Sie produzieren die grössten Ostereier der Zentralschweiz
Rita und Herbert Jung-Sattler betreiben die Straussenfarm seit 2008. (Bild: Marjana Ensmenger)
Auf einem kleinen Hügel bei Müswangen im Luzerner Seetal regt sich das Leben: Straussenhälse tanzen im Takt des Windes, Eier gross wie Helme ruhen in Brutkästen. Ein Besuch auf der Straussenfarm der Familie Jung-Sattler.
Es ist einer dieser Frühlingstage, an denen die Sonne fast schon zu viel will. Der Himmel spannt sich stahlblau über die Felder, die Luft riecht nach Gras, Erde und Staub. Kaum sind wir auf dem Hof in Müswangen angekommen, strecken sie uns schon ihre langen Hälse entgegen: junge Strausse, neugierig, forsch, auf kräftigen Beinen. Ihre Schnäbel tasten durch den Zaun, als wollten sie sagen: Wer bist du?
Die Tiere sind das Herzstück der Straussenfarm, die Rita (50) und Herbert (53) Jung-Sattler 2003 übernommen haben. Damals noch mit Kühen, doch zehn Hektaren reichten nicht, um eine Familie zu ernähren. Der Entscheid fällt auf eine exotischere Richtung: zuerst Rinder und Strausse. «Wir wollten nebenberuflich etwas machen, das zu uns passt – und das sich rechnet», sagt Rita.
Die ersten Jungstrausse kauften sie im Jahre 2008 zu, aus diesen Hennen schlüpften im 2011 die ersten Straussenküken. Heute leben rund 80, teilweise gar 100 Tiere auf dem Hof. Sechs Mast-/Zuchtgruppen auf zwei Hektaren Weide, eine Kükengruppe direkt neben dem Haus. Auch Truten gehören mittlerweile dazu. Anders als das oft verschriene Massenprodukt leben sie mit viel Auslauf. Das merke man auch der Qualität des Fleisches an, erzählen die Landwirte.
Feder- und gleichzeitig Familienarbeit
Die Familie ist ein eingespieltes Team: Rita arbeitet 50 Prozent als Buchhaltungsverantwortliche in einem Metallbaubetrieb, ihr Mann ist Fachmann für Wärmepumpen im 80-Prozent-Pensum. Die restliche Zeit gehört den Tieren. Tochter Aline, 19, hat den Hofladen 2021 als Abschlussprojekt umgebaut und hilft bei der Brut mit. Sohn Manuel, 21, packt tatkräftig bei der Tierhaltung und den Feldarbeiten an. «Unser Tag endet erst, wenn alle Tiere versorgt sind», sagt Rita.
Die Hauptbrutzeit ist von April bis Oktober. Eine Straussenhenne legt in dieser Zeit bis zu 50 Eier. Sechs Wochen dauert es, bis aus einem befruchteten Ei ein Küken im Brutkasten schlüpft. Während den ersten 39 Tagen werden die Eier konstant auf einer Temperatur von 36,8 Grad Celsius gehalten und regelmässig gewendet. Die restlichen Tage verbringen sie in einem Schlupfkasten. Dort wird die Luftfeuchtigkeit erhöht und die Temperatur leicht gesenkt.
«In dieser Zeit müssen Küken die dicke Schale knacken, manchmal braucht es von uns etwas Unterstützung, damit sie es auch nach draussen schaffen», sagt Rita. Nicht jedes Ei bringt Leben hervor: Rund zwei Drittel schaffen es nicht. «Das erste Küken schlüpfte 2011 auf unserem Hof. Ein magischer Moment. Plötzlich wussten wir: Das funktioniert.»
Zur Osterzeit steigt die Nachfrage sprunghaft. «Man sitzt mit der Familie zusammen und möchte etwas spezielles erleben. Ein einziges Straussenei reicht für bis zu zehn Personen. Wer eines verarbeiten will, braucht eine Bohrmaschine mit Kronenbohrer – und Geduld. Das Eiweiss bleibt beim Erhitzen glasig, der Geschmack erinnert an ein besonders zartes Hühnerei. Familie Jung-Sattler kocht aus ihren Strausseneiern Omeletten, Spätzli, Rührei. «Unser Schwager hat einmal ein ganzes Ei alleine essen wollen», lacht Rita. «Er hat es nicht geschafft.»
Von Straussenhahn-Kämpfen, Kunden und der Schlachtung
Auf der Weide zeigen sich die Tiere an diesem Nachmittag in Frühlingslaune. Nur ein Hahn bleibt auf Abstand. Mit aufgestellten Federn taxiert er Rita, verfolgt jede Bewegung. Vor Jahren hat sie ein Ei aus einem Nest gestohlen – das hat er nicht vergessen. «Er hat mich mit seinen langen Beinen angegriffen. Ich konnte flüchten, aber die blauen Flecken blieben.» Die Erinnerungen daran ebenfalls. Die Tiere sind Wildtiere. «Man darf sich nichts vormachen. Eine Beziehung wie zu einer Katze oder einem Hund ist nicht möglich.»
Auch bei der Schlachtung sind Manuel und Herbert mit dabei. «Es ist uns wichtig, dass das respektvoll geschieht, und Menschen dabei sind, die die Tiere kennen», sagt Rita. Geschlachtet wird in Beinwil, verarbeitet in Ballwil. Das Fleisch kommt unter anderem als Mischpaket an den Verkaufstagen oder mit Einzelpaketen in den Hofladen oder zu lokalen Restaurants: Geschnetzeltes, Hackfleisch, Steak, Filet, Wurst. Die Nachfrage ist gross, Eier müssen oft vorbestellt werden.
Gefüttert wird mit Gras, Silage, Maissilage, Graswürfeln und Wasser – und bis zu zwei Zentimeter grosse Kieselsteine. «Die brauchen sie zur Verdauung. Das wäre in der Natur auch so.» Im Sommer ist der Aufwand mit der Brut intensiver, im Winter die Arbeit auf der Straussenfarm. Dunkelheit, Kälte, Bürojobs. «Zwei Stunden pro Tag sind es trotzdem – mindestens.»
Die Farm soll in der Familie bleiben
In der Schweiz gibt es rund ein Dutzend Straussenfarmen. Viele Konsumentinnen und Konsumenten sind nicht bereit, den Schweizer Preis zu zahlen. Darum setzen Jungs auf Direktvermarktung und lokale Kunden. Der Austausch unter Berufskollegen ist wichtig. Konkurrenzdenken? «Dafür sind wir zu wenige.»
Wie sich der Hof entwickelt, ist offen. Sicher ist: Jung-Sattlers machen mit viel Herzblut weiter und vielleicht ergebe sich die Möglichkeit, einmal den Hof zu vergrössern, «Einfach so, dass es für uns stimmt», sagt Rita. Die Strausse nicken. Oder vielleicht war das doch nur der Wind.
Doktorandin an der Universität Luzern mit besonderem Interesse für Themen der Ungleichheits- und Geschlechterforschung. Schreibt seit 2018 als freie Journalistin für zentralplus und begeistert sich vor allem für gesellschaftliche und sportliche Themen. Liebt Fussball, seit sie denken kann. Ist Mutter von zwei Mädchen.