Gemeinschaftswerk ziert das Seeufer

Strickprojekt während Corona: Unterägeri wird derzeit umgarnt

Am Seeufer in Unterägeri fallen derzeit einige «umlismete» Bäume auf. (Bild: wia)

Wir leben in einer Zeit, in der mehr Farbe durchaus angebracht ist. Vielleicht ist das der Grund, warum das öffentliche Strickprojekt «Ägeri farbig» so viele Teilnehmer und Bewunderer findet. So viele, dass aus einer überschaubaren Sache plötzlich ein grosses und vor allem buntes Vorhaben geworden ist.

Wer derzeit in der Gemeinde Unterägeri am See spazieren geht, der staunt nicht schlecht. Dutzende Bäume sind in Wolle gepackt, und das äusserst kunstvoll und bunt, umgarnt von gestrickten Quadraten, welche sich, zu einem Ganzen zusammengefügt, an die Stämme schmiegen. Daneben steht ein Beet von Pusteblumen, auch diese wurden aus Wolle erschaffen. Das Geländer am Steg beim Seeufer ist ebenfalls in bunte Wolle gefasst. Darauf sitzen diverse winzige Viecher, gestrickte Enten, Mäuse, ein Mantarochen.

Das Projekt Ägeri farbig ist nicht zuletzt deshalb ein besonderes, weil über 300 Menschen aus der Region daran mitbeteiligt waren. Geboren ist die Idee dazu in einem Privatgarten. Konkret in den Köpfen der beiden Nachbarinnen Ynke Feenstra und Fiona Barbagallo.

«Während des ersten Lockdowns sassen wir gemeinsam im Garten, blickten auf einen Baum, der dort steht. Ich sagte zu Fiona, dass es doch cool wäre, etwas Farbe in den Garten zu bringen und wir begannen, Quadrate zu stricken, in die wir den Baum später kleideten», erklärt Feenstra.

Das Geländer des Stegs wurde gar mit Figuren verziert. (Bild: wia)

Eine Flickendecke statt einer Party

Die Idee trugen die beiden weiter, erarbeiteten, gemeinsam mit Kolleginnen, eine Patchworkdecke zum Geburtstag einer Freundin. «Eine Party konnten wir ja nicht machen, deshalb wollten wir wenigstens gemeinsam etwas schaffen, woran unsere Freundin sich erfreuen konnte», erzählt die gebürtige Holländerin weiter.

«Die Idee, dass man etwas Grosses erschaffen kann, wenn jeder einen kleinen Teil beiträgt, gefiel uns sehr», so Feenstra. Im Herbst letzten Jahres begann man ein kleines Outdoor-Werk zu planen. «Wir wollten zehn Bäume im öffentlichen Raum einkleiden und promoteten die Idee auf unseren lokalen Netzwerken, worauf sie von den Medien aufgegriffen wurde.» Immer mehr Leute begannen mitzumachen und Quadrate zu häkeln und zu stricken. «Irgendwann stieg auch das Altersheim Klösterli ein und auch die Schulen machten mit.» Im Ganzen kamen so über 1100 Quadrate zusammen.

Statt der 10 Bäume konnten letztlich ungefähr 50 mit den Gemeinschaftswerken geschmückt werden. «Viele Techniken kommen zusammen, Menschen mit unterschiedlichem Niveau trafen aufeinander. Weil die Quadrate letzten Endes zusammengenäht werden, ist es okay, wenn nicht alle Quadrate genau quadratisch sind», sagt Feenstra, die mittlerweile seit fast drei Jahren in Unterägeri lebt.

Beschäftigung im dunklen Winter

Für sie ist das Projekt in zweierlei Hinsicht erfreulich: «Während des Lockdowns im Winter war das Stricken eine gute Beschäftigung. Zwar sass jeder für sich allein zuhause und arbeitete, doch wussten die Leute, dass sie Teil einer grossen Gruppe sind.» Nun, da die Strickgraffiti-Ausstellung fertig ist, ist sie für alle zugänglich. «Die bunten Farben erfreuen nun die Spaziergänger.»

Tatsächlich sind es viele Menschen, die sich die vielen Gemeinschaftswerke anschauen. Am Dienstagnachmittag, an dem auch zentralplus vor Ort ist, schlendern Dutzende Menschen jeden Alters an den Werken vorbei, bleiben stehen, staunen ob den raffinierten Mustern, den gestrickten Mumins-Figuren und der hübschen Farbkombinationen. Bei jedem Baumstamm und jedem einzelnen Werk findet man QR-Codes, die auf die Macher des Werkes hinweisen.

Die Pompon-Blumen wurden von Schulklassen geschaffen. (Bild: wia)

So wurde einer der Baumstämme etwa von vier Frauen aus einer Familie geschaffen. Das Besondere: Vier Generationen waren daran mitbeteiligt. Während die Urenkelin und die Enkelin in Ägeri wohnen, leben die Gross- und die Urgrossmutter in Tschechien. Sie haben ihre Quadrate dort erarbeitet und diese dann in die Schweiz geschickt. Blickt man sich den Baum genauer an, glaubt man erkennen zu können, wem welche Fingerfertigkeiten zuzuschreiben sind. Während einige der Quadrate eng gestrickt sind, sich in Muster und Farbe abwechseln und kleine Wunderwerke sind, sind andere sehr einfach und mit dicker Wolle gehalten.

Kommuniziert wurde auch mit Emojis

Ein Grossteil der Mitwirkenden von Ägeri farbig sind Frauen, bestätigt uns Feenstra. «Doch waren auch einige Männer mitbeteiligt. Sicherlich bei den Pompons, welche in den Schulen angefertigt wurden. Auch gab es einige Herren, die Quadrate gestrickt haben.» Einer von ihnen ist Jens, wie man seiner Geschichte auf der Website des Projekts entnehmen kann. Der 44-Jährige hatte seit seiner Kindheit keine Stricknadeln mehr in der Hand und fand während der Corona-Zeit zu diesem neuen Hobby.

«Ausser gerade aus der Antarktis haben wir Teilnehmer von überall.»

Ynke Feenstra

Auch hätten Menschen aus allen Kontinenten am Projekt mitgewirkt, wie Feenstra stolz erzählt. «Ausser gerade aus der Antarktis haben wir Teilnehmer von überall.» Überhaupt sei Ägeri farbig ein tolles Projekt, um Expats und Ur-Ägerer zusammenzubringen. «Die ganze Kommunikation lief von Anfang an auf Englisch und Deutsch. In der Whatsapp-Gruppe wird auf alle möglichen Sprachen kommuniziert. Auf Schweizerdeutsch, Deutsch, Englisch und auch mit Emojis. Die versteht jeder.»

Noch bis Ende Mai sind die bunten Werke in Unterägeri am See zu sehen. Danach ist die Strickerei jedoch noch lange nicht vorbei. «Uns ist es wichtig, dass wir die Wolle weiterverwenden. Wir werden die Wolle waschen und planen, daraus Decken, Kissen oder Taschen zu machen. Sprich: Das Projekt ist noch lange nicht fertig. Im Gegenteil. Wir sind voll am organisieren», sagt Feenstra lachend.

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1 Kommentar
  • Profilfoto von Anna Bergeler
    Anna Bergeler, 28.04.2021, 19:43 Uhr

    Als Kind und Jugendliche war ich oft in Unterägeri. Es ist schön, heute einen interessanten und lustigen Artikel über diesen Ort zu lesen – und: Ich habe auf den Fotos ein paar Ecken wiedererkannt! Danke!!!

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