Wer trifft sich hier?

Surfer erobern die Reuss – Wellenritt mitten in der Stadt

Nicolas Loretz flitzt in seiner Freizeit auf dem Surfbrett die Reuss hoch. (Bild: asc)

Wer an warmen Sommertagen aus der Luzerner Altstadt in Richtung St. Karli unterwegs ist, hat sie bestimmt schon gesehen – die Surferinnen der Geissmattbrücke. Doch wer sind sie, und wie funktioniert ihre Sportart? zentralplus gesellte sich bei ihrem Treffpunkt an der Geissmattbrücke zu ihnen und hat einen Einblick erhalten.

Langes blondes Haar, Bändeli am Handgelenk, Kette um den Hals und ein Surfbrett lässig unter dem Arm. Nicolas Loretz würde an weltbekannten Surfspots auf Hawaii perfekt ins Bild passen. Doch zentralplus trifft ihn nicht mitten im Pazifik, sondern in Luzern. Hier steht der Einheimische zu Füssen der Museggmauer bei der Geissmattbrücke.

Der 26-jährige Surfer wartet auf weitere Surfbegeisterte aus seiner Freundesgruppe. Die Frauen und Männer treffen sich hier regelmässig zum Bungeesurfing. Mit ihren Surfbrettern bieten die Freunde mitten in einer Stadt eines Binnenlandes einen kuriosen – und spektakulären – Anblick. Passantinnen werfen neugierige Blicke in Richtung der Gruppe, die bei knallender Sonne ein dickes Gummiseil – auch Bungeeseil genannt – an der Geissmattbrücke befestigt und dieses in die Reuss platschen lässt.

Die Reuss als kreativer Spielplatz für Wassersportbegeisterte

Bungeesurfing sei für Surfer, die keinen einfachen Zugang zu Meer und Wellen hätten, sagt Nicolas Loretz. Er erklärt den Ablauf: «Ich halte mich am Seil angebrachten Griff fest und stelle mich mit der langen Seite des Surfbretts gegen die Fliessrichtung der Reuss.» Dadurch wird im Bungeeseil Spannung erzeugt. «Sobald ich dann die Spitze des Bretts flussaufwärts in Richtung Luzerner Seebecken drehe, zieht mich die erzeugte Spannung im Seil die Reuss hoch», führt der Luzerner aus. Während er dann den Fluss hoch saust, stehen für ihn Tricks und flinke Wendemanöver im Vordergrund.

Wer trifft sich hier?

In unserer losen Serie «Wer trifft sich hier?» besucht zentralplus öffentliche Treffpunkte in Luzern und Zug, an denen Personen dem Hobby ihrer Wahl frönen. Vorgestellt werden nebst den sich treffenden Personen die aussergewöhnlichen Beschäftigungen, denen die Luzerner und Zugerinnen an ihren Treffpunkten nachgehen.

Ihn fasziniere das Spiel mit dem Element Wasser seit klein auf. Bevor er die Reuss zu seinem Spielplatz gemacht hätte, sei er bereits als Kind auf dem Windsurfbrett anzutreffen gewesen. Auch Kitesurfen habe er schon ausprobiert und Gefallen daran gefunden.

Die Einfachheit des Bungeesurfing ist für Loretz einzigartig: «Ich brauche bloss den Fluss, das Seil und ein Brett. Das macht den Sport aus.» Es gebe keine Windflauten oder flachen Meere, die dem spontanen Spass einen Strich durch die Rechnung machen können. Er hält fest: «Auf dem Fluss sind dir und deiner Kreativität keine Grenzen gesetzt.» Er schmunzelt: «Abgesehen von den Flussufern und den Brückenpfeilern etwas weiter flussabwärts.»

Bungeesurfing gibt ihm die Möglichkeit, mit spektakulären Drehungen und Tricks seine eigenen Grenzen auszuloten und gleichzeitig seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Für ihn die pure Freiheit: «Jede Bungeesurferin kann die Freestyle-Sportart in vollen Zügen nach den eigenen Vorstellungen geniessen und sich darin selbst verwirklichen.»

So sieht es aus, wenn Loretz die Reuss zu seinem Spielplatz macht:

Sozialer Aspekt geht über den Wassersport hinaus

Der Moment, in dem er das erste Mal auf dem Brett die Kraft der Reuss gespürt hätte, sei unvergesslich gewesen. Eine gänzlich andere Wahrnehmung des fliessenden Gewässers als beispielsweise beim Schwimmen. An die Kraft des Flusses habe er sich mit der Zeit gewöhnt. Mittlerweile erachtet der Bungeesurfer Fliessgeschwindigkeiten zwischen 120 und 200 Kubikmeter Wasser pro Sekunde für die Ausübung der Sportart als optimal.

Aber auch wenn der Fluss mal etwas weniger reissend ist, kommt Loretz auf seine Kosten. Der Community-Aspekt des Bungeesurfing bei der Geissmattbrücke ist für ihn zentraler Bestandteil der Freizeitbeschäftigung. Die Brücke dient als Treffpunkt mitten in der Stadt – laut dem Luzerner finden sich stets Personen für einen Austausch zwischen den Ritten auf dem Surfbrett.

Die Freundesgruppe hat einen guten Draht zueinander, auch wenn es nicht um den Wassersport geht. Neben gemeinsamen Freizeitaktivitäten setzen sich die Surfer auch für die Umgebung der Reuss ein. Beispielsweise tauschen sie ab und an die Surfbretter gegen Taucherbrillen und Mülleimer, um Gerümpel aus der Reuss zu fischen (zentralplus berichtete).

Strahlende Gesichter sind für Loretz ein grosser Beweggrund

Auch bei der Umgestaltung des nahen Geissmattparks brachte sich die Gruppe ein und stellte so sicher, dass möglichst viele Personen sich des geplanten Parks erfreuen werden.

Nicht zuletzt deswegen kenne und schätze man die Gruppe mittlerweile im Quartier, sagt Loretz: «Es gibt einige alte Bekannte, die gerne bei der Brücke oder im Park stehen bleiben und mit uns schwatzen.»

Der soziale Austausch in der Gruppe sowie mit Passanten gebe ihm extrem viel zurück. Die strahlenden Gesichter der Passanten und Surferinnen seien für ihn stets persönliche Höhepunkte seiner Zeit an der Brücke – «insbesondere in der sonst eher verschlossenen, zurückhaltenden Schweiz».

Evolution startete bei Wanderseil und einfachem Holzbrett

Die Gruppe, die sich seit gut zehn Jahren in der Reuss vergnüge – und der Loretz seit 2017 angehört –, sei nicht die erste in Luzern gewesen, welche die Kraft der Reuss für sich nutzte. Bereits Anfang der 2000er-Jahre hätten sich experimentierfreudige Stadtluzerner in die Reuss gewagt. Loretz führt aus: «Damals waren die Surfer schlicht gestrickt. Sie nutzten Wanderseile und einfache Holzbretter.» Auch sein Vater habe zu der Gruppe gehört, die sich im «Reussbrettelen» – so nannten die Luzerner ihre Freizeitbeschäftigung – übten.

Das Bungeesurfing, wie es Luzernerinnen heute an der Geissmattbrücke beobachten können, kam im Jahre 2014 aus der Schweizer Wiegenstadt der Sportart – Bern – nach Luzern. Doch nicht alles läuft ohne Widerstand ab. Bungeesurfing sei zumindest zurzeit noch nicht vollends legal, sagt Loretz. Die Gruppe sei deswegen gleich zu Beginn ihrer Surftätigkeit aktiv auf die Stadt und die Polizei zugegangen. Dies erleichtere heute vieles.

Während beispielsweise in Bern Bungeesurfing an ausgewählten Brücken legal ablaufe, befinde man sich in Luzern zurzeit noch in einem Graubereich. Eine Legalisierung sei momentan nicht möglich. Doch die Polizei wie auch die Stadt toleriert, laut Loretz, die Wassersportart zu Füssen der Museggmauer. Um das gute Verhältnis zu den Behörden beizubehalten und die Kommunikation zu erleichtern, gründete die Freundesgruppe im Jahre 2017 den Verein Bungeesurf Luzern.

Ein zugänglicher Verein

Der Verein besteht aus 19 Mitgliedern. Das Material, mit dem die Surfer ihrem Hobby nachgehen befindet sich in Vereinsbesitz. Viel Stauraum benötigen die Surferinnen nicht. Das Material lässt sich kompakt verstauen. Die Seile stellt die Gruppe selbst her: «Für die Produktion eines Seils benötigen sechs Personen in etwa vier bis fünf Stunden. Die Materialkosten belaufen sich auf circa 200 Franken pro Stück.»

Nebst dem Seil gehören die benötigten Surfbretter sowie Sicherheitssignalisierungen zum Material. (Bild: asc)

Im Verein sind bloss die wirklich aktiven Bungeesurfer. Dies sei bewusst so, erklärt Loretz. Denn Bungeesurf Luzern solle nicht zu einem grossen losen Kuchen werden, wie er das bei vielen anderen Vereinen erlebe. Dem Verein beizutreten, nur um dabei zu sein, werde nicht gutgeheissen.

Dies solle aber nicht heissen, dass die Vereinsmitglieder sporadisch bungeesurfende Luzernerinnen nicht beim Zusammenkommen an der Brücke begrüssen würden. Dazustossen kann man – so wie Loretz dies vor sieben Jahren tat – ganz einfach: «Wir sind ein sehr unkompliziertes Grüppchen. Möchte jemand mit uns Bungeesurfen, kann diese Person uns ganz entspannt an der Brücke ansprechen.»

Dann schaue man gemeinsam nach einem passenden Termin und treffe sich dann bei der Brücke. Die Vereinsmitglieder legen grossen Wert darauf, Neulinge eingehend zu instruieren und über die Gefahren im Fluss aufzuklären. «Das Ganze ist doch nicht ganz ungefährlich», fügt Loretz an. Vor allem auch im Hinblick darauf, das gute Verhältnis mit den Behörden zu wahren, stehe Sicherheit stets an oberster Stelle.

Einzelpersonen oder Kollegengruppen, die Sicherheitsaspekte vernachlässigen, würden den Spass für alle gefährden. «Passiert etwas Gravierendes, könnten Verbote folgen. So riskieren diese Personen die ganze Freude, die durch das Bungeesurfing an der Geissmattbrücke generiert wird.» Umso lieber sei es Loretz und seinen Kollegen, wenn man sie offen anspreche und nicht auf eigene Faust etwas ausprobiere.

Die Sicherheit aller Beteiligten ist stets gewährleistet

Neben den gängigen Gefahren des Flussschwimmens, wie etwa Strömungen, Brückenpfeiler und Steinen im Wasser, bergen beim Bungeesurfing auch Schwimmer sowie das Seil ein gewisses Gefahrenpotenzial. Würde man sich im Seil verheddern, könne es schnell sehr gefährlich werden, meint Loretz.

Der Stadtluzerner erklärt, wie sicheres Bungeesurfing trotzdem gewährleistet werden kann: «Wir haben ein einfaches, aber effektives Sicherheitskonzept.» Um mit dem Surfbrett sicher auf der Reuss unterwegs zu sein, bedarf es gemäss Loretz zunächst mindestens dreier Personen. Die auf der Brücke verbliebenen Personen halten Ausschau nach potenziellen Gefahren und alarmieren die Person im Wasser, sollte sich eine Gefahrensituation – etwa eine Schwimmerin in der Fahrlinie – anbahnen.

Zudem liegen stets zwei Tauchmesser bei der Brücke, um im Falle einer Verhedderung der Bungeesurferin im Seil schnell reagieren zu können. Zusätzlich machen ein grosses Banner, Warndreiecke und Warntafeln andere Flussgänger und Passantinnen auf der Brücke auf die bungeesurfenden Luzerner aufmerksam. So soll die Sicherheit aller Beteiligten bestmöglich gewährleistet werden.

Ein Blick ins Sicherheitskonzept signalisiert, wie sich Bungeesurferinnen zu verhalten haben:

Schweizweiter Freestyle-Wettkampf ist in Planung

Bei der Frage, ob Bungeesurfing bald auch wie der grosse Bruder – das klassische Wellenreiten – bei den Olympischen Spielen vertreten sein könnte, lacht der 26-Jährige. Er erklärt, dass dafür zunächst die passende Infrastruktur fehle, um eine Expansion des Wassersports zu unterstützen. Seines Wissens baue keine Stadt Brücken nur des Bungeesurfing willens.

Das sei aber auch in Ordnung so. Seine Vision für den Sport setzt im kleineren Rahmen an: «Ein landesweiter Freesyle-Wettkampf mit anderen Schweizer Bungeesurfing-Communitys ist in Planung.» Hierbei sei es aber nicht das Ziel, die Sportart zu professionalisieren. Der Spass und das Miteinander stehen für den Luzerner Bungeesurfer im Vordergrund.

Findet an der Geissmattbrücke bald ein nationaler Wettkampf statt? (Bild: asc)

Zunächst kehrt Loretz seinem geliebten Treffpunkt für eine Weile den Rücken. Der Stadtluzerner begibt sich auf Weltreise und surft währenddessen in fernen Gewässern. Ob und wie sich seine Vision für das Bungeesurfing bis zu seiner Rückkehr an die Geismattbrücke materialisiert, steht zurzeit in den Sternen.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch vor Ort mit Nicolas Loretz, Vorstandsmitglied bei Bungeesurf Luzern
  • Medienarchiv von zentralplus
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