, konnte den Posten kurzfristig nicht antreten, da sprang ich als langjähriges Vorstandsmitglied – gemeint war interimistisch – ein. Eigentlich wollte ich schon abtreten, da kam die Pandemie und es wäre nicht sehr charmant gewesen, das Amt in dieser Zeit abzugeben.

Ein mittlerweile vertrautes Bild: Rudolf Hauri an einer Medienkonferenz des BAG.

zentralplus: Sie sind in Ihrer Rolle als Kantonsarzt-Präsident sehr häufig bei den Medienkonferenzen des Bundes zu sehen. Während gerade Bundesrat Alain Berset äusserst viel Kritik einstecken muss, scheint es um Ihre Person sehr ruhig zu sein. Wenn, dann hört man eher lobende Worte. Sind Sie in einer komfortablen Position?

Hauri: Er schielt verstohlen in seinen Computerbildschirm, der schräg vor ihm steht. Im Gegenteil, ich werde sehr häufig kritisiert, wie gerade eben per Mail. Doch lassen die meisten Kritiker gut und auch konstruktiv mit sich diskutieren. Mir ist zudem bewusst, dass ich in vielen Fällen als Blitzableiter diene, ohne dass die Kritik direkt auf mich abzielt. Im Gegenzug erhalte ich auch sehr viele zustimmende und schöne Worte und Gesten.

zentralplus: Sie sagen das sehr entspannt. Sind Sie es wirklich?

Hauri: Ich bin überhaupt kein gefühlsloser Mensch. Doch gelingt es mir ziemlich gut, Person und Funktion klar zu trennen. Das war ja schon damals sehr wichtig, als ich in der Gerichtsmedizin tätig war. Da wurde man ja immer von der einen oder anderen Seite angegriffen.

zentralplus: In einem Interview bei zentralplus sagten Sie anfangs der Pandemie, dass Sie zwei bis vier Stunden schlafen pro Nacht. Ist das noch immer so?

Hauri: Nein, mittlerweile sind es vier bis sechs Stunden. Das ist recht gut. Solange ich bis um 7 Uhr schlafen kann, kommt es nicht so darauf an, wie viele Stunden es effektiv waren.

zentralplus: Was machen Sie sonst, um im Gleichgewicht zu bleiben?

Hauri: Ich kann sehr gut abschalten. Wenn ich etwas mit meiner Familie unternehme, ist mir egal, wie oft das Telefon läutet. Dazu kommt: Ich wusste seit dem Kindergarten, dass ich Arzt werden würde. Das klingt nun vielleicht altbacken, doch ist die Tätigkeit, die ich ausübe, tatsächlich mehr als ein Job, sondern viel eher eine Berufung. Entsprechend ist meine Arbeit keine Last im eigentlichen Sinn. Vielmehr habe ich im Moment eine berufliche Gelegenheit, die ich sonst nie hätte.

«Wir werden mit dem Virus umzugehen lernen, ohne es völlig zu eliminieren.»

zentralplus: Sie sagten einmal, dass Sie sich vorstellen können, dass das Sars-Cov2-Virus dereinst in unserer Gesellschaft existieren wird, ohne dass es unseren Alltag bestimmt. Quasi wie heute die gewöhnliche Grippe. Glauben Sie noch immer daran?

Hauri: Ja, dabei bleibe ich. Es wird mit Sicherheit ein Ende des Ausnahmezustandes geben. Wir werden mit dem Virus umzugehen lernen, ohne es völlig zu eliminieren. So wie es bei praktisch allen Krankheitserregern der Fall ist. Es wird aufgrund von Corona keine Apokalypse geben, denn dafür bräuchte es eine Mutation, die zum einen hochgefährlich und zum anderen viel ansteckender wäre als die heutigen Varianten. Das schlimmste Szenario wäre theoretisch ein ganz anderes.

zentralplus: Und zwar?

Hauri: Dass sich ein sehr einfach übertragbares und hochansteckendes Virus so verändert, dass es zwar nicht tödlich sein wird und kaum zu symptomatischen Erkrankungen führt, aber schnell steril macht, was wiederum die Weltbevölkerung innert verhältnismässig kurzer Zeit praktisch aussterben lassen würde.

«Das Virus hat mich Respekt gelehrt.»

zentralplus: Dieses Szenario ist weit weg. Darum zurück ins Jetzt: Was ist derzeit Ihre grösste Sorge?

Hauri: Wovor ich aktuell Respekt habe, ist die derzeit sehr starre, emotionale Diskussion gewisser Themenaspekte in der Pandemie. Das ist insofern nachvollziehbar, als die Menschen stark davon ausgingen, dass diese in absehbarer Zeit vorbei ist. Jedenfalls, bis Omikron kam. Psychologisch gesehen ist die Ungewissheit eine der Hauptbelastungen. Auch wenn ich nach wie vor zuversichtlich bin, dass wir im Frühling 2022 die Hauptlast überstanden haben. Das sage ich mit dem Risiko, dass man mich zu einem späteren Zeitpunkt dafür Lügen straft.

«Wir haben das Gefühl, hochentwickelt zu sein, dennoch sind wir gewissermassen hilflos.»

zentralplus: Was hat Sie dieses Virus gelehrt?

Hauri: Zum einen sind da die wissenschaftlichen Aspekte. Es ist faszinierend, wie schnell dieses Virus aufgetaucht ist und sich global verbreiten konnte und wie stark dieses unsere Gesellschaft sowie den menschlichen Körper seither beschäftigt. Zum anderen hat es mich Respekt gelehrt. Davor, dass nicht alles berechenbar und komplett steuerbar ist. Wir haben das Gefühl, hochentwickelt zu sein, dennoch sind wir gewissermassen hilflos. Das löst bei mir eine gewisse Demut aus sowie das Bedürfnis, positive Erlebnisse bewusster zu schätzen.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von igarulo
    igarulo, 28.12.2021, 18:07 Uhr

    «Es war gefühlsmässig ein buntes Jahr.» Sagt Rudolf Hauri. Ziemlich an der Oberfläche der Präsident. Von Pandemiebekämpfung keine Spur. Verständlich. Denn aus Zug kommen meist nur Stimmen der Oberfläche. Sei es aus der Politik oder aus der angeschleimten Verwaltung. Man klebt an den Briefkästen, dem Bitcoin oder an den tiefen Steuern. Vielleicht noch, wenn»s gut kommt am SUV. Aber sicher am Geld. Das Soziale ist für: Nein danke.

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