Luzerner Kletter-Hippie lebt seinen Traum

René Schweizer: «Kiffen, Partys und Gemütlichkeit gehörten dazu»

Der Leistungs- und Fitnessgedanke vieler heutiger Sportkletterer liegt René Schweizer fern.

(Bild: Pierre Burkhart)

René Schweizer hat den Klettersport in der Zentralschweiz massgeblich mitgeprägt und unzählige Felsen für Routen eingerichtet. Für den 49-Jährigen Krienser ist Klettern nicht nur Leidenschaft, sondern Lebensstil. Dabei ging es ihm nie um Leistung, sondern um den Spass – da gab’s auch schon mal Weisswein vor den Wettkampfeinsätzen.

Keine Kinder, nicht ins Militär und möglichst wenig arbeiten. René Schweizer wusste schon mit 16 Jahren genau, was er nicht wollte – und was schon. Nämlich klettern, und zwar möglichst viel. «Das habe ich bis heute konsequent durchgezogen», sagt der Krienser 33 Jahre später beim Kaffee in der Altbauwohnung, die er sich mit seiner Partnerin teilt. Er habe stets darauf hingearbeitet, einst nur noch das zu tun, was ihm wirklich Spass mache, sagt Schweizer. Und das sei eben nicht Kinderbüechli vorzulesen, auf Spielplätzen herumzusitzen und von einer Verpflichtung zur nächsten zu rennen.

Seit zwölf Jahren lebt er einzig von seiner Leidenschaft, sei es als Routenbauer oder Instruktor in Kletter- und Boulderhallen. Daneben bleibt ihm viel freie Zeit, um selbst am Fels Hand anzulegen.

Ein Kletterer der alten Schule

René Schweizer gehört einer aussterbenden Spezies an. Seine langen Haare, der Reggae im Hintergrund und sporadische Joints sind Relikte einer Zeit, als Klettern der Lifestyle einer Hippie-Szene war. «Kiffen, Partys und Gemütlichkeit gehörten für uns einfach dazu», erinnert sich Schweizer.

Der Leistungs- und Fitnessgedanke vieler heutiger Sportkletterer lag ihm damals fern. Letzteren gibt er heute neben sicherungs- und klettertechnischen Tipps auch den Rat mit auf den Weg, «dass Klettern vor allem Spass machen muss und es nicht nur darum gehen sollte, Schwierigkeitsgraden nachzujagen».

René Schweizer hat gefunden, wonach er stets suchte: Ein Leben, dass sich ganz um seine Leidenschaft dreht.

René Schweizer hat gefunden, wonach er stets suchte: Ein Leben, dass sich ganz um seine Leidenschaft dreht.

(Bild: Fabian Duss)

Schweizer kam durch seine bergsteigenden Eltern zum Klettern. Auf der Ibergeregg griff er 1976 als Achtjähriger zum ersten Mal in den Fels. Sieben Jahre später kletterte er auf den Salbitschijen, einen Granitklassiker im Göschenertal. Es folgte die kaufmännische Lehre bei der PTT und 1980 der erstmalige Griff zum Handbohrer.

Schweizer begann, selbst Routen in die Felsen zu bohren. Dabei werden mittels sogenannter Bohrhaken alle paar Meter Sicherungsmöglichkeiten eingerichtet. So knallen Stürzende nicht auf den Boden, sondern fallen in ihr Seil. Zuoberst montieren Routenbohrer oft eine sogenannte Umlenkung, wo Kletternde ihr Seil einhängen und sich abseilen können, um wieder an den Fuss zu gelangen. René Schweizer erschloss im Laufe der Jahre zahlreiche Gebiete in der Zentralschweiz. «Ein paar Hundert Kletterrouten kamen da schon zusammen», sagt er lachend.

«Wenn du Eier hast, dann klettere doch free solo!»

Was früher noch harte Handarbeit war, geht heute mit Akkubohrern deutlich effizienter. Alleine letztes Jahr habe er in der Göscheneralp siebzig neue Routen eingerichtet, berichtet René Schweizer. Das Material dafür, also die Haken und Bolzen, bezahlt er meist selbst. «In erster Linie bohre ich die Routen für mich», sagt Schweizer. Er freue sich, wenn danach andere Kletterer Spass daran hätten, wolle aber niemandem Rechenschaft schuldig sein.

Deswegen publiziert Schweizer seine Routen auch nicht in Kletterführern. Stattdessen beschriftet er sie am Fuss der Felswände säuberlich. Mit Geheimniskrämerei habe das nichts zu tun. «Wenn du etwas erfahren willst, erfährst du es auch», ist Schweizer überzeugt. Klettern wurde zum Trendsport und kantonale Behörden ordneten mancherorts Kletterverbote an. Schweizer präferiert deshalb eine sanfte Entwicklung, um keine schlafenden Hunde zu wecken.

Kletterrouten sanieren und pflegen

René Schweizer erschliesst nicht nur neue Felsen, sondern saniert auch seine alten Routen. Da kommt es auch mal vor, dass er ein paar zusätzliche Haken befestigt. «Bei unseren Erstbegehungen in den 80er-Jahren bohrten wir noch von Hand. Da beliessen wir es oft bei drei, vier Bohrhaken auf 25 Meter», erklärt er.

Wenn es richtig steil wird, blüht René Schweizer auf. Mit zunehmendem Alter klettert der Krienser aber weniger am Limit als früher.

Wenn es richtig steil wird, blüht René Schweizer auf. Mit zunehmendem Alter klettert der Krienser aber weniger am Limit als früher.

(Bild: Pierre Burkhart)

In der Kletterszene wird manchmal heftig diskutiert, wenn bei Sanierungen Routen besser abgesichert werden und dadurch ihren Charakter verändern. Denn je weiter die Haken auseinanderliegen, desto weiter fällt man bei einem Sturz – und desto grösser ist die psychische Herausforderung.

Schweizer hält nichts von solcher Kritik: Natürlich sollten klassische, alpine Routen nicht verändert werden, findet er, aber bei normalen Sanierungen müsse es auch möglich sein, Haken an praktischeren oder aus Sicherheitsgründen geeigneteren Stellen zu platzieren. Er wolle sich beim Klettern ja nicht umbringen. Wer einen Haken nicht brauche, müsse dort ja nicht sein Seil hängen, beziehungsweise: «Wenn du Eier hast, dann klettere es doch free solo!»

Free-solo-Klettern als Krönung

Damit ist das Stichwort gefallen, an dem sich die Geister scheiden. Free-solo-Begehungen sind Alleingänge, bei denen Kletterer auf jegliche Seilsicherung verzichten. Ein Sturz bedeutet ziemlich sicher den Tod. Spontan assoziiert man damit den Amerikaner Alex Honnold oder Schweizers verstorbenen Kollegen Ueli Steck, die seilfrei ebenso spektakuläre wie anspruchsvolle Felswände durchstiegen.

Auch René Schweizer zählt zum illustren Kreis jener, die sich ab und zu gerne ohne jegliche Hilfs- oder Sicherungsmittel an schwierige Klettereien wagen. In Klettergärten glänzte Schweizer mit Free-solo-Begehungen bis zum Schwierigkeitsgrad 7c+. Auch längere alpine Routen bewältigte der Krienser alleine und ohne Seil – und tut es heute noch hin und wieder. Lebensmüde sei er keineswegs, sagt Schweizer.

«Es stürzen jedes Jahr mehr Wandervögel auf Idiotenwegen ab als Free-solo-Kletterer auf ihren Touren.»

Nur: Früher habe free solo einfach dazugehört. «Allerdings tasteten wir uns langsam daran heran», betont Schweizer, der seit 41 Jahren unfallfrei klettert. Auf seine Free-solo-Touren bereitet er sich minutiös vor, setzt sich nicht unter Druck und kriecht nach dem Kaffee auch mal zurück ins Bett, weil das Gefühl nicht stimmt. Ohne Seil zu klettern, bezeichnet er als «spacig» und «flashig».

Heute beschränkt Schweizer seine Free-solo-Begehungen auf für ihn technisch weniger anspruchsvolle Touren im Pilatusgebiet wie die Galtigentürme oder die Ruessiflue, den Ostgrat des Salbitschijen oder den Ostgrat des Bergseeschijen im Urnerland. Für Letzteren benötigen Kletterer gewöhnlich drei bis vier Stunden – Schweizer gerade mal 20 Minuten. «Der Bergseeschijen ist für mich ein Konditionstest, um zu sehen, ob ich mit Rauchen aufhören sollte», sagt der 49-Jährige, der gewöhnlich nicht ohne einen Kaffee und eine Morgenzigarette aus dem Haus tritt, und lacht.

Rationaler Umgang mit Risiken

Schweizer ist in der Kletterszene als vernünftig und vorsichtig bekannt. «Ich habe mich nie auf mein Glück verlassen, sondern auf mein Können», versichert er. Der Krienser streitet das Risiko nicht ab, relativiert es aber: «Todesgefahr gibt es auch im Strassenverkehr und trotzdem fahren wir alle noch Auto.» Ein minimes Restrisiko lasse sich weder in den Bergen noch auf der Strasse ausschliessen, doch im Gegensatz zur Strasse liege die Kontrolle beim Klettern stärker in seinen Händen. «Ausserdem stürzen jedes Jahr mehr Wandervögel auf Idiotenwegen ab als Free-solo-Kletterer auf ihren Touren», hält er fest.

Natürlich hat auch René Schweizer schon einige Freunde bei Bergunfällen verloren. Ans Aufhören dachte er deswegen nie. «Je mehr Leute du kennst, desto grösser ist die Chance, dass du jemanden kennst, der verunfallt», argumentiert Schweizer. Zum Risiko habe «unsere überversicherte Gesellschaft» aber ein seltsames Verhältnis: Jeder wolle den Kick, aber keiner das Risiko. Schweizer kam dem Tod übrigens nicht etwa beim Klettern am nächsten, sondern als er 2014 einen bakteriellen Infekt erwischte.

Weisswein vor dem Wettkampf

Im Ausland klettert Schweizer nur sporadisch. Er sei schon eher ein «Heimatfuzzi», sagt der Krienser. Hierzulande gäbe es ja zu jeder Jahreszeit genügend schöne Klettereien. Bei Schlechtwetter weicht er in die Halle aus oder macht Pause. Ohnehin könne er in seinem Alter nicht mehr jeden Tag «go rigle» und brauche mehr Erholung als früher.

Wenn es richtig steil wird, blüht René Schweizer auf. Mit zunehmendem Alter klettert der Krienser aber weniger am Limit als früher.

Wenn es richtig steil wird, blüht René Schweizer auf. Mit zunehmendem Alter klettert der Krienser aber weniger am Limit als früher.

(Bild: Pierre Burkhart)

Verbissen sei er nie gewesen, selbst nicht zwischen 1990 und 1994, als er hin und wieder an Wettkämpfen teilnahm. «Das waren eher soziale Anlässe mit Partys – und das Klettern Nebensache», schmunzelt er. Vor Wettkampfeinsätzen habe man Weisswein getrunken und manche hätten sogar gekifft.

Wenn Schweizer auf die aktuelle Kletterszene blickt, dann zwar vielleicht etwas irritiert, aber keinesfalls besserwisserisch oder kritisierend. Heute sei das Training viel intensiver und gezielter, beobachtet er. Kletterhallen gab es in den 80er-Jahren noch keine. Die ersten wurden 1993 in Bern und St. Gallen eröffnet, jene in Root gar erst 2006. Schweizer und seine Kletterkollegen hatten sich früher viel langsamer vorwärtsentwickelt. Das hatte den Vorteil, dass sich ihre Gelenke besser an die Belastung gewöhnen konnten.

Klettern bis ins hohe Alter

«Ich habe genug schweres Zeug geklettert und bin zufrieden damit», sagt Schweizer. Heute klettere er weniger am Limit und gewichte dafür den Genuss höher. «Ich klettere lieber, bis ich alt bin, als mich jetzt an schweren Routen zu schrotten», lautet seine Devise. Als Sportler sei es schliesslich normal, dass man irgendwann seinen Zenit erreiche.

Besonders oft trifft man Schweizer in der Göscheneralp an. Manchmal klettert er bloss zwei, drei Routen und geniesst danach die Schönheit der Natur und seine von Verpflichtungen befreite Zeit. «Wenn ich unter der Woche an so einem Ort sitze, denke ich oft: Mir geht es einfach gut!», sagt Schweizer. So klingt Zufriedenheit.

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