Mittendrin im urchigen Traditionsanlass

Zuger Stierenmarkt – oder: «Diese Flankentiefe gefällt mir sehr»

Wer Vieh hat, der muss regelmässig zeigen, wer am längeren Strick steht. (Bild: wia)

Der Zuger Stierenmarkt bietet eine prima Gelegenheit, einmal in ganz andere Sphären abzutauchen. Dorthin, wo die Milchleistung elementar, das Exterieur idealerweise schön, und die Zitzen regelmässig sind.

Auch wenn man als Zugerin, die etwas auf sich hält, jedes Jahr den Zuger Stierzirkus besucht, so fällt es einem immer wieder aufs Neue wie Schuppen von den Augen: Hier klaffen Welten aufeinander.

Expats mit ihren weissen Toy-Pudeln mäandern auf der Suche nach dem Streichelzoo um Kuhfladen herum. Unvorsichtige Stadtkinder treten etwas gar nah an Munis heran, die locker 1000 Kilo – also eine Tonne – auf die Waage bringen. Investment-Unternehmer schauen vom Hochhaus Uptown hinunter aufs Gelände, auf dem der Disentiser Landwirt gerade innig darauf hofft, dass sein Muni Rico einen Käufer findet.

Für die städtischen Besucher mag sich der Stierenmarkt in den letzten Jahrzehnten zwar kaum verändert haben. Die Aussteller hingegen, die aus der ganzen Schweiz mit ihren Kühen und Munis herkommen, gibt es jedoch gerade dieses Jahr eine wichtige Veränderung. So wird heuer die Ausstellung und Rangierung der Munis zum ersten Mal öffentlich und vor Publikum gemacht.

Beim Kauf eines Munis kommt's auf einiges an. Dinge, die man von aussen nie vermuten würde. (Bild: wia)

Die Gäste kommen demnach in den eigenartigen Genuss, den Moderatoren zuzuhören, die solche und ähnliche Sätze von sich geben: «Es handelt sich um den Sohn von Papa Schlumpf. Diese Flankentiefe, auch die Breite im Becken, das wir hier haben, gefällt mir sehr gut. Er steht ausserdem auf einem sehr guten Fundament. Dieser parallele Gang, das ‹isch öppis wunderschöns›.» Natürlich wird hier nicht von einem kleinen Schlumpf, sondern ganz im Gegenteil, von einem stattlichen Stier geredet, dessen «Exterieur» im Zuge der Vorführung gelobt wird.

Der Nachteil eines Jungstiers

Auf der Tribüne vor den Ringen sitzen Menschen, bei denen die Unterscheidung zwischen Schaulustigen und Bauern leicht auszumachen ist. Ein Landwirt, das Haupt mit einem Multiforsa-Käppi vor der prallen Sonne geschützt, studiert gespannt den Katalog, um zu sehen. Er will sehen, welche Milch- und Fettleistung vom Muni zu erwarten ist, der gerade vorgeführt wird.

Er erzählt: «Einer meiner zwei Munis wurde gerade vorhin vorgeführt. Jetzt überlege ich, ob ich einen jungen Stier kaufen oder zumindest mieten möchte.» Nur: Bei Jungtieren schwinge stets auch ein kleines Risiko mit. «Man hat noch keine Werte darüber, wie die Töchter des Tiers leisten werden. Der Stier muss fast ein Jahr alt werden, bis er geschlechtsreif ist. Und Kühe, also seine Töchter, kalbern erst nach drei Jahren.»

Verkaufen oder metzgen, so die Devise

Was wird er tun, wenn der ausgewachsene Muni, den er an den Zuger Stierenmarkt gebracht hat, keine Interessenten findet? «Dann werde ich ihn vermutlich metzgen lassen. Das Fleisch ist, ähnlich wie Kuhfleisch, zum Wursten geeignet oder aber für Hackfleisch», so der Schwyzer. Ob er denn keine Mühe damit habe, ein Tier, das er grossgezogen habe, töten zu lassen? «Beim Muni ist das weniger schlimm. Diesen Sommer hingegen musste ich eine Kuh ‹wegtun›, die war 16-jährig. Die habe ich 13 Jahre lang gemolken. Das ist dann schwieriger.»

Auch wenn der Wettbewerb im Ring danach aussieht, als wenn hier die Schönheit der Tiere gekrönt würde, geht es hier um sehr praktische Werte. Ernst Brändli, ein ehemaliger Landwirt und Helfer erzählt: «Es geht letztlich immer um die Wirtschaftlichkeit.» Er zeigt auf einen Stier und sagt: «Sehen Sie, der hintere Teil des Rückens: Dort liegt das Becken und dieses sollte schräg nach hinten abfallen. Bei einer Kuh befindet sich in diesem hinteren Bereich nämlich der Scheidenkanal. Wenn dieser gegen hinten ansteigt, bleibt immer etwas Urin zurück, wodurch die Gefahr von Infektionen grösser wird.»

Damit sinke die Chance einer Trächtigkeit. Auch weitere Merkmale, etwa der Euterstand sowie die Form der Zitzen bei einer Kuh oder aber das «Format», also die Breite und Tiefe eines Munis, würden Auskunft darüber geben, wie wirtschaftlich die Nutzung des Tiers sei.

Ob er auch genug schön läuft? Als Laie ist das schwer zu beurteilen. (Bild: wia)

Seit 50 Jahren schon mit dabei

Dass der Muni-Wettbewerb heuer vor Publikum stattfindet, passt nicht allen Landwirten. Denn: Vorführen müssen die Bauern ihre Viecher selber. Und wer mehrere Stiere am Start hat, der hat ziemlich zu tun. So auch Eugen Hitz. Der Mann, oder besser gesagt, das kleine, ältere Mandli mit weissem Bart, fällt auf. Mehrmals holt er einen der riesigen Munis von der der Verankerung, um diesen vorzuführen. Es ist offensichtlich, dass er nicht zum ersten Mal beim Stierenmarkt dabei ist. «Nein, nein, er lebt für seine Arbeit», murmelt einer seiner Kollegen in den stattlichen Bart, während er Hitz aus der Ferne betrachtet. Um dann bewundernd anzufügen: «Das isch unglaublich, was dee schaffed.»

«Das ist eine Katastrophe, wenn man so viele Tiere dabei hat.»

Eugen Hitz, Landwirt

Hitz ist 71 Jahre alt und mit sage und schreibe neun Munis und einem Kalb aus dem Kanton Aargau angereist. Zur heutigen Wettbewerbssituation sagt er: «Das ist eine Katastrophe, wenn man so viele Tiere dabei hat. Ich bin nur im Stress und habe noch kein einziges verkauft.» Seit genau 50 Jahren ist er Mitglied bei Braunvieh Schweiz, «doch als Kind bin ich mit meinem Vater bereits hierher gekommen».

Eugen und Ruth Hitz sind Vater und Tochter. Bald soll der Betrieb an die jüngere Generation übergeben werden. (Links im Bild: Stier David.) (Bild: wia)

Heuer hat Eugen Hitz ebenfalls seinen Nachwuchs mit dabei. Ruth Hitz ist selber Bäuerin und wird wohl in den kommenden Jahren den Betrieb des Vaters übernehmen. «Klar, bei Generationenwechseln gibt es manchmal Diskussionen», sagt sie lachend. Denn einige Neuerungen hat sie schon im Sinn. Ruth Hitz ist eine von wenigen Frauen, die selber Stiere in den Ring führen. Wenn auch vor allem die jüngeren. «Man muss damit aufgewachsen sein. Ausserdem braucht es Respekt im Umgang. Fürchten darf man sich hingegen nicht, das spüren sie sofort.»

Neue Methode, auch aus Sicherheitsgründen

Dass man die Vorführung der Tiere heuer öffentlich macht, hat seine Gründe. Jörg Hähni, der Kommunikationsverantwortliche von Braunvieh Schweiz erzählt: «Zum einen geht es um eine gewisse Transparenz. Mit dieser Methode wird es für die Zuschauer nachvollziehbar, weshalb ein bestimmter Muni besser abschneidet als ein anderer.» Zum anderen gehe es auch ums Tierwohl. Denn am Morgen wurden die Jungstiere gezeigt, am Nachmittag die älteren. Demnach müssen die Tiere jeweils nur einen halben Tag an der Wärme stehen und nicht wie bisher einen ganzen.

Zu guter Letzt sei es auch eine Frage der Sicherheit, wie Hähni erklärt: «Dieses Vorgehen ist unter anderem den vielen Besuchern geschuldet. Mit den aktuellen Absperrungen können wir sichergehen, dass nichts passiert. Auch wenn wir in den letzten Jahren nie Probleme hatten zum Glück.»

Das Selfie mit dem Muni wird nun also für Instagrammer schwieriger. Aber dafür gibts im Zweifelsfall ja noch die Geissen und Schweine im Streichelzoo. Auch wenn die nicht sonderlich begeistert zu sein scheinen von der ganzen Fotografierei.

Gebodigt vom Säulirennen: Die Schweinchen machen aus wenig das Beste und legen sich auch mal in den kühlen Wassertrog. (Bild: wia)
Verwendete Quellen
  • Besuch des Stierenmärts, diverse Gespräche vor Ort
  • Telefongespräch mit Jörg Hähni
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