«Dantons Tod» im Luzerner Theater

Revolution in einem angeblich maroden Haus

Andreas Herrmann bricht zu neuen Ufern auf – wie auch das Luzerner Theater. (Bild: zvg)

Mit «Dantons Tod» bringt Regisseur Andreas Herrmann seine zweitletzte Produktion ins Luzerner Theater. Dabei geniesst er den Luxus der Möglichkeiten. Trotz eines Projekts, das über allem schwebt und immer mehr infrage stellt.

«Die Welt ist das Chaos», schrieb Büchner in diesem Drama vor fast 200 Jahren.

Terror, Flucht, Asyl, Revolution, Menschenrechte. Diese Themen und Begriffe verbinden die Französische Revolution, Büchners eigene Geschichte, aber auch unsere Gegenwart. Und das alles verbindet Andreas Herrmann in seiner Inszenierung von «Dantons Tod».

Der Zürcher Regisseur und Schauspieler Andreas Herrmann übernahm 2007 die Leitung der Schauspielsparte am Luzerner Theater. Im kommenden Sommer wird er diese an seine Nachfolgerin Regula Schröter weitergeben. Herrmann fand über Zürich, Bern, Mainz und Sachsen-Anhalt nach Luzern. Zuletzt inszenierte er «The Black Rider», «Die Affäre Rue de Lourcine», die von Kritikern gefeierte Produktion «Die lächerliche Finsternis» als Schweizer Erstaufführung und «Hamlet».

Nun steht die Premiere der zweitletzten Produktion für Herrmann am Luzerner Theater bevor.

zentral+: «Dantons Tod» ist ein ganz schöner Brocken und sicher kein leicht bekömmlicher Stoff – weshalb haben Sie sich für dieses Stück entschieden?

Andreas Herrmann: Das eine ist, dass ich die Stücke von Georg Büchner allgemein sehr gerne mag. Wir haben bereits «Woyzeck» und «Leonce und Lena» auf die Bühne gebracht. Bei «Dantons Tod» habe ich aber doch eine Weile gezögert. Man schiebt ihn oft in die Reihe der Historienschinken. Doch er kann viel mehr. Ich war schliesslich der Überzeugung, dass nicht die Historie das zentrale Thema ist – trotz all der historischen Figuren und Zitate –, sondern dass es vielmehr um eine grundsätzliche Auseinandersetzung geht – und darin wurde ich bei der Arbeit immer mehr bestätigt.

«Es stellt sich die Frage, ob revolutionäre Veränderungen möglich sind.»

zentral+: Eine grundsätzliche Auseinandersetzung auf welcher Ebene?

Herrmann: Sind gesellschaftliche Veränderungen zum Besseren überhaupt möglich? Können wir noch an den Erfolg von Revolutionen glauben? Damit holt man die Thematik sehr nahe an sich heran. Wir bewegen uns ja nicht in einem revolutionären Umfeld. Aber das Gefühl ist da, dass wir in einer Welt leben, in welcher wirkliche Veränderung gar nicht mehr möglich ist. Man glaubt, nirgends ansetzen zu können, der Neoliberalismus erscheint uns unveränderbar. 

«Dantons Tod» zeigt die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Veränderung und die Sehnsucht danach – und gleichzeitig die riesigen Zweifel daran, ob es überhaupt möglich ist. Das Stück zeigt diese extreme Zerrissenheit. Georg Büchner setzt sich – und damit auch uns – diesem grossen Widerspruch aus. Können wir noch von einer besseren Zukunft träumen – oder haben wir schon längst akzeptiert, dass unsere Welt von komplexen und unüberwindlichen Mächten und Strukturen gelenkt wird?

zentral+: Die Geschichte geht weiter, diese Grundsatzfrage bleibt?

Herrmann: Es geht nicht darum, ob sich die Geschichte wiederholt, aber es stellt sich die Frage, ob wir aus der Geschichte lernen können, ob revolutionäre Veränderungen möglich sind, oder ob das Ganze nicht vielleicht doch viel chaotischer ist: Ein Auf und Ab von guten und schlechten Zeiten. Von Büchner kriegen wir darauf keine Antwort. Im Stück endet alles im Tod und im Scheitern – auch die Revolution.

(Bild: Toni Suter / T+T Fotografie)

(Bild: Toni Suter / T+T Fotografie)

zentral+: «Dantons Tod» ist Ihre zweitletzte Produktion am Luzerner Theater. Wie fühlt sich das an?

Herrmann: Ich bin sehr zufrieden. Die Stimmung ist toll. Ich geniesse den Luxus unserer Arbeitsmöglichkeiten: Was wir alles dürfen und können. Grade jetzt, wo das Ende in Sichtweite kommt, schätzt man vieles ganz anders und bewusster.

«Das Wort ‹marode› hat sich in den Diskurs über das Luzerner Theater reingeschmuggelt.»

zentral+: Seit 2007 sind Sie am Luzerner Theater. Was werden Sie von der Zeit hier mitnehmen?

Herrmann: Vieles! Ich nehme aber vor allem mit, dass es sich lohnt, immer auf dem Weg zu sein – nie anzukommen, immer wieder alles durchzuschütteln und Neues auszuprobieren.

«Dantons Tod»

Paris, 1794, Revolution. Unversöhnlich stehen sich drei ehemalige Gefährten gegenüber: der Moralist Robespierre, der fanatische St. Just und der kompromissbereite Danton. Denn er, der Held der Revolution, ist der Kämpfe überdrüssig und sucht den Rausch des Augenblicks. Doch am Ende steht für alle nur die Guillotine.

Büchner schrieb «Dantons Tod» kurz vor seiner Flucht ins französische Exil von Anfang 1835. Es ist das einzige von Büchners Dramen, das noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde – wenn auch stark zensiert. Die Uraufführung fand jedoch erst 1902 in Berlin statt. Es galt lange als unspielbar.

Das Drama ist dem Vormärz zuzuschreiben. Dessen Vertreter kämpften gegen Konvention, Feudalismus, traten ein für die Freiheit des Wortes, für die Emanzipation des Individuums, auch der Frauen und der Juden, und für eine demokratische Verfassung.

zentral+: Was waren die grössten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit am Haus?

Herrmann: Über die ganz Zeit hinweg hing das Thema der Salle Modulable über uns. Das war nicht nur einfach, denn das Haus wurde damit immer wieder infrage gestellt. Auf eine Art war das positiv – denn dadurch waren wir immer wieder im Fokus. Aber mehr und mehr wurde der Zustand des jetzigen Gebäudes Thema. Das Wort «marode» hat sich in den Diskurs über das Luzerner Theater reingeschmuggelt. Das Haus sei überholt und marode. Und es ist gefährlich, dass man in diesem Diskurs nicht den Inhalt und das Gebäude vermischt. Denn das ist ungerecht. Was wir machten und machen, ist nicht marode. Man kann wunderbares Theater in diesem Haus machen. Man kann auch hier drin zu neuen Ufern aufbrechen.

zentral+: Apropos «Neue Ufer» – wohin geht es mit Ihnen nach der Zeit am Luzerner Theater?

Herrmann: Das kann ich noch nicht sagen.

zentral+: Aber werden Sie dem Haus verbunden bleiben?

Herrmann: Nun. Die Zeit am Luzerner Theater ist dann vorbei. Wenn man geht, dann sollte man wirklich abschliessen und etwas Neuem Platz machen. Neuen Menschen mit eigenen Ideen und Wegen.

zentral+: Was wünschen Sie dem Luzerner Theater?

Herrmann: Ich freue mich und bin sehr gespannt darauf, was hier weiterlaufen wird. Ich hoffe, dass die gute Arbeitsstimmung am Haus erhalten bleibt. Alle Abteilungen arbeiten grossartig auf professioneller und menschlicher Ebene. Ich wünsche dem Haus, dass das so bleibt. Auch mit neuen Leuten, neuen Wegen und vielleicht auch in einer neuen Hülle.

Am Luzerner Theater inszeniert Andreas Herrmann seine zweitletzte Produktion – ein Stück Revolution.

Am Luzerner Theater inszeniert Andreas Herrmann seine zweitletzte Produktion – ein Stück Revolution.

(Bild: Toni Suter / T+T Fotografie)

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