Stadt Luzern und Villenbesitzer «rauben» Quartier Badeplatz
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Ein Projekt zur Förderung der Natur stösst den Bewohnern des Luzerner Schönbühlquartiers sauer auf. Sie fühlen sich damit eines im Sommer beliebten Badeplatzes beraubt. Lanciert wurde das Projekt von den privaten Villenbesitzern am Matthofstrand. Mit im Boot sitzt die Stadt Luzern.
Es ist kein offizieller Badeplatz. Doch in den vergangenen Jahren wurde die kleine Wiese unter dem grossen Baum am Luzerner Schönbühlstrand immer mehr zum Freibad für die Quartierbevölkerung. Auch dank der steinernen Treppe, die dort ins seichte Wasser führt und dem weichen Sandboden, auf dem man weit in den See hinaus und entlang des seichten Ufers laufen kann. Die Mündung eines Bachs hat eine Sandbank aufgeschüttet, wo es sich super «sändelen» lässt.
Kinder, junge Erwachsene und Pensionierte bevölkern den kleinen Badeplatz heute ebenso wie Stand-up-Paddler und Leute mit Gummiboot. Man trifft sich zum Baden und zum Picknick und lässt den heissen Arbeitstag bei einem lockeren Gespräch mit den Nachbarn ausklingen.
Tonnenweise Eisenbahnschotter
Doch dieses Jahr wurde die Freude der Quartierbewohner jäh getrübt. Im Winter wurde plötzlich tonnenweise Eisenbahnschotter auf den Sandboden gekippt, Schilf angepflanzt und so eine Art kleine Lagune geschaffen. Wenig überraschend führte die Aktion für einiges Erstaunen im Quartier. Nachdem anfänglich ob des sich bietenden Anblicks noch Skepsis geherrscht hatte, zeigten sich an den spärlichen Sommertagen dieses Jahres die tatsächlichen, negativen Auswirkungen für die Leute, die dort baden.
Er habe sich an den teils scharfen Kanten der Steine den Fuss aufgeschnitten, beklagt ein Quartierbewohner vor Ort und zeigt uns die Narbe. In den vielen Jahren davor sei ihm das nie passiert. Seinen Namen will er in diesem Beitrag nicht lesen.
Danach greift der Mann ins Gebüsch und holt ein paar der Brocken heraus, die er in den letzten Wochen in vielen Stunden mühseliger Arbeit aus dem See geholt habe, um zumindest den Bereich unmittelbar bei der Treppe wieder einigermassen herzustellen. «Wirklich vorwärts kommt man nicht», sagt er. «Der Kampf Mensch gegen Bagger ist natürlich aussichtslos.» Es zeigt sich rasch: Die neuen Steine im Wasser beschäftigen die Leute im Quartier.
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Kaum Informationen im Vorfeld?
Was den Mann besonders stört ist, dass man weder über das Renaturierungsprojekt informiert noch das Gespräch mit den Betroffenen gesucht, sondern einfach Tatsachen geschaffen habe, wie er kritisiert. «Weil die Steine eine gewisse Gefahr für Stand-up-Paddler bedeuten, haben einige von ihnen zur Markierung mit der Zeit kleine Haufen zusammengetragen, die über das Wasser ragen.»
Für die Koordination des Projekts ist vonseiten der Stadt Stefan Herfort zuständig. Herfort ist stellvertretender Leiter der Dienstabteilung Natur- und Landschaftsschutz. Den Vorwurf, wonach nicht genug informiert worden sei lässt er nicht gelten. Er macht klar, dass es sich bei der neuen sogenannten Buhne vor dem beliebten Badeplatz um einen Teil eines grösseren privaten Renaturierungsprojekts der Grundstückeigentümer am Matthofstrand, unmittelbar südlich des kleinen Badeortes, handelt. Für die Öffentlichkeit ist dieser Uferbereich nicht zugänglich (siehe Karte).
Was die Kommunikation betrifft, sei das Bauvorhaben vom 22. August 2018 bis 10. September 2018 öffentlich aufgelegen und am 18. August 2018 im Kantonsblatt publiziert worden. Die direkt betroffenen Grundeigentümerinnen seien zudem direkt angeschrieben worden. Einsprachen habe es keine gegeben. Im Januar 2020 habe man dann mit der Umsetzung des Projekts begonnen. «Da es sich um ein privates Bauvorhaben handelt und die Stadt weder als Gesuchsstellerin noch als Grundeigentümerin betroffen ist, erfolgte vonseiten der Stadt Luzern auch keine eigenständige Kommunikation», so Herfort.
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Im Kern geht es bei dem Gesamtprojekt laut Herfort um den Bau von zwei Bootshäusern am privaten Uferabschnitt und die naturnahe Neugestaltung des vorgängig vollständig verbauten Ufers. «Die Uferrenaturierung betrifft den gesamten Abschnitt entlang des Matthofstrands. Im Zuge des Vorhabens wurde das Seeufer auf einer Länge von fast 200 Metern ökologisch und landschaftlich aufgewertet. Die Wiederansiedlung von Schilf wurde in verschiedenen Abschnitten der Flachwasserzone mit Initialpflanzungen unterstützt», so Herfort. Die Steinhaufen dienten dabei als Wellenschutz, was fachlich begründet sei. Zudem müssten sie eine gewisse Stabilität aufweisen. Feineres Gestein wäre laut Herfort weggeschwemmt worden.
Die ebenfalls vom Quartierbewohner geäusserte Kritik, wonach das Renaturierungsprojekt von den Liegenschaftsbesitzern quasi als Kompromiss für die Baubewilligung des Bootshauses realisiert wurde, weist Herfort entschieden zurück.
Stadt zu den Verletzungen: «Baden erfolgt auf eigene Verantwortung»
Mittlerweile wurden aufgrund von Rückmeldungen von den privaten Projektinitianten fixe Markierungen angebracht, mit welchen die Aufschüttungen bei hohem Wasserstand besser kenntlich gemacht werden sollen. Dass es aber bereits zuvor zu Verletzungen gekommen ist, ist Stefan Herfort von der Stadt bekannt. An die Adresse der Betroffenen hält er fest: «Grundsätzlich handelt es sich beim Vierwaldstättersee beziehungsweise beim Luzerner Seebecken um ein Naturgewässer. Ebenso grundsätzlich erfolgt das Baden im See eigenverantwortlich und mit der nötigen Vorsicht.»
Herfort betont, dass es sich beim Schönbühlstrand um keinen offiziellen öffentlichen Badeplatz handelt. Die kleine Wiese ist in Privatbesitz der Familie von Schumacher. Ausserdem hält Herfort fest, dass immer damit zu rechnen sei, dass es Steine, Äste oder Muschelschalen am Seegrund hat, an denen man sich verletzen könne. «Diese Strukturen sind aber zusammen mit der vielfältigen Unterwasservegetation aus Armleuchteralgen und Laichkräutern ein ganz wesentlicher Bestandteil des Gewässerlebensraumes. Deshalb sollten sie nicht entfernt werden.» Obwohl aber genau dies mit den Steinen gegenwärtig offenbar geschieht, ortet Herfort keinen Handlungsbedarf. Man werde die Situation aber im Auge behalten.
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Keine anderen Standorte geprüft
Dass man selbstverständlich nicht gegen ein tolles Renaturierungsprojekt sei, sagt auch der Quartierbewohner, mit dem wir uns vor Ort ausgetauscht haben, mit Nachdruck. Er und viele andere im Quartier stellten sich einfach die Frage, warum es ausgerechnet an besagter Stelle realisiert wird beziehungsweise nicht dort aufhört, wo die Leute baden. Zumal es etwas weiter nördlich zwischen dem dortigen kleinen Bootshafen und dem Châlet von Schumacher ebenfalls eine Flachwasserzone gibt, die von niemandem genutzt wird.
«Der Uferabschnitt nördlich des kleinen Hafens weist heute eine senkrechte Ufermauer auf. Nur mit einem Abbruch der Ufermauer und einer entsprechenden Uferabflachung wäre hier eine sinnvolle Renaturierung beziehungsweise die Förderung von Schilf möglich», schreibt Stefan Herfort von der Stadt dazu. Ein solches Vorhaben würde folglich eine eigenständige Planung und ein separates Revitalisierungsprojekt erfordern. Hinzu komme der wichtige Grundsatz, wonach bei der Förderung naturnaher Ufer «an bestehenden Naturwerten» angeknüpft werden soll.
Natur soll sich weiter ausdehnen – und auch der Entenfloh?
Herfort stellt weiter klar, dass bei dem Badeplatz betreffend Natur in nächster Zeit wohl noch einiges gehen wird. «Mit der Ausgestaltung der Buhnen und den zusätzlichen Schilfbepflanzungen wurden Voraussetzungen geschaffen, dass sich hier mittel- bis langfristig wieder ein grösserer zusammenhängender Schilfbestand entwickeln kann. Zusammen mit dem bereits im Wasser liegenden Rauhbaum kann hier ein wertvoller Lebensraum für Fische, Wasservögel und Kleintiere entstehen», blickt er voraus. Der Mensch sei «Gast» in diesem Raum.
Ob sich die Quartierbewohnerinnen daran erfreuen werden, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Zumal man sich unter anderem vor Entenflöhen fürchte, die sich hier jetzt ebenfalls ansiedeln könnten, wie «unser» Quartierbewohner erzählt.
Bei der Stadt zeigt man sich auch davon wenig beeindruckt: «Auch mit den ergriffenen Massnahmen ist der Zugang für Badende über die Treppe zum See weiterhin gut möglich», so Stefan Herfort. Und auch der gesamte nordwestlich angrenzende Flachwasserbereich bis zum Bootssteg könne wie bis anhin genutzt werden. Ausserdem gebe es andere grössere Uferabschnitte, die ohne Einschränkungen zum Baden und Ähnlichem genutzt werden können.
Mehr Privatsphäre dank mehr Natur?
Halten wir fest: Dahingehend, dass die Natur und die Umwelt geschützt und gefördert werden müssen, sind sich im Grundsatz alle einig. Aber wie in Millionen anderer Fälle kommt es nun auch hier zu einem Nutzungskonflikt. Die Interessenlage präsentiert sich für den aussenstehenden Beobachter zumindest ungewohnt. Auf der einen Seite die gutbetuchten Grundstückbesitzerinnen, die grosszügig das Renaturierungsprojekt finanzieren, auf der anderen Seite die «einfachen» Quartierbewohner, die sich damit ihres beliebten Badestrands beraubt sehen.
So erkennt der aufmerksame Zuhörer im Gespräch mit dem Quartierbewohner die zwar leise, aber doch klar geäusserte Kritik, wonach die Eigentümer der Villen allenfalls nicht komplett uneigennützig gehandelt haben. Ihnen dürfte es womöglich entgegenkommen, wenn das Baden und «Böötlen» entlang der Uferzone durch die Buhnen und das Schilf weniger attraktiv, wenn nicht sogar fast verunmöglicht wird, wie man im Quartier moniert. Ihrer Privatsphäre dürfte dies jedenfalls nicht abträglich sein.
Und der Stadt kommt das Projekt insofern entgegen, als das Bau- und Zonenreglement verlangt, «dass Uferbereiche unter Berücksichtigung der landseitigen Nutzungen ökologisch und landschaftlich aufzuwerten sind». Mit dem privat finanzierten Projekt konnten die Verantwortlichen im Stadthaus dies nun umsonst vorantreiben.
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