Ehemaliger Luzerner Stadtpräsident

«Häbid’s guet» – zum Tod von Franz Kurzmeyer

Franz Kurzmeyer war zwischen 1984 und 1996 Luzerner Stadtpräsident. (Bild: hae)

Der ehemalige Luzerner Stadtpräsident Franz Kurzmeyer ist am Mittwoch 88-jährig verstorben. Der Weggefährte Karl Bühlmann erinnert sich an sein Wirken.

Im späten Herbst vergangenen Jahres gab es die letzte Begegnung. Meine Frau und ich trafen im Kurhotel Sonnmatt unverhofft auf Franz Kurzmeyer. Er kam aus dem Speisesaal, war auf dem Weg ins Zimmer, mit kleinen, behutsamen Schritten schob er den Rollator vor sich her. Als wir ihn stoppten und er uns nach einigem Zögern erkannte, leuchteten seine Augen auf: «Lueg do, ehr sends, das esch jetz aber schön.»

Er sprach bedächtig, machte Pausen, schaute uns immer wieder an. Wir waren unsicher, ob er alles verstand, was wir ihm in den paar Minuten auf dem Gang erzählten, die Stattlichkeit von Person und Persönlichkeit war verschwunden, er war schmächtig, gebrechlich geworden.

«Danke für alles, was ihr gemacht habt», sagte er zum Abschied. «Warum dankst du uns? Umgekehrt, lieber Franz, wir haben zu danken für deine Freundschaft, dein Wirken früher als umsichtiger Stadtpräsident, später als Präsident der Gemeinnützigen Gesellschaft (GGL), und für die interessanten Arbeiten, die wir auf deine Veranlassung im kulturellen Bereich ausführen konnten und können.»

«Kurzmeyers Handeln war auf das bonum commune ausgerichtet, das allgemeine Wohl.»

«Häbid’s guet», sagte er mit leiser Stimme, bevor er mit der Gehhilfe weiterging. Wenig später kam mir in den Sinn, was ich ihn schon lange fragen wollte – zu spät.

Mit Herzlichkeit zum Stadtvater

Es gibt Begegnungen und Erlebnisse mit Franz, die unvergesslich bleiben, ebenso Äusserungen und Zitate, die sich durch die Wiederholung und die Jahre eingeprägt haben. «Ech ha Fröid!» mag als schweizweit bekannter Bestseller Zeugnis von der Kurzmeyer’schen Frohnatur ablegen. Aber diese Äusserung trifft nicht den wahren Kern der Person, die öffentlich jeden und jede lächelnd begrüsste. Die Aura und Herzlichkeit metamorphosierte den Stadtpräsidenten zum Stadtvater. Einem solchen Ehrenmann wird es auch nicht übelgenommen, wenn, wie geschehen am 17./18. August 1993, er den Brand der Kapellbrücke verschläft.

Kurzmeyers Handeln war auf das bonum commune ausgerichtet, das allgemeine Wohl. Öfters zitierte er die Forderung des Zürcher Staatsmanns Paul Usteri, wonach es «Pflicht sei eines jeden, nicht nur für sich selber zu sorgen, sondern in dem ihm vergönnten Wirkungskreis einen Beitrag zur Wohlfahrt der Mitbürger und des Gemeinwesens zu liefern». Auch ein Wort von Professor Werner Kägi, seinem Professor beim juristischen Studium an der Universität, wurde für Franz zum kategorischen Imperativ: «Das freie Handeln im Sinne der christlichen Nächstenliebe kennt keine Grenzen.»

Drogenpolitik forderte Franz Kurzmeyer stark

Die erste Begegnung mit Franz Kurzmeyer, an die ich mich erinnere, datiert vom 20. Mai 1984. Als Journalist erlebte ich, wie Oberrichter Kurzmeyer in der Ersatzwahl für den im Amt verstorbenen Matthias Luchsinger mit glänzenden 74 Prozent der Stimmen zum Stadtpräsidenten gewählt wurde. Als Stiftungsrat der 1986 gegründeten Marianne und Curt Dienemann-Stiftung, der gemäss Stifterwillen der jeweilige Stadtpräsident vorsteht, lernte ich die grosszügige Seite Kurzmeyers in Sachen Hilfe im sozialen und kulturellen Bereich näher kennen.

Die Drogenpolitik in der Praxis gegen viele Widerstände menschenwürdig zu gestalten, war ihm ein grosses Anliegen und forderte ihn stark. Seine spätere Idee, als Präsident der Gesellschaft Altersheim Unterlöchli, Künstlerinnen und Künstlern mit grossen Geldsorgen nicht «Almosen» zu geben, sondern von ihnen Kunstwerke zu erwerben, war bestechend und schuf eine Win-win-Situation: Vielfältige Kunst aus der Region erfreut heute die Bewohnerinnen und Bewohner im Heim auf dem Landgut Unterlöchli.

Beim KKL die Stadtbevölkerung hinter sich gebracht

Das KKL Luzern hat viele Väter, einer der wahren (und nicht nur vermeintlichen) ist Franz Kurzmeyer. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit rutschte er ins Projekt, das damals noch eine Wundertüte divergenter Ideen und Wunschvorstellungen war. Als Arbiter und Mediator gelang es ihm, zusammen mit Mitdenkenden und -arbeitenden der ersten Stunde, Ende der Achtzigerjahre, die Kräfte und die unterschiedlichen Visionen zu bündeln. Die Stadtbevölkerung hinter sich zu bringen, von rechts bis links, Kultur- und Sportinteressierte, Klassikfans, Jodler, Jazzer, Kegler, Turnvereine, Trachtenfreunde und Guuggemusigen, viermal eine Abstimmung zu gewinnen, das ist das grosse Verdienst von Franz Kurzmeyer. Wer hat sich nicht schon einmal, oder gerade jetzt wieder, nach einem Dirigenten mit ähnlichem Charisma gesehnt?

Als die Redaktion der «Luzerner Neusten Nachrichten» (LNN) vor einer KKL-Abstimmung ziemlich zerstritten war, welche Empfehlung sie der Leserschaft geben soll, lud ich den liberalen Franz Kurzmeyer und seinen SP-Stadtratskollegen Werner Schnieper in die grosse Redaktionsversammlung ein. Sie erläuterten das Projekt aus verschiedenen Blickwinkeln, beantworteten kritische Fragen, schilderten die Vorzüge, welche eine KKL-Realisierung der Stadt bringen könnte. An der darauffolgenden internen Abstimmung entschied sich die Redaktion pro KKL. Franz äusserte später im kleinen Kreis, ohne die zustimmende Haltung der Leserschaft wäre die Abstimmung schwierig zu gewinnen gewesen.

«Dieser Franz Kurzmeyer alias Grossmut bleibt in unser aller Erinnerung.»

Franz Kurzmeyer besuchte später die Redaktion noch zweimal: am schwarzen Montag, als bekannt wurde, dass die «LNN» verkauft, fusioniert und verschwinden werden. Er war die einzige Person aus der Politszene, die zum Kondolenzbesuch kam. So geschah es auch am 29. Dezember 1995, als in der Redaktion an der letzten Ausgabe der «LNN» gearbeitet wurde.

Überzeugend, begeisternd, sozial

Ach ja, was ich Franz Kurzmeyer noch fragen wollte: Ich hätte gerne gewusst, welchem seligen oder heiligen Franz als Namenspatron er sich zugehörig fühle. Ist es der Barfüsserordensgründer Franz von Assisi, Namenstag 4. Oktober? Wäre denkbar. Oder Franz Xaver, Namenstag 3. Dezember? Eher unwahrscheinlich, dass ein Altluzern-Liberaler ausgerechnet den Gründer des Jesuitenordens zum Patron wählt.

Am ehesten könnte ich mir den unbekannten Franz de Hieronymo vorstellen, Namenstag 11. Mai. Er war ein italienischer Volksmissionar des 17./18. Jahrhunderts, von dem es heisst: «Seine Verkündigung war überzeugend und begeisternd …» Und: «Er gründete soziale Hilfswerke.»

Überzeugend, begeisternd, sozial – diese Eigenschaften treffen auf unseren Franz zu. Er heisst mit Nachnamen Kurzmeyer, das ist ein Understatement, Grossmeyer wäre besser, doch das tönt falsch, weil zu grossspurig. Darum will ich den Namen Meyer gegen den Begriff «Mut» auswechseln und komme zum Begriff «Grossmut». Grossmut ist eine Charaktereigenschaft von wahren Persönlichkeiten. Diese Tugend hatte Franz Kurzmeyer. «Grossmut muss eine beständige Eigenschaft der Seele sein und ihr nicht nur ruckweise entfahren.»

Das stammt von Lessing, Autor von «Nathan der Weise». Moralisches Handeln, Vernunft und Menschlichkeit sind Eckpfeiler von Lessings Aufklärungsdrama.

Dieser Franz Kurzmeyer alias Grossmut bleibt in unser aller Erinnerung.

Hinweis zum Autor: Karl Bühlmann war langjähriger Journalist, Redaktor und Chefredaktor (von 1988 bis 1995) bei der «LNN». Der Historiker und Kulturvermittler lebt in Luzern.

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