Chronologie der Begegnungen

Meggen in heller Aufregung: Die Wildschweine kommen

Zwischen Weihnachten und Neujahr streiften Wildschweine in Meggen umher. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Eine Rotte Wildschweine versuchte, den Meggerwald zu erobern – mit erstaunlichen Begegnungen und Spuren im Schnee. Teil 1 der zentralplus-Wildschwein-Reportage.

Das Schwein in der deutschen Sprache findet sich in manchem Ausdruck wieder: sich im Dreck suhlen, «Schwein gehabt», Sparschwein, Drecksau, dumme Sau, schweinisches Glück, sich zusammenrotten, Ausrottung. Kein Wunder, prägt die sprachliche Kontroverse auch das Dasein des Wildschweins, welches in der Region Luzern seit fast 30 Jahren nicht mehr anzutreffen war.  

zentralplus erzählt die wundersame Geschichte der Rotte Wildschweine, die den Meggerwald erobern wollte. Diese nahm kurz vor Weihnachten ihren Lauf.

Allererste Begegnung

Am 17. Dezember war Philipp Werenfels mit seinem Hund Suki auf dem Megger Vitaparcours unterwegs. Auf der Höhe der Reckstangen, kurz vor neun am Morgen, bemerkte er etwas Felliges im Dickicht, etwa 15 Meter entfernt.

«Mein erster Gedanke war: Das sieht aus wie ein Wolf.» Zwischen ihm und dem Tier gab es ein Gebüsch, das ihm die Sicht etwas einschränkte. Da er früher in Phoenix, Arizona, lebte, wo es viele Windschweine gibt, die seien bis zu seinem Haus gekommen, erkannte er schliesslich, dass es sich um ein Wildschwein handle.

Plötzlich begann das Tier zu rennen, es sei recht gross gewesen. Dann hörte er Getrappel, und eine Rotte von etwa sieben, acht Tieren folgte. «Ich wusste nicht, ob es sich um ein Muttertier mit Nachwuchs handelte. Das wäre gefährlich gewesen.»

Alles sei sehr schnell gegangen. Ein wenig Angst habe er gehabt. Glücklicherweise hätte sein Hund tadellos gehorcht und sei zu ihm gekommen. Ihm sei bewusst geworden, wie wenig er im Grund genommen über das Verhalten der Wildschweine wisse und wie er sich ihnen gegenüber korrekt verhalten müsse. «Später kamen mir Reiter entgegen. Ich warnte sie, dass die Wildschweine die Pferde erschrecken könnten», erzählt Werenfels.

Die Wanderroute

Erste Anzeichen, dass es im Meggerwald unerwartet Zuwachs gegeben hatte, bemerkte auch der Megger Jagdleiter.

«Zum ersten Mal sah ich Spuren einer Rotte vor Weihnachten. Das war im Gränzetürli. Dort haben Wildschweine eine Wiese umbrochen.» Der Jagdleiter des Reviers Meggen erinnert sich, dass sich darauf mehrere Landwirte meldeten. Auf Spissen, im Kreuzhof und Tellenhof gab es Sichtungen. Bezüglich der Wanderroute führt der Jagdleiter aus, sei die Rotte Richtung Büttenen, Mühlegg, Adligenswil weitergezogen. In Meierskappel buddelten sie ebenfalls Weiden und Äcker um.

In der Schweiz bringen Wildschweine selten mehr als 120 Kilogramm auf die Waage. (Bild: Symbolbild: Adobe Stock)

Schliesslich trieb ein knurrender Magen die Wildschweine raus aus dem Wald, zu Gehöften, Feldern und Gärten. Unterwegs machten sie einen kurzen Abstecher auf einen Pferdehof.

Umgepflügte Weide

Ein Pferdewirt in Meggen hat irgendwann vor Weihnachten, spätabends und draussen, etwas Ungewöhnliches gehört. In einem Lichtkegel beobachtete er eine Gruppe Tiere, deren Augen aufblitzten. Was es genau gewesen sei, hätte er nicht gewusst.

«Am nächsten Tag entdeckte ich die teilweise umgepflügte Weide.» Interessant sei gewesen, dass sich bei einem Ausritt tags darauf die Pferde auf der Schlittelstrecke Richtung Büttenen rigoros geweigert hätten, weiterzugehen. Er nehme an, dass sich die Wildschweine dort im Unterholz versteckt hätten.

In der Tat befindet sich der Ort, wo die Pferde sich sträubten, weiterzulaufen, nur wenige Meter entfernt vom Vitaparcours, wo Philipp Werenfels mit Suki kurz vorher der Rotte begegnet war. Von dort zottelte die Rotte entlang der Waldränder zum nächsten Hof.

Überschaubarer Schaden

«Die wilden Vierbeiner waren auch bei mir zu Besuch», berichtet ein Megger Bauer von seinen Erfahrungen. «Am Waldrand suchten sie offensichtlich nach Eicheln und Bucheckern, gesehen habe ich sie aber nicht.» Sie wühlten dort in der Erde, scharrten und suchten nach Essbarem. Der Schaden halte sich absolut in Grenzen, sei kaum nennenswert.

«Was nicht bedeutet, dass sich dies nicht ändern könnte, wenn die Populationen hierzulande irgendwann in der Zukunft explodieren», so der Bauer. Er verstehe ausserdem, dass ein Schweinezüchter sich mehr davor fürchte, dass die Wildschweine wegen der Schweinepest seine Existenz bedrohen könnten. Ihn betreffe das nicht, da er weder Maisfelder kultiviere noch Schweine halte. Er sei ein ganz «traditioneller Bauer» mit Graswirtschaft und Kühen.

Bis zum Meggenhorn dehnten die erkundungsfreudigen Vierbeiner ihre Wanderung nicht aus, obwohl die Weinberge im Sitenrain eine mögliche Nahrungsquelle bieten.

Die Landschaft beim Meggenhorn. (Bild: zvg)

Koexistenz mit Wildschweinen

Nora Breitschmid, Weinbäuerin auf dem Bio Weingut Sitenrain in Meggen, sammelte erste Erfahrungen während ihrer Lehre im Tessin. Dort seien die Rebberge allesamt aufwendig eingezäunt, damit keine Wildschweine eindringen würden. Einmal drin, würden sie grosse Schäden verursachen. «Sie wühlen im Boden und machen dabei keinen Halt vor Reben und der Rebanlage.»

Hinsichtlich einer zukünftigen Koexistenz mit Wildschweinen könne sie sich vorstellen, ihren Beitrag zur Biodiversität zu leisten. «Wir würden sicher einzäunen und nicht das Jagen fordern.» Beiträge an die Unkosten für die entstandenen Mehrkosten betrachte sie als wünschenswert.

Ertrunken im Küssnachtersee

Kurz nach Silvester ertranken dann mehrere Wildschweine im Küssnachtersee. Ein Tier wurde in Meierskappel erlegt. Die Rotte wurde zersplittert. Unklar ist laut mehrerer Fachleute, ob alle Wildschweine versucht hatten, den See zu überqueren, oder ob einzelne Tiere an Land blieben. Ebenso kann niemand angeben, wie viele der Wildtiere noch unterwegs seien oder ob es überhaupt noch welche gebe. Niemand kann sagen, ob noch Wildschweine übrig seien.

Diese beiden Überläufer-Keiler (junge männliche Tiere) wurden von einem Fischer im Küssnachter Seebecken gefunden und an Land gezogen. (Bild: z.V. Jagdgesellschaft Weggis)

Begegnung im Dorfzentrum

Am Sonntag, 5. Januar, kam es in Meggen zu einer spektakulären Begegnung. «Ein einzelnes Wildschwein marschierte mitten am Nachmittag auf dem Verbindungsweg zwischen Gemeindezentrum und Zentralschulhaus», erzählt der Megger Jagdleiter. Er habe es selbst leider nicht mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht herrsche jetzt für eine Weile Ruhe. Als Jäger wäre er froh darüber.

Der WWF betont, Desorientierung könne bei Wildschweinen durch Stress ausgelöst werden, etwa durch Störungen. Ob sich allfällig übrig gebliebene Wildschweine der Meggerwald-Rotte wieder vereinen würden, ist gemäss Fabian Haas vom WWF ungewiss. In der Regel würden isolierte Wildschweine aber versuchen, sich wieder einer Rotte anzuschliessen, da das soziale Gefüge essenziell für ihr Überleben sei.

Abstand halten zu den Wildtieren

In absehbarer Zukunft wird sich zeigen, ob von der Rotte noch Tiere übrig geblieben sind. Falls es zu Begegnungen mit den Wildschweinen kommt, rät Fabian Haas, wie sich Menschen gegenüber ihnen verhalten sollen.

«Wie alle Wildtiere sind Wildschweine von Natur aus scheu und meiden den Kontakt mit Menschen. Gefährlich könnten sie werden, wenn sie sich bedroht fühlen.» Konflikte mit Muttertieren und deren Frischlingen liessen sich vermeiden, indem man den Tieren nicht zu nahe käme und sie nicht füttere.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Philipp Werenfels, Hundehalter Meggen
  • Persönliches Gespräch mit Jagdleiter Meggen
  • Persönliches Gespräch mit einem Megger Pferdewirt
  • Telefonat mit einem Megger Landwirt
  • Schriftlicher Austausch mit Nora Breitschmid, Bio Weingut Sitenhof
  • Schriftlicher Austausch mit Fabian Haas, WWF Luzern
  • Website von «Naturzyt»
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