Zuger Denkmalpflege geht über die Bücher

Rettung in letzter Minute – oder auch nicht

Die abgerissene alte Lokremise in Zug. (Bild: Carlo Schuler)

Rettung bloss per Zufall: Viele bauliche Perlen im Kanton Zug fanden ein unrühmliches Ende. Weil die Denkmalpflege auf einen Wink aus der Bevölkerung angewiesen war. Das soll sich nun ändern.

Keine Frage: Da hatte sich Zug einer Perle entledigt. Das herrschaftliche Haus Oberer Roost im Süden der Stadt Zug war Bijou und Blickfang in einem. Vom bemerkenswerten Gewölbekeller im Erdgeschoss aus bot sich ein Blick über den nahen Zugersee, der wohl seinesgleichen suchte. Eine schöne Inschrift am Kellerportal belegte, dass der Kernbau des Hauses aus dem Jahr 1591 stammte.
Wesentliche Teile der Ausstattung wie Täfer, Parkett und Kachelöfen stammten wohl aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Erbauer und erster Besitzer des Hauses war der Leutnant Hans Brandenberg, der von 1612 bis 1623 als Zuger Stadtschreiber wirkte.

Im Jahre 2010 dann das unrühmliche Ende. Das Gebäude wurde samt der im Jahre 1755 erstellten Scheune und der reizvollen Gartenanlage dem Erdboden gleichgemacht. Das Ensemble war weder im Inventar der geschützten Bauten noch in jenem der schützenswerten Bauten verzeichnet gewesen.

Geschützte und schützenswerte Bauten

In der Denkmalpflege kennt man grundsätzlich zwei Typen von Inventaren. Objekte, die eigentürmer-verbindlich geschützt sind, figurieren auf der Liste der «geschützten Denkmäler».

Objekte, deren Schutz erwogen wird, werden im Inventar der «schützenswerten Denkmäler» erfasst. Ob ein schützenswertes Denkmal in das Verzeichnis der geschützten Denkmäler aufgenommen wird, entscheidet sich in der Regel im Zusammenhang mit aktuellen Bauvorhaben.

Indiz dafür, dass es sich beim Oberen Roost um einen wichtigen Zeitzeugen handelte, ist die Tatsache, dass das Haus kurz vor dem Abbruch noch während Wochen bauhistorisch untersucht wurde. Pikant: Das Haus gehörte der Stadt Zug. Aufgrund des kantonalen Denkmalgesetzes hätte es die Stadt in der Hand gehabt, einen Antrag auf Unterschutzstellung zu stellen und das Haus so zu retten. Dies unterblieb damals.

Es gibt im Kanton Zug weitere Fälle, bei denen Gebäude ebenfalls nicht auf der Liste der schützenswerten Bauten verzeichnet waren, obwohl sie dort wohl Eingang hätten finden müssen. Das im Jahre 2009 abgebrochene, industriegeschichtlich interessante Lokdepot im Norden des Zuger Bahnhofs etwa war nicht vermerkt.

Das Inventar wurde lange vernachlässigt

Ebenfalls durch das Raster fiel das Haus Artherstrasse 128 in Oberwil, ein Blockbau, der aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammte. Er wurde 2003 abgerissen. Als weiteres Beispiel kann das Restaurant Rosenberg in Zug aufgeführt werden.

Über die Frage, wie viele schutzwürdige Bauten im Kanton noch in der jüngeren Vergangenheit verschwanden, weil auch sie nicht im Inventar der schützenswerten Bauten aufgeführt waren, lässt sich höchstens mutmassen.

«Es hing in der Folge weitgehend vom Zufall ab, ob die Denkmalpflege in ihrer täglichen Arbeit auf Objekte aufmerksam wurde.»

Franziska Kaiser, kantonale Denkmalpflegerin

Patrick Schoeck, Leiter Baukultur beim schweizerischen Heimatschutz, verweist auf die grundlegende Bedeutung der Inventare. So habe im benachbarten Kanton Schwyz ein unvollständiges Inventar dazu geführt, dass der Schwyzer Regierungsrat – wider besseres Wissen – vor nicht allzu langer Zeit das wohl am besten erhaltene Ensemble von mittelalterlichen Holzhäusern aus dem 14. und 15. Jahrhundert dem Abriss preisgeben musste.

«Dies alles nur kurz vor den Feierlichkeiten zur Schlacht bei Morgarten, welche nun ja so heiss diskutiert wird», sagt Schoeck. «Wären diese 700-jährigen Holzhäuser zumindest in der B-Kategorie aufgeführt gewesen, hätte der Kanton Schwyz handeln können, wie er hätte handeln müssen.»

Tatsache ist, dass das Inventar der schützenswerten Bauten im Kanton Zug lange Zeit vernachlässigt wurde. Seit der Inkraftsetzung des neuen Zuger Denkmalgesetzes im Jahre 1991 erfolgte über einen grossen Zeitraum keine periodische Aktualisierung des Inventars mehr. «Es hing in der Folge weitgehend vom Zufall ab, ob die Denkmalpflege in ihrer täglichen Arbeit auf Objekte aufmerksam wurde oder aufmerksam gemacht wurde», erklärt die kantonale Denkmalpflegerin Franziska Kaiser.

Die abgerissene alte Lokremise in Zug.

Die abgerissene alte Lokremise in Zug.

(Bild: Carlo Schuler)

Gelegentliche Rettungen «in letzter Minute»

Gerade weil keine systematische Erfassung erfolgte, wisse man laut Kaiser in vielen Fällen nicht, ob ein bestimmtes abgebrochenes Objekt historisch wertvolle Substanz gehabt hätte. Es habe in der Vergangenheit zwar Fälle gegeben, wo ein Objekt sozusagen «in letzter Minute» noch gerettet werden konnte. «Wegen des fehlenden Inventareintrages kam die Denkmalpflege aber oftmals viel zu spät in den Prozess, was für alle Beteiligten sehr unbefriedigend war», so Kaiser weiter.

Gemäss ihr gehe man davon aus, dass in der Schweiz bei Inventarobjekten, also bei den «schützenswerten Bauten», in der Regel etwa fünf bis zehn Prozent des gesamten Gebäudebestandes geschützt seien. Teilweise auch mehr. «Mit fünf Prozent liegt Zug hier deutlich unter dem gebräuchlichen Wert. Das liegt daran, dass seit der ersten Festsetzung im Jahre 1990 das Inventar nie umfassend revidiert worden ist.»

Aktualisiertes Inventar verbessert Rechtssicherheit

In seinem Bericht zu den Motionen der Kantonsräte Thiemo Hächler (CVP), Daniel Abt (FDP) und Manuel Brandenberg (SVP) betont der Zuger Regierungsrat denn auch, dass die Unvollständigkeit des bestehenden Inventars in der Vergangenheit der Rechtssicherheit abträglich war. Er schlägt vor, im Denkmalgesetz festzuhalten, dass das Inventar periodisch zu aktualisieren sei.

«Ein aktuelles Inventar schafft Klarheit und verbessert die Rechtssicherheit. Ein fachlich fundiertes Inventar beschleunigt die Abklärung der Schutzwürdigkeit und trägt dazu bei, Kosten zu sparen», erklärt Franziska Kaiser. Mit der Bestandesaufnahme entstehe zudem eine Gesamtübersicht über die historisch wertvollsten Bauten im Kanton. Im Moment ist vorgesehen, dass die seit dem Jahre 2012 laufende Revision des Inventars bis im Jahr 2018 fertig erstellt ist. Am kommenden Donnerstag berät der Kantonsrat über die beiden Denkmalpflege-Motionen.

Freiwilligkeit wohl kaum bundesrechtskonform

Die Motionäre fordern zudem, dass die Denkmalpflege im Kanton Zug auf freiwilliger Basis zu erfolgen habe (zentral+ berichtete). Nebst der Zuger Regierung hat auch das Bundesamt für Kultur die Frage der Bundesrechtskonformität prüfen lassen. Mittlerweile liegen die entsprechenden Erkenntnisse vor.

Gemäss Auskunft von Nina Mekacher geht das Bundesamt für Kultur davon aus, dass eine derartige kantonale Regelung höchstwahrscheinlich nicht rechtskonform wäre, weil sie sowohl gegen internationale Verpflichtungen als auch gegen Bundesrecht verstossen würde. Alain Griffel, Professor für öffentliches Recht an der Universität Zürich, weist zudem auf das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) hin. Dieses hat seine Grundlage im eidgenössischen Natur- und Heimatschutzgesetz.
Wenn ein Ortsbild ins ISOS aufgenommen werde, seien die Kantone verpflichtet, den Schutz dieser Objekte mit entsprechenden Massnahmen auch umzusetzen. «Eine Umsetzung ausschliesslich auf freiwilliger Basis würde den bundesrechtlichen Anforderungen nicht genügen, weswegen eine entsprechende Regelung diesbezüglich nicht bundesrechtskonform wäre.»

 

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Josef Manser
    Josef Manser, 03.06.2015, 18:10 Uhr

    Fundierter, lobenswerter Artikel, der auf eine sehr bedauerliche Entwicklung hinweist. Vielerorts fehlt schlicht der politische Wille, Inventare zu erstellen geschweige sie zu aktualisieren und umzusetzen – weil das Verständnis für kulturelles Erbe fehlt. Es wird sträflich verpasst, in den Schulen oder privat dieses zu wecken! Wie soll man auch, wenn man Geschichte als Fach lieber abschaffen würde und oberflächliches Vergnügen und der schnelle Mammon locken!

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  • Profilfoto von franz
    franz, 02.06.2015, 11:07 Uhr

    Schade, eine verlorene Erinnerung

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  • Profilfoto von A. Egger
    A. Egger, 30.05.2015, 20:28 Uhr

    Interessanter und lesenswerter Artikel!

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