Zu Besuch an der Güterstrasse 7

Rösslimatt in Luzern: So wohnt es sich inmitten der Baustelle

Könntest du dir vorstellen, praktisch auf einer Baustelle zu wohnen? Dies ist für die Menschen an der Güterstrasse 7 in Luzern Realität. Sie leben mitten auf dem Rösslimatt-Areal, auf dem ein neues Stadtquartier entsteht. zentralplus wollte wissen, wie das Leben auf der «Baustellen-Insel» aussieht.

Beim Spaziergang zum Haus an der Güterstrasse 7 wird viel Baustellenromantik geboten. Grosse Bagger drehen an diesem nebligen Tag ihre Runden, ein LKW wird gerade abgeladen, der Kies knistert unter den Sohlen bei manchem Schritt. Rund 100 Meter vor dem Haus denken wohl die wenigsten an die Begriffe «Traumhaus» oder «Traumlage».

Rund um das Haus wird gebaut, es wird mit der grossen Kelle angerichtet auf dem Areal Rösslimatt. Die SBB investieren 99 Millionen Franken auf der Baustelle, die einer Fläche von fünfeinhalb Fussballfeldern entspricht. Auf dem Areal hinter dem Bahnhof entsteht in den nächsten Jahren ein komplett neues Stadtquartier mitsamt dem neuen Standort der Hochschule Luzern (zentralplus berichtete). Auch der Weg ins Gebiet Rösslimatt neu gestaltet (zentralplus berichtete).

Alles wird neu? Nein! Etwas ist im Jahr 1905 gekommen, um zu bleiben. Es ist das Haus an der Güterstrasse 7. Es ist im Bauinventar der Stadt Luzern als erhaltenswertes Objekt eingetragen. Gewürdigt wird die «repräsentative, historistische Fassadengestaltung, die weitgehend im bauzeitlichen Zustand erhalten ist».

Das Haus an der Güterstrasse 7 hat Geschichte und ist erhaltenswert.
Das Haus an der Güterstrasse 7 hat Geschichte und ist erhaltenswert. (Bild: PLu)

Weiter zeigt ein Blick in die Geschichte, dass dieses Haus auch von der Kaffee-Rösterei Karl Bühler genutzt wurde. Es ist das letzte Element der kleingewerblichen Siedlung, die um 1900 westlich des Bahnhofs entstanden ist.

In der Neuzeit hat das Haus auch «Besetzungserfahrungen» gemacht. Die Aktivistengruppe Rosa Lavache sorgt mehrfach für Aufsehen (zentralplus berichtete).

Das Haus wird zu einer «Baustellen-Insel» – wer wohnt dort?

Nun wird die Geschichte der Güterstrasse 7 weitergeschrieben. Das Gebäude bleibt auch inmitten des neuen Quartiers erhalten. Rund um das Haus haben sich Schotterdünen gebildet. Die grossen Baumaschinen sind auf Platz und lassen die alte Dame zittern.

Wer tut sich dies an und wohnt in solch einem alten Gebäude auf einer Baustelle? Diese Frage stellt sich, als wir näher an das Haus kommen. Wir klingeln bei Raphael Keiser. Er begrüsst uns freundlich: «Willkommen an der Güterstrasse 7!»

Schon beim ersten Schritt in die Wohnung öffnet sich eine schöne Welt. Die Holzböden sind frisch saniert, die Küche neu, die Stuckaturen im Esszimmer ziehen die Blicke auf sich. «Der Kronleuchter ist noch zu weit oben, der muss noch weiter runter», sagt Keiser. Er schwärmt richtig von der Wohnung, in der er mit seiner Freundin lebt.

Der Balkon beim Esszimmer bietet einen Blick in Richtung Bahnhof. Es ist an dem Tag auf dieser Hausseite sehr ruhig. Fast kommt der Wunsch auf, auch an der Güterstrasse einzuziehen.

Raphael Keiser. Er ist einer der Bewohner im Haus an der Güterstrasse 7
Raphael Keiser. Er ist einer der Bewohner im Haus an der Güterstrasse 7. (Bild: PLU)

Der Balkon auf der südöstlichen Seite bietet bei unserem Besuch Baustellenlärm. Spezialisten rammen Pfähle in den Boden in der Rösslimatt. «Hier entsteht ein Schutzgerüst für den Bau», erklärt uns Raphael Keiser. Er muss es wissen, denn er arbeitet als Bauingenieur. Im Homeoffice, kann er sozusagen seine Arbeit durch das Fenster sehen.

Sein Fachwissen ist auch bei den anderen Bewohnerinnen gefragt. Wenn die Baumaschinen das Haus besonders stark erzittern lassen, wird via Whatsapp gefragt, ob dies noch alles in der Norm sei. Bis jetzt kann Keiser immer schreiben: «Die machen das gut, wir können uns in unserem schönen Haus sicher fühlen.»

Eine Führung durch die Wohnung siehst du im Video oben.

Velokurier mit kreativen Anfahrtswegen

Wir verlassen das Zuhause von Raphael Keiser und gehen an den Arbeitsplatz von Daniel Wipfli. Im Erdgeschoss sind die Büroräumlichkeiten der Velokurier Luzern Zug AG. Wipfli schwärmt vor allen von der Bodennähe der Büros in der Rösslimatt. «Vorher hatten wir die Büros im sechsten Stockwerk, jetzt sind wir im EG.» Dass dies für Velokuriere besser ist, erscheint logisch.

Den Platz rund um die Güterstrasse 7 bezeichnet Wipfli als sehr schön. «Trotz Baustelle stehen wir hier ziemlich offen auf einer grossen Fläche.»

Die Zufahrtsstrecke ändert immer wieder für die Kuriere. Im Moment hat es einen guten, kleinen Anfahrtsweg, der bei unserem Besuch auch genutzt wird. Je nach Bauphase mussten die Velos allerdings auch schon rund um das Rösslimatt-Quartier flitzen, um an das Haus zu kommen.

Eingemietet ist auch Velokurier Luzern Zug AG. Hier sehen wir den Chef Daniel Wipfli
Eingemietet ist auch Velokurier Luzern Zug AG mit ihrem Chef Daniel Wipfli. (Bild: PLU)

«Wir sind flexibel, wie auch sonst auf der Strasse», meint Wipfli. Über Weihnachten und Neujahr war es auf der Baustelle ruhig. Da konnten sich die Leute an einen Weg gewöhnen, der auch über die Zeit so geblieben ist. Die Profis der Strasse passen sich mit ihrem Velo an. Der Charme des Rösslimatt-Hauses aus dem Jahr 1905 scheint auch das Team im EG gepackt zu haben.

Verwendete Quellen
  • Gespräch vor Ort mit Raphael Keiser
  • Gespräch vor Ort mit Daniel Wipfli, Chef Velokurier
  • Denkmalverzeichnis und Bauinventar Luzern
  • Homepage Projekt Rösslimatt
  • Homepage von Blesshess
  • Frühere Artikel zentralplus
  • Bericht von SRF Regionaljournal Zentralschweiz
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Alle Jahre wieder
    Alle Jahre wieder, 16.01.2022, 17:00 Uhr

    Bei der Busfahrt über die Langensandbrücke fällt mein Blick auf dieses Haus und es erinnert mich an die Zeichnungen in der Bildermappe «Alle Jahre wieder saust der Presslufthammer nieder oder Die Veränderung der Landschaft» von Jörg Müller, 1973 beim Verlag Sauerländer in Aarau erschienen. Diese Bildermappe ist aktueller denn je.

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