Sie arbeitet im Strafvollzug, lebt aber während des Sommers in einer Jurte. Ruth Elmiger hat sich mit ihrem Zelt am See einen Lebenstraum erfüllt. zentralplus erklärt sie, weshalb das Jurten-Leben mehr als nur ein günstiger Urlaub vor der eigenen Haustür ist.
Den Sommer über in einer Jurte leben – diesen Traum erfüllte sich Ruth Elmiger, nachdem sie ein Wochenende in einem Luzerner Jurtendorf verbracht hatte. Den Gutschein dafür hatte sie zu einem Geburtstag erhalten, nicht ahnend, dass er ihr Leben ziemlich verändern würde.
«Als ich zum ersten Mal in einer solchen Jurte lag, merkte ich, wie gut mir das gefällt», erzählt Elmiger im Gespräch mit zentralplus. Sie spricht von der Erfahrung im Jurtendorf Lutherenbad, in welchem sie zum ersten Mal in einem solchen Zelt übernachtet hat. «Es ist der Duft des Holzes und der frischen Luft, das Gefühl, ständig draussen zu sein – und schlussendlich das Raumgefühl in diesem runden Häuschen, gehüllt in Einfachheit, und ein Gefühl der Ruhe, die es mir so angetan haben.»
«Für mich ist meine Jurte wie eine bescheidene Sommerresidenz, in der ich Zeit für mich und meine Gedanken habe.»
Ruth Elmiger
Von der Entdeckung zur Erfüllung eines Traums
Kurzerhand hat sich die 57-Jährige dazu entschieden, sich den Traum einer eigenen Jurte zu erfüllen. «Zuerst mietete ich eine Jurte für einen Monat, ehe ich zu einem späteren Zeitpunkt mein ganz eigenes Zelt anfertigen liess». Es gebe unzählige verschiedene Varianten von Jurten. «Und es ist nicht ganz einfach, die optimale Konstruktion für sich zu finden.» Nach einem halben Jahr Bauphase im Jurtendorf war das traditionell verwendete Zelt der Nomaden in Zentralasien endlich bereit. «Dann fehlte nur noch der Stellplatz», so Elmiger weiter.
Doch das Problem löste sich schnell: «Ich begab mich per Velo auf Entdeckungsreise und fand meinen Wunschplatz. Eine nette Bauernfamilie, die am Ufer des Vierwaldstättersees wohnt, hat mir spontan ein Plätzchen auf ihrem Grundstück zur Verfügung gestellt, als ich bei ihr anklopfte. So hat meine Jurte im vergangenen Frühling da zum ersten Mal ihren Sommerplatz gefunden.» Von Mai bis Oktober lebte Elmiger in ihrer Jurte – zumindest häufig. Ihren Wohnsitz in Dagmersellen, wo auch ihre Familie lebt, hat sie deswegen aber nicht aufgegeben. Denn: Die Wohnung blieb auch ihr eigentliches Zuhause. «Für mich ist meine Jurte wie eine bescheidene Sommerresidenz, in der ich Zeit für mich und meine Gedanken habe», so Elmiger weiter.
Im Pensionsalter zum Jurtenmenschen werden
Dennoch könne sie sich vorstellen, später im Pensionsalter dauerhaft in einer Jurte zu leben. Denn: «Das Leben ist so schön unkompliziert, schlicht und bescheiden. Ich mag das einfach.» Elmiger ist generell ein sehr naturverbundener Mensch, wie sie von sich selbst sagt. Am liebsten sei sie am, auf und im Wasser – oder im Wald. «Ich denke, dass eine solche Wohnform auch grundsätzlich, ideell gesehen, sinnvoll ist. Als ich beispielsweise meine Jurte diesen Herbst eingewintert habe, blieben keine Rückstände übrig, die für die Umwelt schädlich wären. Mit Ausnahme des Grases, das unter der Jurte nicht mehr wachsen konnte und sich erst einmal erholen musste.» Und nicht nur die Umwelt könne Elmigers Meinung nach geschont werden – auch dem Portemonnaie tue dieses Leben gut. «Man lernt einfach, mit weniger zu leben, schneller zufrieden zu sein. Und auch, sich nicht zu rasch über Dinge zu ärgern.»
«Wir müssen wieder lernen, etwas mehr auf uns selbst zu hören.»
Ruth Elmiger
Nicht selten ist Elmiger einfach in oder vor ihrer Jurte gesessen, hat auf den weiten Horizont der Alpen hinter dem See geschaut und über das Leben nachgedacht, erzählt sie uns: «Zum Zeitpunkt, als ich mich für ein Leben in der Jurte entschied, war ich nicht besonders gestresst und musste mir nicht dringend eine Auszeit nehmen. Es war mehr ein grosser Wunsch, der für mich in Erfüllung ging. Und ich geniesse es jeweils, Zeit für mich zu haben, Zeit zum Sein.»
Mehr Zeit für sich und die Umwelt
Dies sei mitunter auch ein Grund dafür, dass sie in ihrer Jurte auch gar nicht so oft Besuch haben möchte. «Irgendwie wurde die Jurte zu meiner Insel, die ich so gestalten kann, wie ich will. Da möchte ich gar nicht, dass ständig viele andere Personen da sind.» Und dies, obwohl Elmiger sich als sehr gesellige Person bezeichnet. «Ich lernte es zu schätzen, allein zu sein. Das war während der Corona-Pandemie ja auch etwas einfacher.»
Die Jurten-Bewohnerin betont aber, dass das Projekt schon lange vor Corona entstanden ist und deswegen keineswegs eine Corona-Auszeit sei. Ihr war wichtig, ihren Alltag so gestalten zu können, wie sie es möchte. Aufstehen und zu Bett gehen, wenn ihr danach war, und nur dann etwas auf dem kleinen Gasherd kochen, wenn der Magen knurrte. Das sei es doch, was vielen Menschen derzeit fehle. «Wir müssen wieder lernen, etwas mehr auf uns selbst zu hören.»
Wie lange Elmiger noch ihre Sommertage im Nomaden-Zelt verbringen wird, lässt sie offen – auch für sich selbst. Es ist ein Alltag mit mehr Einsamkeit, mehr Bewusstsein für die Umwelt und sich selbst. Und es ist ein Leben, das günstiger sein soll als jenes, das die meisten von uns führen. Dennoch ist es ein Privileg – und dessen ist sich Elmiger bewusst – an einem schönen Flecken Erde sein eigenes kleines Reich aufbauen zu dürfen. Hergeben würde sie es auf jeden Fall nicht mehr so schnell.
Serie über alternative Wohnformen
Nicht alle wohnen in einem Umfeld, das für die Mehrheit als «normal» gilt. In unserer Serie «Alternative Wohnformen» zeigen wir auf, wie abenteuerlich, kreativ oder schlichtweg anders Menschen in Luzern leben. Der Besuch im «Riedi» in Ebikon macht den Auftakt zur Serie.
Die Redaktion sichtet die Ideen regelmässig und erstellt daraus monatliche Votings. Mehr zu unseren Regeln, wenn du dich an unseren Redaktionstisch setzt.
R. Aum-Planung, 16.11.2021, 13:14 Uhr Verdichtetes Bauen ist dies wohl nicht.
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