Erwin Koch im Luzerner Theater

Reportagen als Märchenstunde: Zu Tode gespart in Luzern

Verrückt und verliebt: Das Paar Josef (Maximilian Reichert) und Doris (Wiebke Kayser).

(Bild: zvg / Luzerner Theater, Ingo Hoehn)

In «Die schwarze Null» setzt das Luzerner Theater zum ersten Mal Reportagen des Hitzkircher Journalisten Erwin Koch um. Dem Ensemble gelingt dabei eine sehr gefühlvolle und lebendige Inszenierung der sechs wahren Geschichten über Liebe und Tod. Die verbindenden Fäden der einzelnen Reportagen vermag das Stück aber nicht genügend zu spinnen.

Sanfte Klaviermusik erklingt. Von einer Fasnachtsmaske verhüllt tritt Adrian Furrer auf die Bühne, legt die Maske auf einen hohen Holzständer ab und fängt an zu erzählen: «Kalt war die Welt und nass, als ich heute Nacht Schötz erreichte». Das Publikum, für einmal nicht im Zuschauerraum sitzend, sondern kreisförmig auf der Bühne angeordnet, horcht gespannt mit.

Hoch über der Mitte der Bühne dreht ein farbiges Bänderkarussell. Die Stimmung hat etwas von einer Märchenstunde. Dass die nun folgenden Geschichten aber nicht dem Geist eines fantasievollen Dichters entstanden, sondern aus der scheinbar kalten und nüchternen Realität stammen sollen, lässt einen wahrlich staunen.

«Nichts ist verblüffender, als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit.»

Egon Erwin Kisch, Vorbild von Erwin Koch

Der Stil Kochs erinnert an die Autoren der Neuen Sachlichkeit: mit seiner detailgetreuen, stark an den Tatsachen orientierten Schreibweise, dazu beweist er viel Gespür für das Menschliche (zentralplus berichtete). Ganz im Stile Egon Erwin Kischs, der im Vorwort zu seinem Werk «Der rasende Reporter» schrieb: «Nichts ist verblüffender, als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist phantasievoller als die Sachlichkeit.»

Verwobene Geschichten …

Verblüffend und unglaublich sind auch die sechs Geschichten, die unter der Regie von Ivna Žic inszeniert werden. Da ist einmal der Robin Hood aus Schötz, der sich ungeniert bei Bank- und Versicherungsgeldern bedient und diese grossherzig verteilt; dann die fatale Dreiecksbeziehung von Albert, Laura und Oskar sowie die romantisch, verrückte Liebesbeziehung zwischen dem entlassenen Bähnler Josef und der übergewichtigen Doris.

Auch ein sich zu Tode sparender Luzerner, die letzte Winterwartin des Pilatus und der elfjährige Rico, der unverhofft von der Brücke springt und sich das Leben nimmt, werden vom Dreiergespann Adrian Furrer, Wiebke Kayser und Maximilien Reichert auf vielfältige Art und Weise gespielt.

… leider kein Ganzes

Die grosse Herausforderung, diese sechs Geschichten zu einem zusammenhängenden Ganzen zu verweben, ist dem Team leider nur teilweise gelungen. Paradigmatisch für den Zentralschweizer Ursprung der Geschichten steht zwar das fasnächtliche Setting.

Auch gibt es sich wiederholende Requisiten, so zum Beispiel die Cola-Dose. Die in Anlehnung an Gotthelf weitergesponnene Frage nach der moralischen Handlungsfähigkeit eines verzweifelten Menschen hätte in den einzelnen Geschichten aber stärker zum Ausdruck gebracht werden können.

Mit Rhythmus und Raumgefühl

Manchmal wird erzählt, manchmal gesungen, manchmal gespielt, und so fliessen Erzähler- und Figurenrede ständig ineinander über. Musikalisch wird die Inszenierung durch sanfte Töne begleitet, bald melancholisch, bald archaisch. Durch rhythmisches Klopfen mit den Holzständern und durch gleichzeitiges Sprechen markieren die Schauspieler jeweils den Wechsel zwischen den Geschichten.

Scheinheilig, aber im Mordrausch verfallen: Laura (Wiebke Kayser) und Oskar (Maximilian Reichert).

Scheinheilig, aber im Mordrausch verfallen: Laura (Wiebke Kayser) und Oskar (Maximilian Reichert).

(Bild: zvg / Luzerner Theater, Ingo Hoehn)

Mit viel Feingefühl für Nähe und Distanz sowie Langsamkeit und Schnelligkeit nutzen die Protagonisten die ganze Bühne und noch mehr. Wiebke Kayser gelingt eine wunderbare Darstellung der Pilatuswartin Marie Blättler-Von Wyl, indem sie hoch über die Bühne klettert und in der Form eines meterlangen weissen Vorhangs die weisse Winterpracht bis hinunter ins Tal wirft. Wunderbar ist dann auch die Schlussszene, in welcher der naive Albert im Todessog des im Mordrausch verfallenen Betrügerpaars untergeht.

Noch nicht ganz sattelfest

Fast schon im Stile von Max Frischs Holozän-Stoff werden zahlreiche Daten erwähnt, um die Geschichten zu verorten. Dass dabei der Text bei Furrer noch nicht ganz sitzt, verzeiht man ihm in Anbetracht seiner hervorragenden und äusserst authentischen Schilderung von Marie Blättlers Zeit auf dem Pilatus. Gefühlvoll und absurd spielt er Maries Ehemann Sepp, der dem abgestürzten Hund noch lange nachruft: «Ringgi … Ringgi …».

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