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Ist es wirklich nur die Gülle, die den Baldeggersee «krank» macht?
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Ungereinigte Abwasser flossen in den See

Gülle oder Abwasser: Was macht den Baldeggersee krank?

Der Baldeggersee muss seit rund 40 Jahren künstlich belüftet werden. (Bild: Emanuel Ammon)

Der Baldeggersee wird seit Jahrzehnten künstlich beatmet. Schuld daran ist die Landwirtschaft – heisst es immer. Die Behauptung eines Bauers hinterfragt diese Version der Geschichte jedoch.

Der neueste Möglichmacherinnen-Artikel führt uns ins Reich der Gewässerbiologie – wahrlich nicht unser Steckenpferd. Aber die Abstimmung hat einen klaren Sieger hervorgebracht. Und zwar geht es um den Baldeggersee. Dieser befindet sich bekanntlich in einem schlechten Zustand.

Zu viel Gülle fliesst aus der landwirtschaftlichen Umgebung im Seetal in den See. Vermeintlich. Denn ein zentralplus-Möglichmacher stiess kürzlich auf eine andere Version der Geschichte:

«Ich habe immer gemeint, der Baldeggersee sei in so schlechtem Zustand, weil die Bauern zu viel Gülle reinlassen. Jetzt hat mir ein Bauer gesagt, da habe es Sedimente drin aus den Zeiten, als wir noch keine Kläranlagen hatten und das sei der Grund. Könnt ihr dem mal auf den Grund gehen?»

Und weil das Thema nicht nur diesen, sondern offenbar viele andere Möglichmacherinnen interessierte, dreht sich der neueste Artikel in dieser Serie um Abwasser, sauerstoffgierige Sedimente sowie tote (und lebendige) Algen und Fische. Bei Sedimenten handelt es sich um Ablagerungen auf dem Grund des Sees, die über die Jahre von neuen Ablagerungen überdeckt werden und sich durch deren zunehmendes Gewicht verfestigen.

Immer mehr Dünger im Baldeggersee

Der Kanton Luzern ist stark landwirtschaftlich geprägt. Da macht auch das Seetal keine Ausnahme. Und damit die Äcker und Weiden gut gedeihen, verteilen die Bäuerinnen zusätzliche Nährstoffe – im Volksmund «Gülle» genannt – auf die Felder. Das Problem: Wenn es regnet, versickert das Regenwasser in diesen Feldern, reichert sich dabei mit Nährstoffen an und transportiert diese letztlich in den Baldeggersee. Besonders das Element Phosphor gelangt so in viel zu grossen Mengen ins Seewasser. Das Resultat: Nicht nur die Felder, sondern auch der See ist reich an Nährstoffen.

Die Landwirtschaft ist aber nicht alleine für diese hohe Konzentration verantwortlich. Auch die zunehmende Industrialisierung des Seetals ab 1900 lässt sich im Phosphorgehalt des Sees ablesen. Denn gemäss Untersuchungen in den Sedimenten des Sees betrug die Nährstoffkonzentration vor 1900 weniger als 30 Mikrogramm Phosphor pro Liter Seewasser. Mit der Industrialisierung des Seetals wuchsen die Siedlungen und die lokale Industrie. Deren Abwasser flossen ungereinigt in den Baldeggersee und liessen die Phosphorkonzentration bis 1950 auf rund 100 Mikrogramm pro Liter ansteigen.

Winterstimmung am Baldeggersee mit Hochdorf und Rigi im Hintergrund. (Bild: Simon Meyer)

Mit dem Aufschwung der Landwirtschaft im Seetal verstärkte sich dieser Prozess. Ab den 1950er-Jahren stieg die Konzentration noch stärker an. Nach 1970 lag der Phosphorwert bereits bei über 500 Mikrogramm pro Liter.

Viele tote Algen, wenig Sauerstoff

Das sind paradiesische Zustände für Algen: Dank all der Nährstoffe wuchsen diese im Baldeggersee in hoher Zahl. Sterben die Algen, werden diese durch biologische Prozesse im See abgebaut. Allerdings bindet dieser Prozesse Sauerstoff. Und weil so viel tote Algen abgebaut werden mussten, sank der Sauerstoffgehalt im Baldeggersee stark. Mehrere Fischsterben und die künstliche Belüftung des Sees waren die Folge.

Mittlerweile geht es dem See dank des zusätzlichen Sauerstoffs sowie der Massnahmen in der Landwirtschaft und bei der Reinigung des Abwassers wieder besser. Die Phosphorkonzentration liegt zwar noch immer über dem Zielwert von 15 Mikrogramm pro Liter, aber nur minimal. Trotzdem muss der See weiterhin künstlich «beatmet» werden – und an dieser Stelle kommen die eingangs erwähnten Sedimente ins Spiel.

Seit den 80er-Jahren nimmt die Phosphorkonzentration im See stark ab. Sie liegt aber noch immer knapp über dem Zielwert (rote Linie). (Bild: Kanton Luzern)

Denn das Problem im Baldeggersee ist, dass es zu wenig Sauerstoff im Wasser hat, um alle toten Algen abzubauen. Diese sinken darum auf den Seegrund und lagern sich dort als Sediment ab. Sobald aber im Tiefenwasser des Sees wieder etwas Sauerstoff zur Verfügung steht, geht der Abbauprozess wieder aufs Neue los. Oder, anders gesagt: Nicht nur die Fische und die Algen im Wasser wollen Sauerstoff. Sondern auch die Sedimente am Seegrund. Rund 20 Prozent des Sauerstoffs im Tiefenwasser wird so verbraucht, rund um die Jahrtausendwende waren es noch deutlich mehr.

Des Rätsels Lösung: Es ist doch die Landwirtschaft

Der am Anfang erwähnte Bauer hat mit seiner Behauptung, dass die Sedimente für den kritischen Zustand des Sees verantwortlich sind, also zumindest teilweise Recht. Doch die Zeit, in der die Abwasser aus der Region ungereinigt in den Baldeggersee geflossen sind, ist mittlerweile rund fünfzig Jahre her. Darum gibt es einen Haken an der Version des Bauers.

Denn nur die oberste Schicht Sedimente am Seegrund entzieht dem Wasser Sauerstoff. Die darunterliegenden Schichten haben keinen Kontakt mehr mit dem Seewasser und können darum auch keinen Sauerstoff aufnehmen. Die Sedimente aus der Zeit, als ungereinigtes Abwasser in den See floss, sind mittlerweile unter neuen Schichten begraben worden. Sie können dem Wasser darum keinen Sauerstoff mehr entziehen.

Die sauerstoffzehrenden Sedimente, die heute am Seegrund liegen, sind jünger. Sie stammen aus den Zeiten, in denen die Landwirtschaft für den Grossteil der Überdüngung des Baldeggersees verantwortlich war. Die älteren Sedimente hingegen haben keinen Einfluss mehr auf den Sauerstoffgehalt des Sees.

Noch immer gelangt zu viel Phosphor in den See

Heute stammen rund zwei Drittel der Phosphorzufuhr in den Baldeggersee aus den landwirtschaftlich genutzten Böden. Der Rest kommt je zur Hälfte über die Siedlungsentwässerung und direkt über den Regen. Trotz zahlreicher Bemühungen gelangt noch immer zu viel Phosphor in den Baldeggersee. Gemäss Zielwert des Kantons Luzern dürften maximal 2,2 Tonnen Phosphor pro Jahr in den See fliessen. Im langjährigen Mittel zwischen 2016 und 2020 waren es aber noch immer rund 3 Tonnen und damit rund 40 Prozent zu viel.

Die Landwirtschaft (grüne Balken) ist heute für zwei Drittel des Phosphor-Eintrags in den See verantwortlich. Noch immer fliesst zu viel Phosphor in den Baldeggersee. (Bild: Kanton Luzern)

Heute tragen die Bäuerinnen zwar nicht mehr Dünger aus, als die Pflanzen aufnehmen können. Doch weil während vielen Jahren viel zu viel gedüngt wurde, sind die Böden auch heute noch stark überdüngt. Von dort gelangen darum noch immer zu viele Nährstoffe in den See.

Seit dem 1. Januar gelten für die Bauern im Kanton Luzern darum noch striktere Anforderungen im Umgang mit Dünger. Die Bäuerinnen rund um die Luzerner Mittellandseen dürfen weniger düngen und die Tierbestände nicht aufstocken. 145 Luzerner Bauern haben diese neue Verordnung jedoch angefochten. Eine erste Beschwerde hat das Kantonsgericht abgewiesen (zentralplus berichtete). Die Bäuerinnen haben den Fall darum vors Bundesgericht weitergezogen. Dessen Urteil ist noch ausstehend.

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