Raphael Fasko und Martina Tüscher mit ihrem Yak Lingling. (Bild: mik)
Immer mehr Bauernkinder flüchten von den Höfen, gleichzeitig können immer mehr angehende Bauern keinen Hof erben. Damit herrenlose Höfe und Landwirte zusammenkommen, lanciert ein Verband Parship für die Hofvermittlung.
Eine Ergotherapeutin und ein Nachhaltigkeitsberater aus der Stadt Bern wollen Landwirte werden. Nur: Beide sind nicht in einer Bauernfamilie aufgewachsen. Entsprechend fehlt ihnen der Hof.
Mit diesem Wunsch sind sie nicht allein. Immer mehr Menschen fangen eine Lehre als Bauer an. Zeitgleich gehen jährlich mehr als 500 Betriebe zu, weil die Bauernkinder lieber im Büro arbeiten als auf dem Heuboden. Gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik von 2016 ist bei mehr als der Hälfte aller Bauern über 50 Jahren ungewiss, ob sie ihren Bauernhof innerhalb der Familie weitergeben können. Neuere Zahlen gibt es nicht.
Bauernkinder flüchten vom Hof, Nichtbauern wünschen sich sehnlichst einen. Um beide zusammenzubringen, hat die Kleinbauernvereinigung eine Art Parship für die Hofvermittlung gegründet. Wie das funktioniert, zeigt das Beispiel von Martina Tüscher und Raphael Fasko, der Ergotherapeutin und dem Nachhaltigkeitsberater. Sie haben einen Hof gefunden, weit abgelegen, in Schwarzenberg.
Bei einer Auszeit packte sie es
«Ich habe einen Sommer lang auf der Alp mitgeholfen. Beim Käsen, beim Geissenhüten. Da hats mir total den Ärmel reingenommen.» Eigentlich ist die 34-jährige Martina Tüscher gelernte Ergotherapeutin. Nach mehreren Jahren Arbeit nahm sie eine Auszeit. Sie meldete sich auf einer Geissenalp.
Dort verliebte sie sich in die Arbeit in der Natur, mit den Tieren, fernab von der Stadt Bern, wo sie wohnte. Zurück im Berufsalltag merkte sie schnell, dass sie den nächsten Sommer wieder auf die Alp möchte. Das Hin und Her zwischen zwei Jobs war nichts für sie – sie startete eine Zweitausbildung zur Landwirtin.
Der 42-jährige Raphael Fasko kam über den Zivildienst zur Landwirtschaft. Der Nachhaltigkeitsberater landete damals auf einem Bergbauernhof mit Yaks. Einer der Arbeiter bot später ein Yaktrekking an, er half bei einem Testlauf als Hirte mit. «Da hats mir den Ärmel reingenommen», zitiert Fasko seine Partnerin.
So sehr, dass er eigene Yaks kaufte und neben seiner 80-Prozent-Beraterstelle jeweils zwei Monate im Sommer eigene Trekkings anbot. Die restlichen Monate verbrachten die Tiere bei Freunden auf ihrem Hof.
Unabhängig voneinander sehnten sie sich nach der Landwirtschaft. Als sich das heute verheiratete Paar in Bern kennenlernte und zusammenkam, einte beide eine Liebe zur Natur und zu den Bergen. Bis zu einem spezifischen Moment, erinnert sich Fasko: «Wir haben uns angeschaut und gefragt: Haben wir eine Idee für einen gemeinsamen Hof?»
Rinder im Stall statt Bürohengste
Gut zweieinhalb Jahre später führt das Ehepaar zentralplus überdiesen Hof: ein Bauernhaus mit grosszügigem Umschwung, eine Scheune für die Tiere, darüber ein Heuboden und daneben ein kleiner Werkzeugschuppen. Die Neobauern betreiben den Bauernhof Weidboden nahe Schwarzenberg nun inzweiter Saison.
Statt Hemd und schicker Hose tragen sie Faserpelze, in denenHeu hängt, und laufen in Gummistiefeln herum. Statt mit lästigen Kunden oder Mails schlagen sie sich mit Yaks herum, die ihnen bei der Stallführung den Weg versperren. Zumindest grösstenteils. Fasko arbeitet noch 40 Prozent in seinem Bürojob. Künftig will er sich ganz dem Hof widmen.
Insgesamt hält das Paar rund drei Dutzend Yaks auf dem Hof. Eine Herde von sechs Yaks für Trekkingtouren, eine Mutterkuhherde für die Fleischproduktion. Von den Yaks verwenden sie nicht nur das Fleisch, sondern auch das Fell, das sie via Instagram direkt verkaufen. Wer in der Herde das Sagen hat, zeigt sich schnell. Fasko und Tüscher brauchen im Stall nur zu schnalzen oder den Tieren leicht auf die Seite zu klopfen, und die Rinder machen eine Schneise frei. Wie die Jugendlichen vor dem Boxautomaten, wenn die Security vorbeikommt.
Parship für herrenlose Höfe und Möchtegernbauern
Der Weg zum Hof war nicht einfach. Von der Idee bis zur Schlüsselübergabe vergingen mehrere Jahre. Ein eigener Hof will gut überlegt sein: «Uns war bewusst, mit der Landwirtschaft werden wir tiefere Löhne haben, mehr Arbeiten und längere Tage haben», so Fasko. Trotzdem sollte sich der Hof rentieren. «Mir war wichtig, dass wir uns nicht in ein finanzielles Drama begeben.»
Als das grobe Konzept – Yakhaltung für Fleischproduktion und Pflanzenanbau – stand, ging es an die Hofsuche. Sie studierten viele Inserate in Zeitschriften wie der «Tierliebe» oder der «Bauernzeitung». Gefunkt hat es nie. Schliesslich seien sie auf die Hofvermittlung der Kleinbauernvereinigung gekommen, so Tüscher. Sie füllten für ihr Profil einen langen Fragebogen aus: Welche Betriebszweige streben sie an, was ist ihre Motivation, wie wollen sie das finanzieren? Alles Fragen, die sie erneut zum Nachdenken gezwungen haben und ihr Hofprojekt konkreter werden liess.
Als sie ihr Profil für die Hofvermittlung ausgefüllt hatten, hiess es, auf den passenden «Match» zu warten. Also ähnlich wie Tinder? Eher wie Parship, so Fasko. «Es ist kein grosser wilder Bazar, sondern eine gezielte Vermittlung.» Während bei öffentlichen Ausschreibungen bis zu 150 Interessenten anklopfen könnten, vermittle die Kleinbauernvereinigung zwischen zwei und fünf passenden Profilen.
Durch diese gezielte Hilfe würden vor allem Bauern von der Plattform profitieren, die ihren Hof abgeben wollen würden, ist Tüscher überzeugt. Besonders wegen der Anonymität. Sie werden nicht mehr vom ganzen Dorf bequatscht, das gern den eigenen Hof erweitern möchte. Die Folgeregelung sei schon schwer genug. Besonders, wenn die eigenen Kinder nicht zur Verfügung stehen. «Du gibst dein Lebenswerk an einen Fremden weiter.»
Was die Übergabe zudem beschwert: Mit der Pension wollen Bäuerinnenmeist trotzdem auf dem Hof weiterleben. Das Wohnhaus ist oft Eigentum und zugleich Altersvorsorge. Umso wichtiger also, dass es mit den Nachfolgern matcht.
Keine Liebe auf den ersten Blick
Zwischen den Quereinsteigern und dem Weidboden war es keine Liebe auf den ersten Blick. Vom ersten Telefonat bis zur Unterschrift verging ein weiteres Jahr. Denn der Chrigel auf dem Vertrag ist eine grosse Entscheidung: «Du schaust dir den Betrieb an und fragst dich: Wollen wir wirklich 30 Jahre unseres Lebens hier verbringen?», so Tüscher.Waren ihre Wünsche – etwa der Anbau von Kräutern – auf dem Landstück überhaupt möglich? Reicht der Ertrag, damit beide Vollzeitlandwirte sein können? Beides liessen sie mit Experten zuerst abklären, bevor sie dem Hof das Jawort gaben.
Dass der Hof so weit abseits liegt, war für das Paar kein Problem. Zwar ist der Weg weit: Von Schwarzenberg aus fährt man noch zehn Minuten weiter durch Waldpfade. Aber trotzdem könnten sie, wenn sie das Gewusel vermissten, in einer halben Stunde in der Stadt sein. Diese Nähe zur Stadt samt der unberührten Natur habe sie letztlich überzeugt.
Auch von der anderen Seite stimmte die Chemie. Dass die Stiftung hinter dem Hof sich für sie entschieden habe, habe wohl mit ihrer sehr genauen Vorstellung von «ihrem» Hof zu tun – sie hatten bereits einen Businessplan parat. «Viele haben einfach mal eine romantische Idee eines Bauernhofs, aber es klappt nicht, weil noch viel fehlt. Die konkrete Idee oder das Geld dafür», so Fasko.
Keine Reue für den Entscheid – im Gegenteil
Trotzdem versprüht der Bauernhof über dem Schwarzenberg etwas romantisierende Bauernhof-Kinderbuch-Idylle: Lauscht man den Geräuschen, hört man das Plätschern eines Brunnens, ein paar summende Bienen, selten ein Flugzeug, das über die Köpfe hinweg rauscht. Abwechslungsreich riecht es nach Mist, Heu, Wald und Stroh. Auch die obligate Hofkatze räkelt sich zufrieden im Kies.
Ganz ohne Romantik funktioniert es denn auch nicht, wie Tüscher zugibt: «Ich finde, wenn das Bauern nicht auch etwas romantisch ist, dann fehlt dem megaviel.» Gechrampft werde schliesslich genug. Gerade nach dem ersten Jahr waren sie abends oft physisch erschöpft, da sie die nötigen Muskeln erst noch aufbauen mussten.
Bereut hätten sie den Entscheid jedoch keine Sekunde, wie beide versichern. «Eher beschwere ich mich, dass ich noch 40 Prozent ins Büro muss», sagt Fasko und lacht. Klar sei die Arbeit streng. Gleichzeitig zeuge der Beruf von einer grossen Vielfalt: «Wir sind Unternehmer, wir machen eine Buchhaltung, wir müssen Dinge recherchieren und Entscheide treffen. Gleichzeitig sind wir stundenlang am Jäten und schwer am Herumtragen.»
Wie es scheint, ist bei Tüscher und Fasko der Funke übergesprungen. Stand 10. Mai buhlen jedoch noch 46 weitere Paare, Familien oder Singlebauern auf der Plattform um einen Match. Und nach der Statistik von 2016 kommt bald eine Generation von Bauern ins Rentenalter, bei der die Hälfte noch nach Nachfolgern für ihren Hof sucht. Ob der Pfeil der Kleinbauernvereinigung auch dort ins Schwarze trifft?
Schreibt über Politik, Kurioses und wühlt gern in Unterlagen. Im ländlichen Luzern aufgewachsen, hat sie beim «Entlebucher Anzeiger» ihre Begeisterung für Lokaljournalismus entdeckt. Hat ein abgeschlossenes Studium in Medienwissenschaften und Englisch, und die Diplomausbildung Journalismus beim MAZ absolviert. Sie schreibt seit September 2021 bei zentralplus.