Eidgenössisches Jodlerfest in Zug

Beinahe-Katastrophe: Patrouille Suisse flog ohne Bewilligung

Die Beinahe-Katastrophe in Baar: So knapp konnte der Pilot die Maschine wieder hochziehen. (Bild: Screenshot Video @20Minuten)

Mitte Juni kollidierten zwei Jets der Schweizer Flugwaffe im Himmel über Baar. Der Trainingsflug der Patrouille Suisse für die Show am Eidgenössischen Jodlerfest hätte fatal enden können. Nun stellt sich heraus: Die Flugzeuge hätten gar nicht fliegen dürfen.

Ja, das VBS sei im Besitze der schriftlichen Zustimmung der Stadt Zug, teilt ein Armeesprecher auf Anfrage zuerst mit. Demnach hatte die Stadt Zug ihre Einwilligung gegeben, dass die Patrouille Suisse Mitte Juni am Eidgenössischen Jodlerfest (EJF) in Zug eine Flugshow samt Trainings durchführen durfte (zentralplus berichtete).

Bloss: Das konnte so nicht stimmen. Der Stadtpräsident von Zug, André Wicki, hatte nämlich auf die Frage, ob die Stadt Zug ihre Einwilligung für diese Flugshow gegeben habe, geantwortet: «Es ist weder ein Gesuch der Armee eingegangen noch hat die Stadt Zug eine Bewilligung erteilt.»

Konfrontiert mit dieser Aussage, krebst der Armeesprecher in der Folge zurück: «Unsere Abklärungen haben ergeben, dass im Falle des Jodlerfests in Zug die explizite Bewilligung nicht vorlag,» lässt der Sprecher nun verlauten.

Armee spricht von «Missverständnis»

«Die Armee hat es versäumt, nachzuhaken und die explizite Bewilligung des Veranstalters einzuholen – dies auch aufgrund eines Missverständnisses, weil der Veranstalter der Armee den Versicherungsnachweis und die Lärmpublikation vorgelegt hatte.» Deshalb sei die Armee davon ausgegangen, dass auch die Bewilligung für das Training und den Flug vorliege. Der Armeesprecher gelobt Besserung: «Die Armee wird aus diesem Vorfall ihre Konsequenzen ziehen, damit zukünftig die administrativen Prozesse lückenlos eingehalten werden.»

Stephan Schleiss, OK-Präsident des EJF und Zuger SVP-Regierungsrat, schreibt hingegen auf Anfrage: «Seitens Luftwaffe wurden vom OK nur die Nachweise der Versicherung und der Lärmpublikation als Anforderungen kommuniziert und eingefordert.»

Luftwaffenchef macht «implizite» Bewilligung geltend

Der Fall ist pikant. Bei einem Trainingsflug im Hinblick auf die geplante Flugshow am Eidgenössischen Jodlerfest kam es am 15. Juni im Grenzgebiet von Baar und Zug zu einer Kollision zweier Patrouille-Suisse-Flugzeuge. Ein Tiger-Flugzeug der Patrouille Suisse touchierte ein anderes Flugzeug. Dabei landeten Trümmerteile auf dem Betriebsgelände des Rohstoffgiganten Glencore. Das Ganze hätte fatal enden können: Nur mit Glück entging man in Baar und Umgebung einer Katastrophe. Derzeit untersucht die Militärjustiz den Fall. Die Abklärungen könnten noch länger dauern.

Zwei Patrouille-Suisse-Flugzeuge kollidierten am Himmel über Baar. Trümmer landeten auf dem Betriebsgelände von Glencore. (Bild: wia)

Peter Merz, Chef Luftwaffe der Schweizer Armee, räumt auf Anfrage zwar ein, dass die Luftwaffe im Falle des Zuger Jodlerfests ihre Kontrollpflicht nicht wahrgenommen hätte: «Wir hatten nicht kontrolliert, ob das OK des Eidgenössischen Jodlerfests (EJF) eine explizite Bewilligung für die Flugvorführung der Patrouille Suisse eingeholt hatte.»

Dann aber macht auch der Luftwaffenchef auf Schadenbegrenzung: «Aufgrund der Tatsache, dass das OK des EJF jedoch ein Bewilligungsgesuch für den Anlass inklusive Programm an die Stadt Zug gestellt hatte und dieses bewilligt wurde, konnten wir davon ausgehen, dass diese Bewilligung implizit auch für die Flugvorführung der Patrouille Suisse gilt. Zudem hat das OK des EJF die abgeschlossene Versicherungspolice und die Lärmpublikation vorgelegt.»

Vorführungen im Widerspruch zu den VBS-Weisungen

Der Chef der Luftwaffe und die Kommunikationsleute der Armee stellen sich also auf den Standpunkt, dass sowohl die Flugshow am EJF als auch die entsprechenden Trainingsflüge trotz fehlender expliziter Einwilligung der Stadt Zug durchgeführt werden durften.

Bloss: Es gibt eine Weisung des VBS, welche die Teilnahme von Militärflugzeugen an Flugshows und besonderen Anlässen regelt. Der Wortlaut dieses Reglements führt zu einem ganz anderen Schluss als jenem, den die Armee darzulegen versucht. Ziffer 10 Abs. 1 dieser von VBS-Vorsteherin Viola Amherd unterzeichneten Weisung besagt Folgendes: «Für militärische Flugvorführungen mit Jet-Flugzeugen hat die Luftwaffe dafür zu sorgen, dass die oder der Gesuchsteller die behördliche Zustimmung aller an den Flugplatz anstossenden Gemeinden beibringt.»

Ein Sprecher der Armee bestätigt auf Anfrage, dass in diesem Zusammenhang mit «Flugplatz» der Ort gemeint sei, wo die entsprechende Veranstaltung durchgeführt werde. Im Falle des Eidgenössischen Jodlerfests war dies demnach die Stadt Zug. Der gleiche Armeesprecher bestätigt auch, dass die entsprechende behördliche Zustimmung jeweils schriftlich zu erfolgen habe. Eine blosse Information durch den Veranstalter entspreche nicht der genannten bundesrätlichen Weisung.

Es hätte eine explizite Bewilligung gebraucht

Zwei befragte Öffentliches-Recht-Professoren beurteilen die Sachlage denn auch ganz anders als die Armee. Sowohl für Bernhard Rütsche, Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern, als auch für Markus Müller, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bern, ist klar, dass vorliegend eine explizite Bewilligung seitens der betroffenen Gemeinden hätte vorliegen müssen. «Ich teile die Auffassung, dass jeweils eine spezifische Bewilligung für eine solche Flugvorführung vorliegen muss», schreibt Bernhard Rütsche auf Anfrage. Mit anderen Worten: Der beschriebene Rechtfertigungsversuch der Luftwaffe muss als unbehelflich bezeichnet werden.

«Die Vorführungen standen im Widerspruch zu den Weisungen des VBS», hält Bernhard Rütsche fest. Die geplante Flugshow am EJF und die damit verbundenen Trainings hätten also gar nicht durchgeführt werden dürfen. Staatsrechtsprofessor Markus Müller von der Universität Bern kommt zum gleichen Schluss.

Auch die Einwilligung der Nachbargemeinden wäre nötig gewesen

Schwer nachvollziehbar ist auch, warum sowohl die Kommunikationsabteilung der Armee als auch Luftwaffenchef Peter Merz sagen, eine Einwilligung der an die Stadt Zug anstossenden Gemeinden – zum Beispiel der Gemeinde Baar – sei nicht nötig gewesen. «Der Anlass fand auf Boden der Stadt Zug statt», lässt Luftwaffenchef Merz dazu verlauten.

Aufgrund des Wortlautes von Ziff. 1 der genannten VBS-Bestimmung ist für die beiden Professoren Bernhard Rütsche und Markus Müller aber klar, dass die Armee auch die Einwilligung der Nachbargemeinden der Stadt Zug hätte einholen müssen. Der Baarer Gemeindepräsident Walter Lipp aber weiss nichts von einem solchen Gesuch. «Die Gemeinde Baar hat keine Bewilligung erteilt. Es wurde meines Wissens auch keine nachgesucht», teilt Lipp auf Anfrage mit.

Flüge fanden auch über Gebiet von Baar statt

Klar scheint, dass die Patrouille Suisse an jenem 15. Juni auch Gemeindegebiet von Baar überflog. Der Baarer Hans Peter Roth verfolgte an jenem Tag die Trainingsflüge von seiner Wohnung in Baar aus. In einem Leserbrief ärgerte er sich danach über die von ihm als «Lärmterror» bezeichneten Überflüge der Patrouille Suisse. Roth sagt, diese Überflüge seien eindeutig Trainingsflüge gewesen, nämlich mehrmalig und in Formation. Nach etwa 20 bis 30 Minuten «mit stets wiederkehrenden Lärmattacken» habe er sich bei der Zuger Polizei beschwert.

Roth hält zudem fest: «Ich bin der Meinung, dass bei diesen Trainingsflügen mehrere Gemeinden tangiert wurden, weil die Flugzeuge hohe Geschwindigkeiten erreichen und selbst bei engsten Flugradien mehrere Gemeindegrenzen überflogen werden müssen. Ganz klar ist jedoch, dass diese Trainingsflüge auch über Baarer Gebiet stattgefunden haben.»

Bundesrätin Amherd wurde mittlerweile informiert

Fazit: Die Luftwaffe hat den Vorschriften des eigenen Departements in zentralen Punkten nicht nachgelebt. Auf Anfrage lässt VBS-Vorsteherin Viola Amherd durch einen VBS-Sprecher mitteilen, die Armee habe die Lehren, die sie aus dem Fall gezogen habe, bereits dargelegt. Die Chefin VBS sei darüber informiert worden.

Das Verhalten der Armeeverantwortlichen hätte im Schadenfall auch versicherungstechnische Folgen nach sich ziehen können. «Es wäre zu einem Staatshaftungsfall gekommen», erklärt Bernhard Rütsche, Professor für öffentliches Recht an der Universität Luzern. Gemäss Artikel 135 des Militärgesetzes hafte der Bund ohne Rücksicht auf Verschulden für den Schaden, den Angehörige der Armee Dritten widerrechtlich zufügen würden. «Vorliegend wäre im Falle eines Schadens die Haftung wohl zu bejahen gewesen.» Es gebe dazu einen Präzedenzfall aus dem Jahre 1997, in welchem das Bundesgericht die Haftung des Bundes für einen Zusammenstoss zwischen einem Militär- und Zivilflugzeug bejaht hätte. «Umso mehr wäre es in diesem Falle zu einer Haftung gekommen», resümiert Professor Bernhard Rütsche.

Dieser Artikel ist in einer kürzeren Version zuerst im Beobachter erschienen.

Verwendete Quellen
  • Artikel im Beobachter
  • Anfragen ans VBS
  • Anfragen an die Gemeinde Baar und die Stadt Luzern
  • Anfragen an die Professoren Bernhard Rütsche und Markus Müller
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