Nach fast vierzig Jahren

Luzerner Wochenmarkt verliert Biogemüse-Stand

Martin Knechtli und Martha Sager fahren von ihrer Biogärtnerei in Leutwil (AG) nicht mehr an den Luzerner Wochenmarkt. (Bild: Rene Regenass)

Martin Knechtli hat seinen Biogemüse-Markstand in Luzern aufgeben müssen. Er fand keinen Nachfolger. Damit ist er nicht der Einzige.

Martin Knechtli hat seinen Kundinnen die traurige Nachricht kurz vor Weihnachten überbringen müssen. Nach fast vierzig Jahren sei er heute zum letzten Mal am Luzerner Wochenmarkt, weil sich «nach längerem Suchen keine geeignete Person mit fachspezifischen Kenntnissen für die operative Führung» finden liesse, teilte er auf einem Flyer mit. Wir wollten etwas genauer wissen, wie es zu diesem Verzicht gekommen ist – und trafen ihn zum Gespräch.

zentralplus: Wie viele Leute arbeiten für Ihre Biogemüse-Gärtnerei?

Martin Knechtli: Wir müssen auf unserem Betrieb über das ganze Jahr die Lohnsumme für 7,5 Stellen inklusive Sozialleistungen erarbeiten. Wir beschäftigen keine Saisonniers oder Aushilfskräfte für zwei, drei Monate aus dem Osten. Wer im Kerngeschäft arbeitet, ist über das ganze Jahr fest angestellt. Zwei dieser Mitarbeiter sind regelmässig an den Marktständen in Aarau, Lenzburg und hier in Leutwil im Einsatz. Dazu kommt noch meine Frau. Ich selber habe auf Ende Jahr mit den Marktbesuchen aufgehört. Alle übrigen wirken in der Feldarbeit, das heisst, in der Produktion.

Der Luzerner Wochenmarkt findet jeweils am Dienstag und am Samstag statt. (Bild: Emanuel Ammon/AURA)

zentralplus: Auf dem Informationsflyer, den sie am Markt in Luzern der Kundschaft abgegeben haben, heisst es, sie fänden keinen Nachfolger. Gilt diese Aussage für den ganzen Betrieb oder trifft sie nur den Luzerner Wochenmarkt?

«Es fehlten die Macher, Leute, die mit Elan etwas anpacken wollten.»

Knechtli: Vor etwa sechs Jahren haben wir uns über die Zukunft Gedanken gemacht. Ich bin jetzt 70 Jahre alt, meine Frau ist 69.  Dabei ist uns bewusst geworden, dass wir für unsere Ablösung Führungspersonal suchen müssen. Wir haben über Inserat einen Gemüsegärtner oder eine Gemüsegärtnerin mit Erfahrung im Biolandbau gesucht, der diesen Betrieb übernehmen und im gleichen Sinne weiterführen könnte. Der ganze Betrieb steht heute wirtschaftlich auf einer sehr guten Basis.

zentralplus: Wie sind Sie bei der Suche nach einer Nachfolgerin vorgegangen?

Knechtli: Wir haben auch über ein Webportal gesucht. Es gab etwa sechs, sieben Rückmeldungen, sehr zurückhaltend, vage. Jemand suchte einen Landwirtschaftsbetrieb, vielleicht mit Gemüseanbau. Das ganze Bild war nicht vielversprechend. Es fehlten die Macher, Leute, die mit Elan etwas anpacken wollten. Zwei Maschineningenieure meldeten sich, die weg wollten von der Technik. Als sie die Aufgaben hier wahrnahmen, unter anderem auch die soziale Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden, nahm das Interesse ab, kam Stirnrunzeln auf.

«Unsere Arbeit ist nicht sexy, nicht schick.»

zentralplus: Gab es auch Zweifel auf der fachlichen Seite, beim Bioanspruch zum Beispiel?

Knechtli: Weniger. Die Unsicherheiten lagen eher im Bereich von Führung und Verantwortung gegenüber den Mitarbeitenden. Kommt dazu: Unser Hof entspricht nicht den klassischen Vorstellungen mit Wohnhaus, Stall, Maschinenhalle und mit dem Sennenhund bei der Haustüre. Wir sind hier eine Bio-Suisse-Gärtnerei, ohne Nutztiere. Vielleicht hatten wir den Nachteil, dass wir keine Möglichkeit sahen, den Betrieb unter Mitarbeitenden weiterzugeben.

zentralplus: Sie fanden also niemanden, der geeignet gewesen wäre?

Knechtli: Anfang 2022 hatte ich entschieden, den Luzerner Wochenmarkt aufzugeben, falls ich keine Fachkraft finden sollte, welche hier in Leutwil kompetent den Anbau weiterführen und die fachliche Verantwortung übernehmen könnte. Ich musste mir eine Grenze setzen. Nach dem Markt am Samstag – ich bin neun Stunden unterwegs, das Laden und Abladen der Ware nicht einberechnet – brauchte ich den Sonntag zur Erholung.

«Es ist nicht immer schön bei der Arbeit draussen; es kann regnen, schneien, die Sonne kann brennen.»

zentralplus: Die übergeordnete Frage, die sich hier stellt: Ist es in der Schweiz generell schwierig, fachlich geeignetes Personal für den Betrieb einer Biogärtnerei zu finden?

Knechtli: Ich bin dieser Frage nie gezielt nachgegangen. Aber ich weiss, dass einige Biobetriebe Mühe haben, fachlich fähige Leute für eine Nachfolge zu finden. Es ist nahezu eine Frage des Glücks, wenn solche Betriebe weitergeführt werden können.

zentralplus: Warum ist das so? Werden zu wenig Leute ausgebildet? Oder ist das berufliche Interesse am Biolandbau zu gering? Oder liegt es am Verband Bio-Suisse, der sich stärker engagieren müsste?

Knechtli: Unsere Arbeit ist nicht sexy, nicht schick. Die Elektronik, das Handy und die App sind weit weg. Das Kerngeschäft bei uns sieht ganz anders aus. Die Werbung der Grossverteiler zeichnet ein falsches Bild. Das gackernde Huhn, die Kuh mit den Hörnern und der wedelnde Barry … es ist nicht alles so schön. Im Zentrum steht der respektvolle und liebevolle Umgang mit Erde und Pflanzen. Und die Erwirtschaftung der Lohnsumme für die Mitarbeitenden. Es ist nicht immer schön bei der Arbeit draussen; es kann regnen, schneien, die Sonne kann brennen. Klimatisch muss jemand mit allen Verhältnissen zurechtkommen. Es braucht eine gewisse Leidenschaft, um in dieser Arbeit und Umgebung bestehen zu können. Die Lohnfrage kann es kaum sein. Die Monatslöhne in einer Gemüsegärtnerei bewegen sich für Mann und Frau in einer Bandbreite von vier- bis sechstausend Franken, wobei im oberen Bereich dann operative Führung enthalten sein muss. Es gibt viele fähige Frauen im Beruf; sie sind feinmotorisch den Männern voraus.

Das sagt der Fachverband Bio-Suisse

Viele Biogemüse-Gärtnereien haben Mühe, auf der Führungsebene Personal mit Erfahrung und den notwendigen Kenntnissen zu finden. Welche Gründe sind da massgebend? «Tatsächlich ist es im Gemüsebau zunehmend schwierig, qualifiziertes Personal zu finden», sagt dazu Lukas Inderfurth, Bereichsleiter Kommunikation bei Bio-Suisse. Zwar würden jedes Jahr einige die Ausbildung zur Gemüsegärtnerin machen, aber grundsätzlich hätten Berufe in der Landwirtschaft in den letzten Jahren an Attraktivität verloren. «Die Arbeitszeiten sind relativ lange und die Löhne sowie Entwicklungsmöglichkeiten teilweise nicht sehr attraktiv.»

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Martin Knechtli
  • Mailaustauch mit Lukas Inderfurth
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 14.01.2023, 12:34 Uhr

    Das bedeutet lediglich, dass der grünliche gehobene Mittelstand, die „Bobos“ („Bourgeois-Bohèmien“) wie das anderswo so schön heisst, nicht mehr gewillt ist, die Produkte, die ihm und Anderen seine moralische Überlegenheit demonstrieren, in hinreichendem Umfang zu bezahlen.

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