Unterwegs mit «Nez Rouge»

Sie sorgen mit ihrem Einsatz für sichere Strassen

Die «Nez Rouge»-Fahrer bringen alkoholisierte Personen über die Festtage sicher nach Hause. (Bild: kap)

Während Luzern im Festtagsfieber ist, chauffieren Freiwillige so manchen Beschwipsten nach Hause. Die «Nez Rouge»-Fahrer sorgen nicht nur für mehr Sicherheit, sie schenken den Menschen auch ein Lächeln – und manchmal eine kleine Überraschung.

Es ist ein Abend kurz vor Weihnachten. Draussen ist es kalt, und ein heftiges Schneetreiben hält die Verkehrsbetriebe Luzern mit Verspätungen auf Trab. Doch die freiwilligen Fahrer des Fahrdienstes «Nez Rouge» lassen sich davon nicht beeindrucken. Gegen 22 Uhr treffen zehn von ihnen im Gebäude des Strassenverkehrsamtes Luzern in Kriens ein. Ihre Mission: Personen, die nicht mehr fahrtüchtig sind, sicher nach Hause zu bringen. Noch ist es ruhig, einige Freiwillige vertreiben sich die Zeit mit einem Jass.

Zu den Freiwilligen gehören auch Roger Achermann und Denis Bucher. Die beiden Mittvierziger sind seit 13 Jahren für den Fahrdienst im Einsatz. Sie sind ein eingespieltes Team, denn sie kennen sich seit dem Kindergarten in Ebikon. Warum sie sich an Weihnachten oder Silvester die Zeit nehmen, Betrunkene nach Hause zu fahren, statt mit der eigenen Familie oder Freunden zu feiern? «Wir wollten einmal etwas anderes machen», erklärt Roger Achermann. So setzten sie sich an einem Silvesterabend hinter das Steuer. Seitdem fahren sie Jahr für Jahr für «Nez Rouge». «Wir wurden so gut aufgenommen, es ist wie eine Familie», fügt Bucher an.

Roger Achermann (links) und Denis Bucher sind seit 13 Jahren Freiwillige beim Fahrdienst «Nez Rouge». (Bild: kap)

Junge Frau handelt verantwortungsbewusst

Es ist mittlerweile 22.30 Uhr. Das Thermometer zeigt ein Grad, das Schneetreiben hat nachgelassen. «Wir haben Glück mit dem Wetter», bemerkt Achermann, der am Steuer seines Privatwagens sitzt. Neben ihm übernimmt Bucher die Navigation. Sie dürfen den ersten Einsatz des Abends ausführen: Eine junge Frau aus Eich hat angerufen.

Achermann parkiert sein Auto auf dem verschneiten Parkplatz eines Schulhauses, wo die Anruferin warten soll. Sie ist noch nicht zu sehen. Achermann zückt eine Zigarette. Wartezeiten gehören dazu, etwa weil noch nicht alle ausgetrunken haben oder weil die Gesellschaft sich verabschiedet.

Kurze Zeit später kommt eine blonde Frau ohne Jacke aus dem Gebäude heraus, ihr Styroporbecher ist noch immer halb mit Glühwein gefüllt. Die Stimmung ist heiter. «Das glaub ich ja nicht», sagt die Frau, die sich später als Michele vorstellen wird, sichtlich überrascht, dass gleich mehrere Personen auf sie warten.

«Wie geil ist das denn?»

«Ich hole noch meine Jacke», sagt Michele und will zurück ins Gebäude. Bucher hält sie auf und fragt, welches Auto ihres sei. Der Schnee hat Micheles Wagen in ein weisses Kleid gehüllt, von dem Achermann den Schnee mit einem mitgebrachten Eiskratzer entfernt.

Wenig später setzt sich Denis Bucher ans Steuer von Micheles Auto, während die Besitzerin auf dem Beifahrersitz Platz nimmt. Kindheitsfreund Achermann fährt mit seinem Privatauto hinterher. So kommt die Besitzerin heil nach Hause und eben auch ihr Auto. «Wie geil ist das denn?», schwärmt Michele. «Das ist mein Auto, das ist nachher sicher daheim, ich bin sicher daheim.»

Michele nimmt den Fahrdienst von «Nez Rouge» ein erstes Mal in Anspruch. (Bild: kap)

Die Pflegefachfrau und ehemalige Guuggenmusigerin nimmt die Dienstleistung von «Nez Rouge» nach einem Überrraschungsanlass für die die aktiven Guuggenmusiger ein erstes Mal in Anspruch. Morgen habe sie frei, erklärt Michele, nachher müsse sie über ganz Weihnachten arbeiten. Sie streckt ihren Kopf zu Bucher und fragt: «Warum machst du das?» «In erster Linie, damit du sicher nach Hause kommst», erklärt dieser.

Zum Abschied gibts eine Flasche Wasser

Nach einer kurzen Fahrt stellt Bucher das Auto auf Micheles Parkplatz ab. Achermann folgt direkt dahinter. Michele fragt mehrmals, ob sie den Fahrern etwas bezahlen könne. «Wir nehmen es gerne entgegen, aber wir geben es weiter», erklärt Bucher. Die Spenden tragen zur Deckung der Kosten bei; ein Teil stammt auch von Sponsoren wie der Brauerei Eichhof. Überschüsse werden an gemeinnützige Organisationen gespendet.

Zum Abschluss überreichen die Fahrer Michele einen Papiersack mit einem Dankeschön. «Wirklich? Ich bekomme ein Geschenk, dass ihr mich nach Hause fährt?», fragt Michele verwundert. Die gut gelaunte Kundin öffnet den Papiersack, leuchtet mit einer Lampe hinein und entdeckt dort eine Wasserflasche. «Mineral, dass kann ich brauchen», sagt sie, lacht und verabschiedet sich.

Ein ruhiger Abend

Bucher steigt nun wieder in Achermanns Auto, kurz darauf fährt dieser los. «Das macht Spass mit so Leuten», sagt Bucher, Achermann nickt zustimmend. Wenig später stellt Achermman den Wagen auf einem Parkplatz ab. Noch ist unklar, wohin es weitergeht. Achermann und Bucher steigen aus, stellen sich vor einem Christbaum nebeneinander, denn es ist Zeit für das gemeinsame Selfie. Eine Tradition, wenn die beiden zusammen unterwegs sind.

Wenig später ist klar: Die beiden Freiwilligen müssen zurück in die Zentrale nach Kriens fahren. Es gibt derzeit keine offenen Aufträge.

Eingesunken im Stuhl warten dort auch die Fahrer Peter Huwiler und Stefan Lüscher auf den nächsten Auftrag. «Das ist das Mühsame», sagt Ersterer. Sie seien froh, wenn sie fahren könnten. «Wenn wir herumsitzen, werden wir nur müde.» Es ist relativ ruhig an diesem Abend, fast sinnbildlich für die Entwicklung der vergangenen Jahre.

Halb so viele Fahrten wie vor der Pandemie

Im Jahr 2023 hat «Nez Rouge» schweizweit 8500 Fahrten durchgeführt. Das sind nur etwas mehr als halb so viele wie vor der Pandemie, als die Organisation circa 16‘000 Fahrten jährlich durchführte. Das ist auch Peter Huwiler aufgefallen. «Das Ausgangsverhalten hat sich verändert», vermutet er, der schon seit acht Jahren für «Nez Rouge» fährt. Der Organisation geht aber keinesfalls die Arbeit aus: Für Silvester, den wichtigsten Tag für die Organisation, sucht die Organisation noch dringend Freiwillige.

Wieso die beiden für «Nez Rouge» fahren? «Dass ich an Weihnachten etwas anderes zu tun habe», sagt Huwiler und lacht. Lüscher seinerseits sagt: «Mir scheint, dass Kriege und Unsicherheiten zunehmen. Hier kann man etwas Positives und Sinnvolles machen.» Huwiler fügt an: «Wenn wir mit unserer Aktion nur einen Unfall haben verhindern können, hat es sich schon gelohnt.»

«Nez Rouge» wird nicht mehr so oft genutzt wie früher. (Bild: kap)

Zahlen aus dem Jahr 2023 zeigen die Folgen von Alkohol. 31 Todesopfer und über 500 Schwerverletzte waren 2023 die Folge von Alkoholkonsum im Schweizer Strassenverkehr. Somit sei Alkohol bei fast zwölf Prozent der Unfälle mit schweren Personenschäden die Ursache, schreibt das Bundesamt für Unfallverhütung.

Die letzte Fahrt führt ins Entlebuch

Für die Fahrer Achermann und Bucher kommt um 0.27 Uhr der nächste Auftrag. Jemand hat «Nez Rouge» nach Ebnet in Entlebuch bestellt. Es ist eine gut halbstündige Fahrt. Vor einer kleinen Holzhütte warten zwei junge Männer. Einer davon ist ein 26-jähriger Maschinenbautechniker. Auch sie haben einen Anlass der Guuggenmusig gefeiert. Dass er Alkohol getrunken hat, merkt man ihm kaum an. Doch der 26-Jährige sei vorsichtig, schon ein paar Bier «mag er nicht verliide», sagt er. Zudem sei er auf den Fahrausweis angewiesen. Daher sei er schon mehrmals mit «Nez Rouge» gefahren.

Mittlerweile ist es kurz vor halb zwei. Achermann und Bucher haben Silvan und seinen Kollegen an ihren Wohnorten abgeladen. Auf dem Rückweg nach Kriens sagt Achermann in Anbetracht des recht fitten Eindrucks der letzten Fahrgäste: «Wahrscheinlich wäre ihnen nichts passiert. Trotzdem haben sie ‹Nez Rouge› bestellt. Schon so vernünftig in jungen Jahren.» Um 2.01 Uhr biegt Achermann in die Arsenalstrasse ein. Mittlerweile hat sich das Lokal im Strassenverkehrsamt geleert, denn an diesem Sonntagabend hat «Nez Rouge» nur Anrufe bis 1 Uhr entgegengenommen. Somit ist auch Feierabend für Achermann und Bucher. In der nächsten Woche werden die beiden aber nochmals im Einsatz stehen und Betrunkene nach Hause chauffieren.

Verwendete Quellen
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