Eine Kletterlehrerin hat in Root ein Projekt gestartet, das Menschen mit Behinderung das Klettern ermöglicht. Das Ausmass des Erfolgs überrascht sie selbst.
In der Kletterhalle Pilatus Indoor in Root können alle klettern gehen – auch Menschen im Rollstuhl. Das ist in der Schweiz durchaus ungewöhnlich. Für Menschen mit Behinderungen ist in den meisten hiesigen Kletterhallen nicht die Wand die grösste Herausforderung, sondern das Hineinkommen ins Gebäude.
Caroline Käser setzt sich in Root für inklusiven Klettersport ein. Seit einiger Zeit bietet sie dort Kurse an für Kraxelbegeisterte, die sich trotz einer körperlichen oder geistigen Beeinträchtigung an den kalküberzogenen Griffen versuchen wollen. Jetzt will sie das Angebot ausbauen und in andere Schweizer Kletterhallen tragen.
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was Caroline Käser auf die Idee der barrierefreien Kletterkurse gebracht hat
Einarmige, Rollstuhlfahrer und Blinde klettern in Root
Die Kletterkurse sind im wahrsten Sinne für alle und jede. «Bei uns klettern Rollstuhlfahrerinnen, Menschen mit nur einem Arm, mit kognitiven Einschränkungen oder Sehbeeinträchtigungen», so Käser. Bei den Kursen sei es egal, was für eine Behinderung jemand habe. Je nachdem haben Kursteilnehmer eine engere Betreuung oder können eigenständiger die Wände hoch.
Das Angebot von Käser ist ein Erfolg. «Sechs Paraathletinnen, die bei uns in Root angefangen haben, sind heute im Team des Nationalkaders des Schweizer Alpen-Clubs (SAC)», führt sie aus. «Hinzu kommt der ungeheure Mehrwert, der sich für Menschen mit Behinderungen ergibt, weil sie Sport machen können und sich in der Gemeinschaft des Klettersports willkommen fühlen.»
Ein Kurs vor acht Jahren war Anstoss
Angefangen habe alles vor ungefähr acht Jahren, so Käser. Damals hatte sie in einem Kinderkurs erstmals einen kleinen Kletteraspiranten mit einer Autismus-Spektrum-Störung. Plötzlich habe sie sich damit auseinandersetzen müssen, wie sie das Klettern Menschen mit ganz anderen Bedürfnissen vermitteln könne, führt die VSBK-Instrukteurin und Evolutionspädagogin aus.
Sie entwickelte ein Konzept, begann eine Zusammenarbeit mit «PluSport», dem Schweizer Kompetenzzentrum für Behindertensport, und veröffentlichte schliesslich als Co-Autorin ein Buch, das Klettern für Menschen mit Behinderungen behandelt.
«In der Erarbeitung des Konzepts habe ich zusammen mit Betroffenen viel ausprobiert, um herauszufinden, was funktioniert», erzählt Käser. Das heutige Angebot in Root basiere auf dieser Arbeit.
Erst Unsicherheit, dann Bewunderung
Als sie mit den Kursen begonnen habe, seien Mitarbeiter und Besucherinnen der Halle etwas verunsichert gewesen, wie sie mit den neuen Kletterbegeisterten umgehen sollten, so Käser. «Die Hemmschwelle war gross, es gab Berührungsängste.» Heute sei das anders. «Es hat sich eine grosse Akzeptanz entwickelt», weiss die Kletter-Expertin.
Schnell seien die angestammten Gäste der Kletterhalle von ihren eingeschränkten Kletterkolleginnen beeindruckt gewesen, erzählt Käser weiter. «Wenn jemand vom Rollstuhl direkt an die Wand geht und beginnt, sich nach oben zu arbeiten, stösst dies bei vielen nach wie vor auf grosse Bewunderung.»
Senioren freuen sich über Änderungen
Käsers Engagement hat nicht nur das Besucherbild der Kletterhalle in Root verändert, sondern auch die Halle selbst. So haben sie im Laufe der Zeit einige Adaptionen gemacht, beispielsweise bei den Klettergriffen. Diese sind im Einstiegsbereich teilweise enger zusammengerückt und grösser, damit das Anfangen etwas leichter ist.
Sie hätten dies ursprünglich für die Beeinträchtigten gemacht. Diese Veränderungen begrüssten aber auch andere Besucher der Halle. «Viele Kinder und Senioren hatten Freude an den Änderungen, weil sie ebenfalls von den leichteren Einstiegen profitierten», sagt die Kletterlehrerin. Nebst den einfacheren Routen hat es in Root auch anspruchsvollere Kletterwände, an welchen unter anderem die Paraathleten der olympischen Teams üben.
Sammelaktion sichert Zukunft des Projekts
Die Halle in Root ist schweizweit eine Seltenheit. Die meisten Kletterhallen sind nicht rollstuhlgängig. Behindertenklettersport ist wenig verbreitet. Käser will das ändern. Dazu hat sie ein Crowdfunding gestartet und möchte ihr Paraclimbing-Projekt in die fünf grössten Kletterhallen des Landes bringen.
Mit ihrer Idee ist Käser auf gutem Kurs. Innerhalb weniger Tage hat die Sammelaktion bereits den Mindestbetrag von 3000 Franken geknackt. Dieses Geld brauchte Käser im Minimum, um das Angebot in Root aufrechterhalten zu können. Am Mittwochabend steht der Zähler der Sammelaktion bei knapp über 8000 Franken.
Käser ist vom Erfolg überrascht
Mit einem solchen Erfolg hat die Initiantin des Projekts «Inklusion im Klettersport» nicht gerechnet. «Ich bin wahnsinnig berührt», erzählt sie. «Niemals hätte ich gedacht, dass so viel Geld zusammenkommt.» Die Unterstützung kommt dabei von vielen verschiedenen Seiten.
Es sei lange nicht nur ihr Umfeld, welches die Idee unterstütze, so Käser. Nicht zuletzt seien es auch Menschen mit Behinderungen, die Geld spenden würden. «Wenn jemand mit einer IV-Rente 20 Franken für das Projekt gibt, dann ist das für diese Person teures Geld. Das bedeutet mir sehr viel», führt sie aus.
So will sie das Geld verwenden
Die Sammelaktion geht noch bis Ende Jahr. 60 Prozent des Geldes fliesst in das bestehende Angebot in Root, mit den anderen 40 Prozent will Käser ihr Modell ausbauen. Wie der Betrag konkret eingesetzt wird, ist noch nicht klar.
Viele Kletterhallen verfügen nicht über die finanziellen Mittel, selbst inklusive Projekte umzusetzen. Deshalb sei es entscheidend, zunächst die nötigen Ressourcen zu sichern, bevor handfeste Pläne ausgearbeitet werden könnten, so Käser. Eines weiss die Urheberin des Projekts aber aus Gesprächen mit mehreren Hallenbetreibern: Das Interesse, inklusive Angebote zu lancieren, ist vorhanden.
Nathan Affentranger ist seit März 2024 Praktikant bei zentralplus. Er hat einen Entlebucher Dialekt, eine Antipathie für Beamtensprache und ein Masterdiplom in Philosophie. Am liebsten schreibt er über die kleinen Absurditäten des Alltags.