Wie die Leute auf Gilbert Schaffner reagieren

«Mein Mami wäscht dich, dann bist du wieder sauber»

Gilbert Schaffner zuhause am Esstisch. Mittlerweile haben auch manche Finger eine dunklere Farbe angenommen. (Bild: sib)

Schwarz tätowierter Kopf, schwarze Augen und keine Ohren – das Erscheinungsbild von Gilbert Schaffner ist nicht alltäglich. Im Gespräch mit zentralplus erzählt der Luzerner, was ihn dazu bewogen hat, sein Aussehen so zu verändern.

Gilbert Schaffner ist es gewohnt, dass sich die Leute auf der Strasse nach ihm umdrehen. Er sticht gleich aus mehreren Gründen aus der Masse heraus. Da wäre einmal sein Kleidungsstil: Seit über 20 Jahren trägt er Zentais, enganliegende Ganzkörperanzüge. Am augenfälligsten sind jedoch seine Tattoos: Seinen Kopf hat er komplett schwarz tätowieren lassen. Auch das Augenweiss ist eingeschwärzt.

Der 65-Jährige ist alleinstehend. Er ist in Luzern aufgewachsen und wohnt seit rund 50 Jahren an der Himmelrichstrasse. Entsprechend viele Luzerner kennen Schaffner – jedoch meist bloss sein Äusseres.

Beim Gespräch in seiner Wohnung sagt er: «Auf der Strasse angesprochen werde ich relativ selten. Oftmals sind es Touristen, die nach einem Foto fragen. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen – wenn ich jedoch im Zug sitze und es kommt eine ganze Gruppe, die mich ungefragt zu fotografieren beginnt, ärgere ich mich.»

«Bist du der Schmutzli-Chlaus?»

Auf Begegnungen angesprochen, die ihm im Gedächtnis haften geblieben sind, kommen Schaffner zuerst die schönen Anekdoten in den Sinn. Als er beispielsweise am Schwanenplatz von einem kleinen Mädchen an die Hand genommen wurde. Er solle zu ihrem Mami mitkommen: «Die nimmt dich nach Hause mit und wäscht dich – dann bist du wieder sauber», zitiert Schaffner das Mädchen lachend. Ein anderes Mal war er in der Adventszeit mit einem roten Gewand unterwegs, und hatte zudem die Kapuze auf. «Da fragte mich ein Junge, ob ich der Schmutzli-Chlaus sei. Ich war erstaunt ob der Wortkombination.»

Kürzlich sei zudem ein Betrunkener auf ihn zugekommen und habe ihn gefragt, ob er beim Ausziehen der Latex-Maske helfen könne. «Solche Erlebnisse gibt es immer wieder», sagt Schaffner. Er sei auch schon angefasst worden, um zu sehen, ob die Schminke weggeht.

Warnung vor dem «Chindlifresser»

Doch es gibt auch die Begegnungen der anderen Art, bei denen einem das Lachen im Halse steckenbleibt. Im Bus habe ein Vater einmal seine Kinder vor ihm gewarnt. «Geht nicht zu diesem Mann. Der nimmt euch mit nach Hause, kocht und isst euch», erinnert sich Schaffner und schüttelt leicht ungläubig den Kopf.

Gilbert Schaffner hatte zeitweise auch eine Wohnung über dem «Stadtkeller» gemietet. (Bild: sib)

Zumindest ungläubig haben zu Beginn auch die Tätowierer in Schaffners Studio des Vertrauens in Baden reagiert, als er den Vorschlag eines Blackout-Tattoos – also eines komplett schwarzen Tattoos – für seinen Kopf machte. Wie er auf die Idee kam, möchte er nicht näher verraten.

Gestoppt von Antibiotika-Allergie

Begonnen hat Schaffners Tattoo-Geschichte vor rund 20 Jahren, als er sich einen Samurai auf den Rücken stechen liess, der einen Drachen tötet. «Ich wollte mich eigentlich weiter tätowieren lassen, doch ich bekam eine Antibiotika-Allergie, weswegen ich eine jahrelange Pause einlegte. Als ich vor zwei Jahren pensioniert wurde, bekam ich Lust, die Tattoo-Geschichte wieder aufzugreifen. Zuerst wollte ich bloss die Augen machen lassen – erst rot, dann doch schwarz.»

«Der Körper ist für mich eine Masse, die man gestalten darf.»

Auch Schaffners Beine sind tätowiert, nun hat er begonnen, sich die Finger schwarz tätowieren zu lassen. Seit einigen Wochen trägt er zudem ein weisses Plug zwischen Mund und Kinn. Wie viel Geld und Zeit er mittlerweile in Tattoos investiert hat, könne er nicht abschätzen. «Als Grundregel kann man sagen, dass es rund eine Stunde dauert, um die Grösse einer Handfläche schwarz zu tätowieren. Jedoch ist dies immer von der Körperstelle abhängig.»

Das Bild auf sich tragend

Dass Schaffner auf Facebook seinen tätowierten Kopf als Profilbild hat, bringt ein Phänomen mit sich, für welches er selbst keine Erklärung hat: «Immer wieder erhalte ich von Personen aus der ganzen Welt Freundschaftsanfragen, die ebenfalls Gesichtstattoos haben. Keine Ahnung, weshalb.»

«Leuten, die ich von früher kenne, erkläre ich, dass ich immer noch der Gleiche bin – bloss die Verpackung ist anders.»

Den Kontakt in die Tattoo-Szene sucht er nicht, er besucht auch keine Conventions. «Andere malen Bilder und hängen diese an die Wand – ich trage die Bilder eben auf mir. Der Körper ist für mich eine Masse, die man gestalten darf», sagt er.

Die Segel sind weg

Schaffner belässt es nicht bei den Tattoos, sondern setzt auch auf Körpermodifikationen: Er hat sich die Ohren entfernen lassen. «Ich wollte diese nicht mehr. Ich hatte etwas abstehende und ungleiche Ohren. Da wurde mir jeweils gesagt, ich könne die Segel reinnehmen, es winde draussen nicht. Nun habe ich sie eben reingenommen.»

Mit dem Kopftattoo hat Schaffner erst nach seiner Pensionierung im Alter von 63 Jahren begonnen. «Ich wollte dies meinen Kunden nicht ‹antun›», erklärt der gelernte Chemielaborant und spätere Gürtler, so seine korrekte Berufsbezeichnung. «Leuten, die ich von früher kenne, erkläre ich, dass ich immer noch der Gleiche bin – bloss die Verpackung ist anders.» Bei einer Freundin haben die Worte offenbar nicht gefruchtet: Sie kündigte ihm schriftlich die Freundschaft.

Weg von den Hotels

Schaffners Vater und Grossvater gründeten 1948 eine Galvanik, veredelten also Metall, und setzten zu Beginn vor allem auf Platten und Bestecke in der Hotellerie. Doch irgendwann verschwand das Tafelsilber aus den Hotels und eine Neuausrichtung wurde notwendig.

«Ich liebe diese Stadt und fühle mich mit ihr sehr verbunden.»

«Sie setzten ab 1952 vermehrt auf die Reparatur und Restaurierung im kirchlichen Bereich», erklärt Schaffner. Er selbst musste 1974 im Geschäft einspringen, als sein Vater an Multipler Sklerose erkrankte. Die Restaurierung und Reparatur von kirchlichen Gegenständen wie Kreuzen oder Kelchen sollte Gilbert Schaffner von da an sein ganzes Berufsleben begleiten. Er hatte irgendwann Kunden in der ganzen Schweiz, besuchte Kirchen und Klöster. Der Luzerner sagt: «Wenn man einen 500-jährigen Gegenstand in der Hand hält, hat man Achtung vor dem Hersteller und der Kunst. Trotzdem ist es für mich in erster Linie Materie.»

Nach wie vor gefragt

Vater und Grossvater Schaffner mieteten ursprünglich an der Mythenstrasse ein Atelier, später folgte der Umzug an die Moosstrasse. Als Gilbert Schaffner das Atelier übernahm, hatte er zu Zeiten des Restaurierungsbooms Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre bis zu sieben Angestellte. Die Goldschmied-Arbeiten erledigte jeweils Bruno Joho für ihn, der sein Atelier in Stans hat. «Irgendwann kamen wir zum Schluss, dass ein Zusammenlegen der Ateliers Sinn machen würde und ich zügelte meines nach Stans», erzählt Schaffner.

Schaffner wohnt mit wenigen Unterbrüchen seit 50 Jahren an der Himmelrichstrasse. (Bild: sib)

Noch heute besucht er Joho fast täglich im Atelier, trinkt dort einen Kaffee. «Ab und an ist mein Wissen immer noch gefragt. Zudem möchten manche Kunden den Kontakt mit mir weiterhin pflegen, weswegen sich manche nach wie vor beim mir zuhause telefonisch melden. Ich verweise dann meistens darauf, dass ich das Geschäft inzwischen übergeben habe.»

Die verschwundenen Beizen

Der Luzerner bezeichnet sich selbst als religiösen Menschen. Bis 2016 machte er Lesungen im Gottesdienst, 16 Jahre lang unterrichtete er in einer Sakristanenschule. Dabei gab er das Wissen zur korrekten Pflege und Unterhalt der kirchlichen Gegenstände weiter.

«Ich gehe gerne in die Oper – oder aber an Metalkonzerte.»

Schaffner war jedoch auch in «unheiligeren» Gefilden zuhause. Er arbeitete nebenbei im Gastgewerbe, unter anderem zwölf Jahre lang im «Stadtkeller». Auf die Gastronomie in Luzern angesprochen, wird er etwas wehmütig. Er bedauert, wie viele der Beizen heute nicht mehr sind. «Wer erinnert sich denn heute noch an den «Walfisch» oder das «Hubertus» in der Hertensteinstrasse? Nicht zu vergessen der ‹Braukeller› mit den Telefonen auf dem Tisch.» Und doch sagt er: «Ich möchte hier nicht weg. Ich liebe diese Stadt und fühle mich mit ihr sehr verbunden.»

Dabei eingeschlossen ist das KKL. «Ich gehe dort oft an Konzerte. Auch in die Oper gehe ich gerne – oder aber an Metalkonzerte.» Auch hier scheinen ihn die Extreme anzuziehen.

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5 Kommentare
  • Profilfoto von Joseph de Mol
    Joseph de Mol, 15.10.2019, 11:57 Uhr

    Dieser Auftritt ist schon ziemlich verstörend. Subjektiv mag der Mann seine konsistenten Gründe haben, aber objektiv geht eine solche Inszenierung schon schwer in Richtung «Schreckung» der Öffentlichkeit. Meine Meinung: So ein Lifestyle mit derartigem Schwergewicht auf die Aussenwirkung sehe ich als komplett deviant an.

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  • Profilfoto von Charlotte Küng
    Charlotte Küng, 14.10.2019, 09:21 Uhr

    @Michael: Körper gestalten nennen Sie das? Ich nenne es zerstören eines Geschenks. Und wenn Sie nur ein einziges Mal gemeinsam mit dem porträtierten Mann in der Migros Waldstätter eingekauft haben und das Verhalten der Menschen auf ihn (ich zähle mein eigenes Verhalten dazu) wahrgenommen haben, dann komme ich zum Schluss: eine richtige Zumutung!

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    • Profilfoto von Monika Leuthard
      Monika Leuthard, 22.10.2019, 15:40 Uhr

      In diesem Fall, muss Dein Verhalten sehr speziell sein. Hast du Dich auch schon gefragt, ob du eine
      Zumutung mit deinem Verhalten an den Tag legst?

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  • Profilfoto von Tom
    Tom, 14.10.2019, 07:32 Uhr

    Das Einzige, das interessiert, und das nicht im Artikel steht: Warum? Warum tut sich ein Mensch solche Gewalt an, sogar noch seinen Augen?! Und hat Herr Schaffner auch nur die geringste Ahnung, welche Zumutung er für seine Lebensumgebung ist?

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    • Profilfoto von Michael
      Michael, 14.10.2019, 08:24 Uhr

      @Tom: Warum Zumutung? Du musst ja nich hinsehen, wenn es dich stört. Ich finde unterschiedliche Menschen und Lebenseinstellungen spannend!
      Für mich sind Tattoos nichts aber jeder darf und soll seinen Körper gestallten wie er möchte.

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