Was hinter diesen Schienen im Baarer Wäldchen steckt
Schienen durch den Wald, doch weit und breit kein Zug. (Bild: wia)
In einem versteckt gelegenen Baarer Waldstück führen Schienen einen Abhang hinunter und von dort wieder steil herauf. Die Überreste einer Eisenbahn? Loren-Schienen für den Kiestransport? zentralplus ist der Sache auf den Grund gegangen.
Der Baarer Ortsteil Sihlbrugg ist geprägt von Industrie- und Gewerbebetrieben. Autolackierer, Möbelgeschäfte, Gartenbauer und auch ein Schlachthof sind hier zu finden. Im Norden des Gebiets hat die Risi AG mit der Deponie Tännlimoos eine markante künstliche Hügellandschaft geschaffen. Auf der Nordseite der Sihlbruggstrasse, am Chrüzhügel, baute dieselbe Firma während Jahrzehnten Kies ab.
Im Anschluss, ab 2004, wurde die Grube wieder aufgefüllt. Die Flächen wurden zwischenzeitlich rekultiviert und ökologisch aufgewertet. Heute wachsen dort, wo früher Kies abgebaut wurde, Büsche und Wiesen, auch Biotope sind zu finden. Es ist Zeit, das Gebiet aus der Nutzungszone zu entlassen. Soweit, so unspektakulär. Im aktuellen Gesuch der Risi AG zur Zonenanpassung wird jedoch auch auf eine Kuriosität hingewiesen.
warum der Bob-Erfolg von den Olympischen Spielen 1998 in Nagano auch auf Sihlbrugg zurückzuführen ist
wer die Bobanschiebebahn heute nutzt
Eine wirklich spezielle Zone
Am Chrüzhügel sollen nicht nur Zonen für Wald, Landwirtschaft und gegebenenfalls Naturschutz entstehen, sondern auch eine «übrige Zone mit speziellen Vorschriften Bobanschiebebahn» geschaffen werden.
Eine Bobanschiebebahn in Sihlbrugg? Tatsächlich gibt es diese schon. Und das nicht erst seit gestern. Die Infrastruktur befindet sich nur wenige Minuten von der nächsten Bushaltestelle entfernt und ist dennoch äusserst unauffällig gelegen. Ihre Geschichte ist jedoch ziemlich spektakulär und beginnt mit Adrian Risi, dem damaligen Firmenchef der Risi AG.
«Ich kenne den ehemaligen Bobfahrer Marcel Rohner schon sehr lange, unter anderem, weil wir zusammen Volleyball spielten.» Mitte der 90er, die Olympischen Spiele in Nagano (Japan) standen bevor, kamen Rohner und sein Trainingskollege Reto Götschi auf ihn zu.
Risi erzählt weiter: «Sie fragten mich an, ob man im Waldstück beim Chrüzhügel, wo damals noch Kies abgebaut wurde, eine unkomplizierte Möglichkeit bestünde, eine Bobanschiebebahn zu bauen.» Adrian Risi sagte zu.
Der Bob-Erfolg von Nagano ist auch auf Sihlbrugg zurückzuführen
Marcel Rohner erinnert sich, dass Reto Götschi in den Jahren davor versucht hat, ein ähnliches Projekt in Hausen am Albis zu realisieren. «Die Auflagen der Gemeinde waren jedoch so hoch, dass der Bau einer solchen Anlage dort keinen Sinn ergab.»
Beim Chrüzhügel hingegen fand man ein Grundstück, das fast genau die Neigung mitbrachte, den das Schweizer Bobteam brauchte, um sich auf die Olympischen Spiele in Nagano vorzubereiten. «Nur den Gegenhang mussten wir aufschütten, damit der Bob wieder abbremsen konnte», erzählt Rohner.
Im Jahr 1997 war die Anschiebebahn parat. «Gerade rechtzeitig für unser Sommertraining.» Tatsächlich funktioniert die Bahn ganz ohne Schnee und Eis; es handelt sich um eine Bob-Anschiebebahn, auf der dank einer Schienenkonstruktion und einem umfunktionierten Bob mit Rädern trainiert werden kann.
Dass die Trainingsbedingungen am Chrüzhügel ideal waren, bewies das Schweizer Olympiateam alsbald. Bei den Winterspielen 1998 in Nagano holte sich das Team von Marcel Rohner, Markus Nüssli, Markus Wasser und Beat Seitz die Silbermedaille im Viererbob.
Gemäss Rohner bietet die Bobanschiebebahn in Sihlbrugg nämlich einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Trainingsinfrastrukturen. «Hier kann man dank des umfunktionierten, echten Bobs nicht nur das Anstossen üben, sondern auch das Aufsteigen, Einsteigen und Absitzen.»
Auch heute wird die Bob-Anschiebebahn noch genützt
Dies sei nicht nur im Hinblick auf Nagano ein Vorteil gewesen, sondern brachte auch späteren Athletenteams viel. So etwa dem Schwyzer Bobfahrer Martin Annen, der mehrere Olympische Medaillen gewann und 2001/2002 den zweifachen Gesamtweltcupsieg feierte. Rohner sagt: «Bis heute hat die Bahn eine gewichtige Funktion. Denn nach wie vor gibt es nur sehr wenige Anstossbahnen, auf der ein richtiger Bob steht.» Heute wird die Bahn während der Sommermonate vom Bobclub Zentralschweiz genützt.
Davon ist im Moment vor Ort wenig zu sehen. Während der Wintermonate ist die Anschiebebahn verwaist. Nur eine verwitterte Holztafel weist auf die Ursprünge der 80-Meter langen Trainingsinfrastruktur hin. «Wir bauen auf die Olympischen Winterspiele in Nagano '98», liest man dort neben einigen Sponsorennamen.
Nagano ist zwar längst Geschichte, doch die Olympischen Spiele 2026 in Milano Cortina stehen bevor. Und auf dieses Ziel bereiten sich im Moment gerade Martin Annens Tochter Debora und ihr Team vor. Im Sommer natürlich in Sihlbrugg.
Journalistin und langjährige Autorin bei zentralplus. Schreibt über politische Querelen, aufregende Bauprojekte und gesellschaftlich Bewegendes. Am liebsten jedoch schreibt sie über Menschen. Und natürlich Hunde.